Text: Patricia Bröhm
Sigi schlägt ein wie eine Bombe! «Sie ist der Wahnsinn. Man wird noch viel von ihr hören.» Das sagte Hans Haas einmal über seine langjährige Souschefin Sigi Schelling – und er hat recht behalten. Als Ende 2020 in der Münchner Restaurant-Ikone «Tantris» die Ära Haas nach 29 Jahren zu Ende ging, war die Trauer unter den Stammgästen groß. Umso größer die Freude, als Sigi Schelling im Juli 2021 ihr eigenes Restaurant eröffnete, das in der durchaus verwöhnten Münchner Gourmetgemeinde einschlug wie eine Bombe. Vom ersten Tag an war sie ausgebucht, auch Kollegen und Kritiker zählen unisono zur Fangemeinde: Der Michelin spendierte einen Stern, GaultMillau drei Hauben.
«Beste Produkte. Kein Firlefanz». Der «Werneckhof Sigi Schelling» liegt in einer ruhigen Wohnstraße im Münchner Stadtteil Schwabing. Mit seiner sonnengelben Gasthof-Fassade, den dunklen Holztäfelungen und Original-Jugendstilfenstern passt er bestens zum unverkünstelten Küchenstil der Chefin: «Beste Produkte, perfekt gekocht. Kein Firlefanz.» Und sie fügt hinzu: «So wie ich es an der Seite von Hans Haas gelernt und seither jeden Tag gelebt habe.»
Kälber und Schweine vom Hof des Bruders. Wie ihr Mentor schwört sie auf kleine, engagierte Erzeuger: Saibling aus der Lechtaler Vorzeige-Fischzucht Birnbaum lässt sie ganz sanft zu perfekter Konsistenz ziehen und serviert ihn lauwarm, dazu gibt es Kohlrabi, eine großzügige Nocke Kaviar und schaumig-leicht erfrischenden Buttermilch-Limonenfond. Und auch das berühmte Reh aus dem niederbayerischen Polting steht oft auf ihrer Karte, zuletzt butterzarte Medaillons vom Rücken auf Steinpilzbett mit Briochenockerl.In punkto Produktqualität kann der Bauerntochter aus dem Bregenzer Wald keiner etwas vormachen. Die Butter einer kleinen Sennerei aus ihrer Heimat ist ihr lieber als eine namhafte aus der Normandie, die tagelang unterwegs war. Und die Kälber und Schweine vom Hof ihres Bruders waren schon im Tantris Pflichtprogramm.
Babyseeteufel an der Gräte. Sigi Schelling hat sich rasch von ihrem großen Lehrmeister emanzipiert. Sie kocht aromatisch feingliedriger als früher, ihre Teller sind zeitgemäß angerichtet. Wie einfühlsam sie abschmeckt, beweist butterzarter Langostino auf marinierten Gartentomaten mit Pumpernickel-Mousse, Avocado und Yuzu-Frische. Babyseeteufel brät sie im Ganzen, lässt ihn am Tisch vor den Augen der Gäste filetieren und steigert den Genuss mit Spinat, mariniertem Fenchel und Krustentier-Raviolo, dazu gibt es Kürbispüree und tiefgründige Röstzwiebelcreme.
Überhaupt, die Saucen! Das ist große, klassische Kochkunst – und glücklicherweise bleibt jedes Saucenkännchen beim Gast, wo es zuverlässig bis auf den letzten Tropfen geleert wird. Solche kleinen Gesten sind typisch für Sigi Schelling, die nicht nur eine herausragende Köchin, sondern auch Gastgeberin mit Leib und Seele ist. Wer bei ihr einen Tisch ergattert, der kann sich auf ein Rundum-Genusserlebnis freuen, das die Chefin in ihrer unprätentiösen Art so beschreibt: «Ich möchte ein gutes Gasthaus führen.» Und das meint sie im Wortsinn: «Es soll sich alles um den Gast drehen.»
>> Fotos: Stephan Rumpf / SZ Photo, Volker Debus