Text: David Schnapp Fotos: Digitale Massarbeit
Gäste, die wirklich wollen. Für ihr erstes eigenes Restaurant haben sich Stefano Corrado und Maria Ventola nicht die einfachste Adresse ausgesucht: Ihr «Anna» ist Teil einer genossenschaftlichen Überbauung an einer beschaulichen Quartierstrasse beim Milchbuck in Zürich. Hier kann Laufkundschaft kein Teil des Business-Plans sein: «Am Anfang hatte ich Zweifel, ob wir es schaffen, Leute in ein Restaurant im Quartier zu holen, denn hier kommt abends niemand zufällig durch. Dafür kommen jetzt nur Gäste, die das wirklich wollen», gibt Corrado unumwunden zu.
Propaganda des Ex-Chefs. Aber der 32-Jährige, geboren in Italien und dann aufgewachsen in Truns und Chur, hat sich sein Publikum in kürzester Zeit «erkocht»: Vom GaultMillau gab es schon kurz nach dem Start 14 Punkte und Corrados früherer Chef Antonio Colaianni («Ornellaia», Zürich) half mit Mund-zu-Mund-Propaganda mit, das Lokal des sympathischen Paars bekannter zu machen. «Vom Sommer 2020 bis zum Lockdown im Dezember waren wir fast immer ausgebucht», erzählt der junge Koch.
«Immer italienischer» Mit der dynamischen Maria Ventola an der Front, die vom ersten Moment an den Charme italienischer Gastfreundschaft versprüht, und der leichten, zugänglichen Küche Stefano Corrados ist es nicht schwer, die beiden und ihr schlichtes, aber doch wohnliches Lokal zu mögen. Wichtiger Teil des Erfolgsrezepts sind zweifellos die Gerichte, die «immer italienischer werden», wie Corrado mit einem feinen Lächeln sagt. «Ich hatte mir eine mediterrane Stilrichtung vorgenommen, aber ich stelle je länger je mehr fest, dass ich eindeutig nach Italien tendiere.»
Die besten Garnelen der Welt. Da sind zum Beispiel die lediglich kurz abgeflämmten Gamberi Rossi aus Mazara, die zu den besten Garnelen der Welt zählen, und deshalb in Corrados klug und zurückhaltend komponierten Arrangement hervorragend zur Geltung kommen. Sie werden mit etwas Olivenöl mariniert, aus den Schalen und Köpfen entsteht eine leichte, jodige Sauce, und der talentierte Koch kombiniert die roten Krebse mit Oliven, gerösteten Fenchelsamen und Puntarelle, um süssliche Röstnoten und elegante Bitterkeit einzuflechten.
Lieblingsessen: Parmigiana. «Das ist meine Richtung, so esse ich selber gern», sagt Stefano Corrado über seine Art zu kochen. Er sei zwar neugierig auf jede Art von Küche, «aber eine Focaccia trifft einfach genau meinen Geschmack. Das erinnert mich an meine Mutter und an meine Grossmutter», sagt er in typisch italienischer «Famiglia»-Manier. Wenn er seine Eltern besuche, wünsche er sich heute noch die Auberginen-Parmigiana seiner Mutter, «das war immer schon mein Lieblingsessen, und ist es bis heute.»
Schnupperlehre im «Palace». Dass Stefano Corrado überhaupt Koch wurde, ist denn vermutlich auch eher der mütterlichen Parmigiana zu verdanken als einer grossen familiären Tradition. «Mein Vater und viele meiner Verwandten sind in der Baubranche, aber nach einer Schnupperlehre in der Hotelküche des Palace in St. Moritz wusste ich, dass das mein Beruf ist – das hat mich tief beeindruckt», so Corrado. Er lernte das Kochhandwerk in Chur, auf seinen Lehr- und Wanderjahren bildete er sich weiter bei renommierten Chefs wie Marcus G. Lindner, David Martinez Salvany oder bei Domenico Miggiano im «Löwen», Bubikon. «Bei Domenico habe ich am meisten gelernt; nicht nur konkrete Rezepte, sondern vor allem auch die Kunst der Betriebsführung», sagt Corrado.
Freude am Beruf. Dass sie dann ein Restaurant übernommen hätten, sei eine Fügung des Schicksals und kein lange und gut vorbereiteter Plan gewesen. «Die Möglichkeit ergab sich zufällig, und wir haben schnell und intuitiv zugesagt», erzählt Stefano Corrado und wirkt dabei wie ein junger Mann, der weiss, was er will, aber gleichzeitig mit einer gewissen Lockerheit seine Ziele verfolgt: «Was kommt, kommt von selbst. Als Koch muss man besser sein als der Durchschnitt, dann läuft es gut. Mir geht es letztlich um simple Dinge wie zufriedene Gäste und den Spass im Team. Wir sind nur junge Leute, die hier zusammenarbeiten und Freude an der Arbeit haben», umreisst der 14-Punkte-Koch seine Idee eines erfüllten Berufslebens.
Lamm, Tomaten, Cima di Rapa. Auf den Teller bringt er diese Freude jetzt mit rosa gebratenen Lammracks, die er vom weitherum bekannten Metzger Zanetti aus Graubünden bezieht, und wieder in einen mediterranen Kontext bringt. Mit Tomaten, die am Fusse des Vesuvs wachsen und an Corrados Küchenfester luftgetrocknet wurden, mit Kichererbsen, Cima di Rapa, Kartoffeln, Knoblauch und Thymian, wird daraus ein fein abgestimmtes und doch kraftvolles Gericht. Zum Dessert schliesslich gibt es den italienischen Süssspeisen-Klassiker schlechthin. Das Tiramisu wirkt im «Anna» durch eine Mascarpone-Espuma und ein kühles Kaffee-Granité frischer und unbeschwerter als die traditionelle Variante.
Als Paar im Restaurant. Nach dem Dessert spricht Stefano Corrado zum Abschluss unseres Besuchs noch darüber, was sich aus seiner Sicht als entscheidende Herausforderung für junge Gastronomen wie Maria Ventola und ihn selbst präsentiert: «Die grösste Schwierigkeit ist es, so ein Restaurant als Paar zu führen. Wir haben zwar schnell gemerkt, dass wir beide dasselbe wollen. Aber das weiss man vorher nicht, man muss es einfach herausfinden.» Das wiederum ist keine schlechte Methode, sich den Höhen und Tiefen des Lebens zu stellen.