Text: David Schnapp | Fotos: Andrea Furger
Rockstar oder Starchef? Mit den schwarzen Doc-Martens-Schuhen und der Festival-Kochjacke in die leicht verwaschene Jeans gesteckt, sieht Raz Rahav im eleganten Speisesaal des Carlton Hotels eher aus wie ein Rockstar im falschen Lokal als wie der typische Gastkoch am St. Moritz Gourmet Festival. Aber keine Missverständnisse, der 31-Jährige gilt als bester Küchenchef Israels, er war GaultMillaus Koch des Jahres und mit seinem «OCD» in Tel Aviv ist er der einzige Chef aus seiner Heimat mit einem Platz auf der Liste der World’s 50 best Restaurants.
Wurzeln überall. Dabei sagt der sympathische junge Mann mit dem offenen Blick, es gebe gar keine israelische Küche. Sein Ziel sei es, einen Anstoss zu geben, «damit man in hundert oder zweihundert Jahren einmal von einer Küche Israels sprechen kann, auch wenn ich das nicht mehr erleben werde», wie er uns nach einem bemerkenswerten Dinner im Swiss Deluxe Hotel Carlton erzählt. Rahav zeigt auf seine drei Kollegen in der Küche: «Ich selbst habe polnische Wurzeln, wir alle kommen von irgendwoher, deshalb gibt es in unserer Tischkultur sehr unterschiedliche Einflüsse.»
Knoblauch und Honig. Mit saisonalen und regionalen Produkten sowie einem No-Waste-Ansatz kreiert der Koch in seinem Restaurant ein 20-Gänge-Menü, das er für St. Moritz auf neun Gerichte komprimiert hat. Um den tieferen Sinn von Gerichten wie einer Panna Cotta mit fermentiertem Knoblauch zu verstehen, muss man allerdings ein wenig in Raz Rahavs Gedankenwelt abtauchen. «Die Idee entstand, weil niemand mehr in Israel Knoblauch anbaut. Durch den Wegfall von Zöllen wurde er zu teuer, und mich rief ein Bauer an, der auf seinem Knoblauch sitzen geblieben ist. Wir haben ihm buchstäblich Tonnen von Knoblauch abgenommen und durch verschiedene Arten der Fermentation haltbar gemacht», erzählt Raz Rahav über die Entstehung der süsslich-würzigen Kombination aus Knoblauch und Honig.
Mutter Immas Poulet. Das gebratene Poulet seiner vor zwei Jahren verstorbenen Mutter Imma wiederum ist das einzige Gericht, das immer auf der Karte bleibt. Rahav brät das Huhn auf viel Gemüse im Ofen und setzt damit anschliessend eine Suppe an. Aus dem Fleisch wiederum entsteht eine Füllung für Ravioli nach polnischer Art und am Ende ein sehr persönliches, aber auch geschmacklich berührendes Gericht. Andere Kreationen etwa – wie der Steinbutt mit Mandel-Beurre-blanc und Brombeer-Essig – sind Referenzen an die Produkte von Rahavs Heimat.
Gurken und Dill zum Dessert. Auch das Dessert mit einem luftig-leichten Joghurt-Gurken-Parfait, Dill-Eis und Gurken-Relish sei eine Hommage an seine Mutter, sagt Raz Rahav: «Als es ihr nicht mehr gut ging, bin ich zu ihr und wollte für sie kochen. Sie hat sich ein Omelett gewünscht und eine typisch polnische Suppe, in die frische und eingelegte Gurken, Joghurt und Dill gehören. Ich finde das aber ein wirklich schreckliches Gericht und konnte das für sie nicht zubereiten. Aber die Idee habe ich für dieses Dessert weitergedacht.»
Koch auf Reisen. Der junge Israeli ist überzeugt, es gebe drei Arten, um ein Gericht zu kreieren: «Über den Kopf, in dem man Dinge, die zusammenpassen zusammenfügt. Über den lokalen Bezug und über die Emotionen.» Seine Küche vereint diese drei Ansatzmöglichkeiten und ist für Raz Rahav letztlich ein Transportmittel: «Ich möchte etwas verändern, und das ist eine Reise mit ungewissem Ausgang.»
>> Raz Rahav kocht noch bis zum 28. Januar 2023 am St. Moritz Gourmet Festival.