Fotos: Salvatore Vinci
Marco Ortolani, was ist Ihr liebstes Pastagericht?
Es ist, als würden Sie mich nach meinem liebsten Musikstück oder Kinofilm fragen – das ändert sich ständig. Im Moment gefallen mir unsere Fusilloni mit Peperoni, Zucchetti-Minzecreme und schwarzem Knoblauch am besten. Pro Portion werden hierfür 500 Gramm Peperoni geröstet, entsaftet und dann reduziert. Gehaltvoller geht eine Peperonata nicht mehr!
Und warum verwenden Sie für diese Sauce ausgerechnet Fusillone?
Sie haben viel Oberfläche und einen Kern, der auch nach 18 Minuten Kochzeit noch schön al dente ist. Nicht zuletzt interagiere ich so mit dem Gast: Anders als bei den kleineren Fusilli, nimmt er so genau ein Stück pro Bissen auf die Gabel.
Allgemein gesprochen: Welche Pasta-Sorte bietet sich für welche Gerichte an?
Mich interessiert zuerst der Produzent der Teigwaren. Italienische Küchenchefs machen zwar ihre Ravioli selber, aber nicht die getrocknete Pasta. Dafür gibt es Spezialisten, die genau wissen, welches Mehl man verwendet. Wie man die Pasta trocknet. Das ist ein Handwerk, das es seit über 200 Jahren gibt.
Wäre hausgemacht nicht besser?
Wie erkläre ich das einem Schweizer? Es ist eigentlich wie beim Brot: Ich habe lieber gutes Brot auf dem Tisch, als ein ungeniessbares, das den Titel «hausgemacht» trägt. Nicht umsonst erwähne ich auf unserer Karte den Produzenten Pietro Massi, dessen Pasta mich tatsächlich schon viele Jahre begleitet. Sie kostet zwar das Vierfache im Vergleich zu normaler Ware, ist ihren Preis aber wert. Sehr gut gefällt mir auch die hochwertige Pasta «trafilata in oro» von Verrigni. Hierfür werden werden statt Kupferformen – «al bronzo» genannt – solche aus Gold verwendet.
Sprechen wir über Grösse und Form der Pasta.
Es kommt bei Pastagerichten immer darauf an, auf welche Zutat man als Küchenchef den Fokus legen möchte. Gnocchi beispielsweise sollen auf einem Teller Hauptdarsteller sein. Sie sind die grösste Zutat des Gerichts – gibt man also Eierschwämmchen dazu, müssen sie kleiner sein. Und die Sauce ist idealerweise dickflüssig, damit sie nicht alles überzieht. Man tupft sie dann mit den Gnocchi auf.
Wann nimmt man feinere Pasta?
Kommt etwa gehobelter Trüffel übers Gericht, soll er das Wichtigste sein – dann wähle ich dünne Tagliolini.
Sie haben auch Penne al arrabbiata auf der Karte.
Das ist ein Gericht, bei dem man nicht nachdenken möchte. Weder die Sauce noch die Pasta spielen sich in den Vordergrund. Eine runde Sache! Solche klassischen Kombinationen sind in Italien ja nicht umsonst entstanden.
Weitere klassische Paarungen?
Nehmen Sie Basilikum-Pesto nach Genueser Art. Sie werden oft mit Trofie serviert. Aber sobald Kartoffeln und ganze Bohnen hineinkommen, ist diese Pastasorte meiner Meinung nach zu klein. Darum nimmt man in Ligurien traditionell oft Trenette zum Pesto, die länger sind als die grünen Bohnen.
Dünne Capellini oder dickbäuchige Spaghettoni – wann kommt welches Kaliber zum Einsatz?
Für die gehaltvolle Pasta all’Amatriciana mit Guanciale, Peperoncino und Tomaten müssen es in Rom dicke Bucatini sein. Die andere Seite der Skala? Der berühmte italienische Sternekoch Gualtiero Marchesi hat die «Spaghetti freddi» mit Kaviar erfunden – wir machen hier manchmal unsere eigene Version dieses Klassikers mit Scampi und Fischrogen. Da ist für mich klar, dass die kalt servierten Teigwaren dünn und filigran sein müssen. Sie sind bloss die Bühne für das Aroma der Meeresfrüchte.
Bis jetzt haben wir über Standards-Pasta gesprochen. Wie stehen Sie zu ausgefalleneren Sorten?
Sie meinen Pasta in Form von Micky Mouse oder so? Das ist für Kinder lustig, ich kann wenig damit anfangen.
Gibt es in Italien denn keine Buchstabensuppe?
In meiner Kindheit gab es die jedenfalls nicht. Wir hatten in der Bouillon entweder Capellini d’Angelo oder Risoni. Aber gut, wenn die Kinder dank der Buchstaben ihre Pasta schön aufessen, habe ich damit kein Problem.
Stichwort Kochzeit. Halten Sie sich an die Minuten, die auf der Packung angegebenen sind?
Da bin ich extrem misstrauisch! Wir prüfen jede Charge unserer Teigwaren neu auf die genaue Zubereitungszeit! Denn am Ende darf die Pasta ja keinesfalls mehr roh sein, sondern eben: al dente! Man soll den Biss spüren, aber nichts darf an den Zähnen kleben bleiben.
Verstehen amerikanische Gäste in Ihrem Restaurant das Prinzip «al dente» überhaupt?
Nicht immer. Ich kann die Pasta aber schon mal zwei Minuten länger im Wasser lassen, wenn ich weiss, dass ein Gast das lieber mag. Doch in aller Regel mache ich diesbezüglich keine Abstriche.
Wie viel Salz kommt ins Wasser?
Die Grundregel für zu Hause ist einfach: 1000, 100, 10! Auf 1000 Milliliter Wasser kommen 100 Gramm Teigwaren und 10 Gramm Salz. So bekommt man das absolute Wohlfühlklima für die Pasta!
Darf man ein wenig Olivenöl zugeben, damit es nicht zusammenklebt?
Eine «Urban Legend»! Was bitteschön soll das ausmachen, wenn oben in einer Pfanne mit zig Litern Wasser ein paar Tropfen Öl schwimmen? Geben Sie einfach die Teigwaren dazu, rühren Sie in den ersten Minuten einige Male um. Dann geht nichts schief.
In der Schweiz wird die Sauce oft obendrauf gegeben und nicht mit den Teigwaren vermengt. Eine Unsitte, finden Sie nicht?
Ich bin da nicht so streng. Es kann ja auch mal lustig sein, eine riesige Schüssel mit Pasta für 15 Leute in die Tischmitte zu stellen und die Sauce separat zu servieren. Das sorgt für Interaktion, etwa bei einem Personalessen.
Wie viel Käse darf man obendrauf geben?
Ich liebe Käse! Meine Antwort lautet darum: So viel, wie man will! Und man darf neben Parmesan ruhig auch auf Alternativen wie Pecorino oder Sbrinz in verschiedenen Reifegraden zurückgreifen.
Ist Pasta für einen Italiener wirklich eine volle Mahlzeit? Oder sollte sie als «Primo», respektive Teil eines ganzen Menüs serviert werden?
Auch in Italien sitzt man nicht mehr stundenlang im Restaurant und geniesst erst verschiedene Antipasti, anschliessend Pasta und nach dem Secondo mit Fleisch noch Käse und Dolci. Bei solchen in die Länge gezogenen Speisefolgen behauptet dann eh jeder, die eigene Mamma könne all diese Gerichte besser. Sind wir ehrlich, so wie bei der Mutter muss es ja nicht immer sein – sonst würde man vielleicht besser gleich bei ihr an den Tisch sitzen!
>> Marco Ortolani ist seit Ende 2019 Executive Chef im Hotel La Réserve Eden aus Lac in Zürich. Zuvor arbeitete er in Argentinien, Australien, Grossbritannien, Hongkong und seinem Heimatland Italien. Das von ihm verantwortete «Eden Kitchen» ist mit 16 Punkten ausgezeichnet.