Text: David Schnapp
Markus Arnold, was war die beste Idee, die Sie diese Woche hatten?
Auf dem neuen Lisabon-Menü haben wir spanische Carabineros, dazu gibt es einen Krustentier-Bisque-Schaum mit japanischem Curry, Kürbis und Stangensellerie. Das war eine wirklich gute Idee. Ich habe den ganzen Probeteller aufgegessen, weil es so gut geschmeckt hat. Wir mussten gleich noch einen anrichten, damit die andern auch probieren konnten (lacht).
Fällt es Ihnen eigentlich leicht, kreativ zu sein?
Wenn ich geschäftlich sehr eingespannt bin, fällt mir Kreativität manchmal schwer. Es braucht dafür schon etwas Freiraum. Trotzdem funktioniere ich unter Druck ganz gut.
Wann zum Beispiel?
Wir wechseln alle zwei drei Monate das ganze Menü: Das heisst sieben Gänge, sieben vegetarische Gerichte und ein veganes Menü. Das machen nicht viele Kollegen. Für uns ist das eine kreative Herausforderung und bedeutet viel Druck, es treibt uns aber auch vorwärts.
Immerhin gibt es bei Ihnen Klassiker wie Fisch mit einer Beurre blanc immer wieder.
Es gibt tatsächlich auch im jetzigen Menü eine Buttersauce, diesmal wird sie mit Chorizo parfümiert. Wir haben in der «Steinhalle» eine Handschrift, aber die verändert sich auch immer wieder leicht.
Ihre Mittagskarte mit Burger und Ramen hingegen ist seit der Eröffnung vor fünf Jahren unverändert, warum eigentlich?
Ein Gericht gibt es jeweils neu, aber mittags geht man am liebsten dort essen, wo klar ist, was es gibt. Das halte ich für zeitgemäss. Bevor wir gestartet sind, haben mir gestandene Gastronomen erklärt, dass das niemals funktionieren werde. Heute servieren wir im Sommer bis zu 150 Essen zum Lunch auf der Terrasse. Die Qualität stimmt, die Leute wissen, was sie kriegen, und wir sind verdammt schnell – auch das ist beim Business-Lunch entscheidend. Ich bin oft selbst am Pass, richte Salat an und sehe, dass viele Gäste mittags mit dem Geschäftspartner kommen und abends mit der Partnerin. Der «Easy Lunch» ist also Werbung für das Gourmetmenü, und die Nachfrage steigt.
Im «Meridiano» in Bern haben Sie vor vielen Jahren einmal ein Amuse-bouche auf dem Handrücken der Gäste angerichtet. Wäre das heute noch denkbar?
Das «Meridiano» war meine Pubertät als Koch, und ich probiere auch heute noch gern neue Dinge aus. Am Ende des Tages entscheidet aber der Gast. Ich habe mittlerweile eine Sicherheit entwickelt, dass das, was mir schmeckt, auch beim Publikum ankommt. Dieses Selbstvertrauen muss man sich erarbeiten. Das Amuse-bouche auf der Hand ist übrigens eine meiner liebsten Anekdoten. Dem mittlerweile verstorbenen deutschen Gastrokritiker Wolfram Siebeck habe ich – ohne zu wissen, wer er ist – damals dieses Gericht serviert. Er hat danach geschrieben, dass er in diesem Moment das Restaurant am liebsten gleich wieder verlassen hätte. Aber er hat’s probiert und war begeistert. Wenn es geschmacklich stimmt, kann man viel machen. Wenn es nicht fein ist, sollte man es lassen.
Reicht es heute, wenn etwas fein ist?
Das ist die Grundvoraussetzung, aber allein das ist schon eine grosse Schwierigkeit. Viele Köche essen ihre eigenen Menüs nicht, das fällt mir immer wieder auf. Sie probieren einzelne Komponenten, aber selten alles zusammen. Ich esse jedes Menü mehrmals von A bis Z, bevor es serviert wird. So sieht man vor allem die Proportionen. Das richtige Verhältnis der Zutaten zu finden, ist fast noch anspruchsvoller als das Kochen an sich.
Und was ist guter Geschmack?
Zum guten Geschmack braucht es auch noch ein gewisses Mass an Persönlichkeit. Wir sind als Restaurant nicht austauschbar, damit sind wir für unsere Gäste eindeutig identifizierbar. Man sollte nicht kochen, was gerade auf Instagram trendet, sondern etwas Eigenes finden.
Der Guide Michelin hat kürzlich gleich zwei früheren Köchen von ihnen einen Stern verliehen. Sie gehören bereits zu den erfolgreichen Ausbildnern im Land…
Das bereitet mir wirklich Freude. Gino Miodragovic und Marc Joshua Engel waren Mitarbeiter von mir, die immer eine halbe Stunde früher in der Küche gestanden sind und weiterkommen wollten. Auch mein früherer Küchenchef Alessandro Mordasini in der Krone Regensberg oder Simon Sommer, der jetzt in einem Privatclub in Bern kocht, machen einen Superjob. Es ist cool zu sehen, dass junge Köche Gas geben.
Welche Art von Stimmung möchten Sie in ihrer Küche kreieren?
Da geht es um traditionelle Werte wie Teamgeist und Ehrlichkeit, denn Gastronomie ist ein Mannschaftssport. Im Mittelpunkt steht nicht der einzelne Koch, sondern der Gast. Wir setzen bei uns hohe Standards in Bezug auf Zutaten und Zubereitung: Artischocken werden immer frisch verarbeitet, die Carabineros aus Spanien sind das Beste, was es gibt. Das bedeutet auch, dass die Erwartungen ans Team hoch sind.
Was ist Ihr nächste Projekt?
Der Sternenmarkt beginnt am 24. November 2022, dafür haben wir gerade 50 Leute angestellt. Wir haben ein zweites «Mama’s Momos» eröffnet und für nächstes Jahr habe ich schon etwas Neues im Kopf. Das ist kein Restaurant sondern ein Pop-up für zweimal drei Monate. Mehr verrate ich aber noch nicht…
Haben Sie nie genug?
Ich bin jeden Tag zehn Stunden in der «Steinhalle», aber ich realisiere auch gern Projekte, damit es mir nicht langweilig wird. Es darf nicht zu viel werden, darauf achtet meine Frau. Aber eine Idee pro Jahr liegt drin. Ich arbeite einfach gerne. Morgens stehe ich auf und freue mich auf mein Restaurant.
Fotos: Olivia Pulver, Digitale Massarbeit,