Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder
Zürich – Jura im BMW. Sein Arbeitsplatz liegt für gewöhnlich mitten in der Stadt Zürich. Aber statt in seiner offenen Küche im Widder Hotel am Rennweg zu stehen, sitzt Stefan Heilemann an diesem Mittwoch am Steuer seines BMW M135i xDrive. Mit seinem Dienstwagen fährt der Kochs des Jahres durch die wilden Hügel des Juras. An blühenden Wiesen und einsamen Bauernhöfen vorbei, durch Wälder und Dörfer nähert sich der 38-Jährige auf schmalen Strassen seinem Ziel. In Vermes JU, am Nordhang des Mont Raimeux, liegt das Château de Raymontpierre, eine Burg aus dem 16. Jahrhundert, und ein Landwirtschaftsbetrieb.
Direktverbindung zur Natur. Gebäude und Land sind im Besitz von Gratian Anda, der in den letzten Jahren mit «The Living Circle» eine kleine, feine Gruppe von Hotels und Restaurants aufgebaut hat, zu der aber auch der Bauernhof Schlattgut oder die Terreni alla Maggia gehören. Die Direktverbindung zur Natur ist Teil der Identität der Häuser «Widder» und «Storchen» in Zürich, «Alex» in Thalwil und «Castello del Sole» in Ascona. Hof und Weiden im Jura hat Florian Wenger gepachtet.
Schweizer Spitzenprodukt. 1994 hat er den Betrieb von seinem Vater übernommen, und der wiederum entschied sich schon 1963, diese ebenso einsame wie ausgesprochen malerische Gegend zu seiner Heimat zu machen. Die Familie Wenger züchtet auf ihrem Bio-Hof nach den strengen Richtlinien der Mutterkuhhaltung Schweiz Simmentaler Fleckvieh, das schon seit den 80er Jahren von Bell und Coop als Natura Beef vermarktet wird. Gemessen an den Qualitätsstandards für Aufzucht und Haltung ist dies ein Spitzenprodukt, made im Jura. Seit kurzem serviert Stefan Heilemann seinen verwöhnten Gästen Kalbskoteletts vom eigenen Bauernhof: «Wenn man das hier sieht und dann das Fleisch in der Küche hat, ist das schon etwas ganz Besonderes.»
Ganze Tiere für die Hotels. Selbst wenn der 18-Punkte-Koch auch mal Wagyu-Beef der Güteklasse A5 aus dem japanischen Kagoshima serviert, hat das Projekt Simmentaler Beef jetzt seine ganze Aufmerksamkeit. Heute schon verkauft Florian Wenger ganze Tiere an die Hotel-Gruppe. Neben dem Frischfleisch werden daraus auch Würste und Trockenfleisch produziert – für das Frühstücksbuffet oder für die rustikale Boucherie AuGust am Zürcher Rennweg. Aus einer Kuh lassen sich rund 150 Kilogramm Wurst, 40 Kilogramm Trockenfleisch und 20 Kilogramm Frischfleisch gewinnen.
Nur Gras und Heu. Wengers Kühe fressen nur Gras und Heu, ohne Nahrungs-Zusatzstoffe. Das Fleisch wird dadurch sehr zart, ist eher mager, aber reich an ungesättigten Fettsäuren. Zusammen mit den Veredelungsspezialisten von Luma plant Stefan Heilemann jetzt auch noch eine eigene Fleischlinie. Dafür werden die schlachtfrischen Stücke künftig mit einem Edelschimmelpilz behandelt und reifen in kontrollierter Atmosphäre. «So haben wir Fleisch vom eigenen Bauernhof, auf einzigartige Art gereift und veredelt, das ist schon grandios», freut sich der Koch.
Bauer und Metzger. Bauer Wengers volle Aufmerksamkeit gilt aber einzig seinen rund 30 Kühen, ihren Kälbern und zehn Aufzuchtrindern, die auf einer Weide stehen und Gras, Klee und Löwenzahn fressen. «Wir produzieren Natura Beef, und das machen wir so gut wie möglich», sagt er. Was danach mit seinen Tieren passiert, legt der freundliche, aber wortkarge Landwirt in die Hände eines Kollegen.
Rauch, Wind und Wetter. Der jugendlich wirkende Stéphane Oester ist «Boucher de Campagne», Landmetzger in Grandval BE, und verantwortlich für die fachgerechte, traditionelle Verarbeitung des hochwertigen Fleisches. In einem Haus aus dem Jahr 1535 ist seine Räucherkammer eingerichtet. Täglich lerne er hier dazu, sagt der 36-Jährige. «Ich stelle keine standardisierten Produkte her, ich suche im Wechselspiel mit Wind und Wetter nach dem Besonderen.»
«Motivierend und bereichernd.» Es ist ein faszinierender Kreislauf der Natur, der hier sichtbar wird, und für Küchenchef Stefan Heilemann ist die Wechselwirkung aus Schönheit und Umwelt, Sorgfalt und handwerklicher Meisterschaft eine äusserst attraktive Beziehung. «Mit solchen Leuten zusammenzuarbeiten, ist ebenso motivierend wie bereichernd», sagt der Koch, bevor er den wilden Jura in seinem BMW M135i xDrive wieder Richtung Zürich verlässt.