Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder
Tim Raues Hummer. Im bunten Licht des komplett umgestalteten grossen Speisesaals im «Kulm Hotel» steht Tim Raue – wie immer in blauer Kochuniform und neonfarbenen Turnschuhen – und richtet Hummer in Schälchen an: ein typisches Raue-Gericht mit perfekter Harmonie aus Kraft und Eleganz, aus Süsse, Säure und Schärfe. Zum Hummer gibt es Karotte, einen Hummer-Karotten-Sud, Kalamansi und getrocknete Physalis. Auftakt zum 27. St. Moritz Gourmetfestival mit Porsche als neuem Hauptsponsor: «Das Original», wie die Organisatoren mit Recht und Stolz ihr Fetival nennen! Raue ist allerdings der einzige männliche Koch, der an diesem Abend eine tragende Rolle spielt. Er gehört mit seinem «The K by Tim Raue» (17 Punkte, 1 Stern) im «Kulm» zum Starchef-Personal des Hauses und hat daher Gastrecht am Eröffnungsabend.
Erfolgreiche Frauen, starke Männer. Denn die Protagonistinnen des diesjährigen Festivals sind weibliche Chefs – aus Bangkok, Taiwan, Lateinamerika, Indien oder New York. In Rufdistanz zu Raue gibt es ein ausgezeichnetes Makrelen-Tatar auf einem Nori-Cracker, für das Carolina Bazan aus Santiago de Chile verantwortlich ist. Ganz nach dem Motto: Hinter jeder erfolgreichen Frau steht ein starker Mann, werden die Gastköchinnen natürlich unterstützt von den lokalen Küchenchefs der grossen Hotels: «Suvretta»-Zampano Fabrizio Zanetti, der auch als kulinarischer Leiter für das Festival verantwortlich ist, hat Lansu Chen zu Gast (grosses Bild oben). Die Taiwanesin fällt wie viele weibliche Starchefs durch eine aussergewöhnliche Biografie auf, hat erst Literaturwissenschaften studiert und sich dann ihrer Kochleidenschaft gewidmet. 2014 war sie «Asia’s Best Female Chef».
Unscheinbar grossartig. Zum Festivalstart serviert sie ein unscheinbares dunkelbraunes Nugget: Secreto vom Schwein, mariniert mit drei verschiedenen Sojasaucen, selbst gemachtem Chiliöl, Szechuan-Pfeffer, Zucker, Reisessig und dann so lange frittiert, bis es eine knusprig-trockene Textur erhält und mit etwas Sesam und Sojabohnen serviert werden kann. Was unscheinbar aussieht, schmeckt grossartig. Die Zutaten für ihren Auftritt im Engadin, verrät Lansu Chen, habe sie fast alle aus Taiwan mitgebracht. «Sechs Koffer voll», bestätigt ihr Gastgeber Fabrizio Zanetti und lacht. Er habe eigentlich nur Fleisch, Fisch und jede Menge Microleaves, kleine aromatische Kresse, bestellen müssen.
60 Liter Kokosmilch. Etwas anders ist die Lage bei Renu Homsombat aus Bangkok, die für elf «Saffron»-Gourmetrestaurants der Fünf-Sterne-Hotels «Banyan Tree» in acht Ländern verantwortlich ist, und an diesem Abend im «Kulm» jeden Gast mit einem Lächeln und der typischen leichten Verbeugung mit vor der Brust gefalteten Händen freundlich begrüsst. Sie serviert ihr legendäres Massaman Cury mit stundelang geschmortem Short Rib und abgeflämmten Lachs «Yum Pla Salmon» mit Minze, Thaibasilikum, Koriander, Fischsauce und etwas Chili. Ihr Gastgeber Rolf Fliegauf vom «Giardino Mountain» erzählt, er habe noch nie soviel Fischsauce bestellen müssen: «16 Flaschen, dazu 60 Liter Kokosmilch und dreieinhalb Kilogramm Koriander!»
«Kein Geheimnis!» Bei der in London lebenden Koreanerin Judy Joo – erfolgreich mit eigener TV-Show und dem Restaurant «Seoul Bird» – gibt es währenddessen koreanisches «Surf ‘n’ Turf», bestehend aus einer knusprigen Hummer-Praline und einem Rindertatar. Und nur ein paar Meter weiter macht eine sympathische Brasilianerin ein ebenso schlichtes wie bezauberndes kleines Gericht bereit: Auf einem knusprigen Tapiokachip liegen etwas Guacamole und gebackene Pancetta. Das Geheimnis ihrer Guacamole? «Es gibt eigentlich kein Geheimnis!», sagt die mehrfach ausgezeichnete Köchin. «Ich verwende bloss Avocado, rote Zwiebeln, Tomaten, Limettensaft, Salz sowie eine Chili-Art namens ‹Lady’s Finger›», sagt Coelho, die viel erreicht hat mit ihrer Kochkunst, aber völlig frei von Starallüren irgendwelcher Art auftritt – wie alle ihre erfolgreichen Kolleginnen.
Anregende Schärfe. Südamerikanische Freundlichkeit und Frische gibt es schliesslich auch beim zweiten Star des «Kulm» neben Tim Raue: Claudia Canessa, verantwortlich für die anregende Schärfe von Ceviches in der «Sunny Bar», kombiniert weissen Fisch mit ihrer «Jalapeño-Tiger-Milch», Cherry-Tomaten, eingelegtem Rettich und wilden Brombeeren». Die Peruanerin hat gerade noch Zeit für ein Foto, denn neben den mehreren Hundert Gästen an der Erföffnungsparty, warten auch in ihrem Restaurant noch einige Tische auf ihr Ceviche. «Ich muss los», sagt sie und rennt durch die «Kulm»-Küche zurück an ihren Arbeitsplatz.