Interview: Kathia Baltisberger

Stefan Heilemann, wobei stören wir Sie gerade?
Ich habe meine Hände gerade in einem Reh-Hirn. Ich kenne eine Jagdgruppe aus Dübendorf, die bringen mir jeweils die ganzen Tiere. Da ist alles noch dran: Zunge, Bäckchen, Hirn. Erst muss man das Fell abziehen und sie mit dem Hackbeil zerlegen. Das kriegt man sonst nirgends mehr, so ein ganzes Reh mit Kopf. Aber die Zunge ist butterzart. Hirn finden einige vielleicht schwierig, aber man muss das Hirn ausschalten und einfach probieren. Wir machen das auch nur auf spezielle Anfrage der Gäste. Ich mache daraus ein Millefeuille aus Zunge und Hirn mit Ei, Perigordtrüffel und Parmesan. 

Was war Ihr persönliches Highlight im Jahr 2022?
Ich habe erst neulich meinen Kalender durchgeschaut und gemerkt, wie viel ich dieses Jahr gemacht habe. Wir hatten ein super Jahr mit vielen grossen und kleinen Events. Das Schönste war wohl, dass ich so oft mit Freunden gekocht habe. 

Widder Hotel & Restaurant, Stefan Heilemann, Zürich, ZH © HO

Neue Öffnungszeiten im Widder Restaurant: Stefan Heilemann hat die 4-Tagewoche eingeführt. 

2022 war in puncto Personal ein schwieriges Jahr für die Gastronomie. Auch im Widder?
Teilweise. In der Küche waren wir schon immer sehr gut aufgestellt. Aber abgesehen von meinem Pâtissier André Siedl sind wir ein ganz neues und junges Team, das ich erst aufbauen musste. Im Service haben wir jetzt zwar auch gutes Personal gefunden, aber da gab es einen Durchhänger. Das führte dazu, dass wir öfter im Service ausgeholfen haben und Gerichte servierten. Das Schöne daran ist, dass man die Gäste schon am Anfang sieht und nicht erst am Schluss. Deshalb haben wir das auch so beibehalten. Und wir haben die 4-Tagewoche eingeführt. Wir haben abends von Mittwoch bis Samstag offen und am Donnerstag und Freitag gibt es Lunch. Das ist super für die Mitarbeiter, die sind viel ausgeruhter. Ich denke, das wird in Zukunft gar nicht mehr anders gehen.

Sie haben 18 GaultMillau-Punkte und zwei Michelin-Sterne. Gehen deswegen viele Bewerbungen für eine Stelle in Ihrer Brigade ein?
Ich glaube, das hat nicht mehr einen so grossen USP wie früher. Viel wichtiger ist, wie man sich gibt. Das spricht sich rum. Die jungen Köche hören, wo es cool ist zum Arbeiten. Bei uns ist es lustig, wir sind ein Team, mit dem man wirklich gerne zusammen ist. Und sie wollen einen fairen Lohn und eine hohe Lebensqualität. Meine Mitarbeiter bleiben im Schnitt drei Jahre, was sehr lange ist für die Gastronomie.

Einer Ihrer Schützlinge ist flügge geworden. Michael Schuler kocht im Alex in Thalwil und ist die «Entdeckung des Jahres». 
Das macht mich extrem stolz. Was will man mehr, als dass die Schützlinge etwas übernehmen und einen souveränen Job machen. Aber man muss auch abgeben können. Das «Aqua» ist nicht einfach Heilemann 2.0. Ich habe «Schuli» am Anfang geholfen, aber danach machte er sein eigenes Ding. Und er weiss, dass er jederzeit anrufen kann. Der Dank und der Respekt sind riesig. Meine ehemaligen Mitarbeiter nennen mich heute noch Chef. Genauso wie ich Harald Wohlfahrt noch Chef nenne. Das ist doch schön, wenn man seine DNA weitergibt, einfach in abgewandelter Form.

Widder Hotel & Restaurant, Stefan Heilemann, Zürich, ZH © HO

Wegen des Personalmangels half der Chef persönlich im Service mit - und behielt die Massnahme bei.

Stefan Heilemann 2021: Schweinebauch mit Gemüse Masterclass, Stefan Heilemann, Thaigerichte, Widder, Zürich © Thomas Buchwalder

Der 18-Punktechef kombiniert die klassische Französische Küche mit asiatischen Einflüssen. 

Sven Wassmer hat den dritten Michelin-Stern geholt und nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass das sein Ziel war. Ein Ziel, das auch Sie bewusst anstreben?
Ich fände es problematisch, wenn ich sagen würde: 18 Punkte und zwei Sterne, das reicht, damit gebe ich mich zufrieden. Man will sicherlich immer noch mehr und ich kann nachvollziehen, dass das ein grosser Traum für viele ist. Man spürt ja auch selbst, wie man sich weiterentwickelt. Was wir beim Erhalt des zweiten Sterns gemacht haben und das, was wir jetzt machen, ist etwas ganz anderes.

Wie geht man denn an dieses Ziel heran?
Einen Stern zu erkochen, ist vergleichsweise einfach. Das kann man sich bewusst als Ziel stecken. Es gibt gewisse Faktoren und die kann man gezielt angehen. Beim zweiten und dritten Stern oder bei 19 Punkten geht es um Persönlichkeit, um Philosophie, um eine eigene Handschrift. Das kann man nicht erzwingen, das entwickelt sich. Man darf sich nicht unter Druck setzen, sondern muss einfach jeden Tag mit voller Power aufstehen und weitermachen. Aber man muss auch sehen: Was wir erreicht haben, werden andere nie in ihrem Leben erreichen. Mein Leben ist nicht zerstört, wenn ich nie einen dritten Stern kriege.

Christian Kuchler und Stefan Heilemann - GaultMillau Garden Party 2022 - Bad Ragaz - 14.8.2022 - Copyright Olivia Pulver

Double Trouble: Stefan Heilemann mit seinem besten Freund Christian Kuchler an der GaultMillau Garden Party 2022.

Alle Köche schreiben Kochbücher. Wann kommt Ihres?
Wir haben eine Idee. Aber es ist ein kompliziertes Projekt und dafür müssen wir uns Zeit nehmen. Aber es ist etwas in Planung. 

Welches Produkt haben Sie in diesem Jahr neu entdeckt?
Ich habe die Makrele wiederentdeckt. Manchmal vergisst man, wie gut die einfachen Sachen sind. Ich habe sie aktuell im Menü und serviere sie mit Kaviar und einer Salzzitronen-Beurre-blanc. Blöd ist nur: In Portugal stürmt es gerade. Und mein Fischhändler meinte, heute gebe es keine Makrele. Dann muss ich etwas flexibel sein. Jetzt nehme ich eine Schweizer Lachsforelle, dazu gibt es eine pochierte Auster.

Welches war Ihr bestes Gericht in diesem Jahr?
Das war der Rochenflügel mit Bärlauchpüree, den ich im Frühling serviert habe. Dazu gab es eine Kapern-Salzzitronen-Escabèche und Kartoffeln.

Welche Projekte gehen Sie im Neuen Jahr an?
Projekt Nummer 1: Ferien. Und zwar mit vollem Fokus. Ich gehe für 25 Tage nach Thailand. Ich reise mit meiner Freundin von Bangkok nach Ko Pha-ngan, Ko Chang, Chiang Mai und zurück nach Bangkok. Und ich muss nirgends kochen. Wenn ich zurück bin, findet am 28. Januar die Kitchen Party im Widder Hotel statt, die anderen Köche von The Living Circle werden auch dabei sein. Ich mache Pork-Belly-Sandwich. Ausserdem planen wir eine Heilemann-Food-Linie mit verschiedenen Produkten für zu Hause. Zum Beispiel Thai-Curry-Saucen oder die gefüllten Bao Buns. 

Welche Restaurants stehen 2023 auf Ihrer To-Do-Liste?
Reserviert haben wir bereits bei Jan Hartwig in seinem neuen Restaurant in München, an meinem Geburtstag gehen wir zu Franck Giovannini nach Crissier. Und im Juli gehen wir zu Clemens Rambichler ins Sonnora in Dreis. 

 

>> Die Channel-Serie zum Jahresende: Sechs begabte Chefs ziehen Bilanz. Heute: Stefan Heilemann. Der 18-Punktechef kocht seit 2020 im Widder Restaurant und wurde kurz darauf mit dem Titel «Koch des Jahres» ausgezeichnet. 

 

Fotos: Olivia Pulver, Adrian Ehrbar, Thomas Buchwalder