Text: David Schnapp | Fotos: Thomas Buchwalder
«Der schönste Beruf.» An der Küchenwand steht «Leidenschaft, Verantwortung, Stil» – drei Leitbegriffe, die verdeutlichen sollen, welche Werte hier ins Zentrum der Arbeit gestellt werden. Wir sind im «IGNIV by Andreas Caminada» im Grand Resort Bad Ragaz, der verantwortliche Chef für das Restaurant im Swiss Deluxe Hotel ist seit knapp einem Jahr der erst 29-jährige Joël Ellenberger, und im Laufe des Nachmittags wird deutlich, dass der Koch das Leitmotiv an der Wand sehr überzeugend verkörpert. «Kochen muss man zu hundert Prozent wollen, dann ist es der schönste Beruf, den es gibt», sagt Ellenberger zum Beispiel, und es kommt während des Besuchs niemals Zweifel auf, dass er dies mit absoluter Überzeugung genau so meint.
Am Grill des Reitvereins. Schon mit elf Jahren wollte Joël Ellenberger Koch werden, sein Taschengeld hat er in der Freizeit im Restaurant seiner Patentante aufgebessert, er stand am Grill des Reitvereins, bei dem seine Mutter Mitglied war und trotz der Skepsis der Eltern machte der Zürcher schliesslich seinen Traum vom Beruf wahr. Im damals neu eröffneten «Radisson Blu» machte Ellenberger als Lehrling seine Ausbildung: «Ich war 15, sah aber aus wie 14 und hatte eine harte Zeit», sagt er rückblickend. Später gehörte der junge Koch zum Team von Paul Stradner im Brenners Park Hotel in Baden-Baden. «Stradner war ein Glück für mich. Er ist ein ausgezeichneter Koch, und wie er immer mit angepackt hat und sich auch nicht zu schade war, den Müll rauszubringen oder die Küche zu putzen, fand ich beeindruckend», sagt Joël Ellenberger.
Zurück in die Schweiz. Nachdem Stradner ins Elsass weitergezogen war, konnte Ellenberger erstmals Führungserfahrung sammeln. Als Chef des Halbpensions-Restaurants im «Brenner’s» wurde er vom GaultMillau als «Young Talent» entdeckt, erhielt 16 Punkte, und «ich konnte lernen, ein Team zu führen». Zur gleichen Zeit begann im gleichen Haus das Engagement von Nenad Mlinarevic, der kurz zuvor Schweizer Koch des Jahres geworden war, und als externer Berater für das neue Restaurant Fritz & Felix nach Baden-Baden geholt worden war. «Nenad hat mit mir meine Gerichte angeschaut und mir Feedback gegeben. Das gehörte nicht mal zu seinem Aufgabenbereich, er hat das aus reiner Kollegialität getan.» Mlinarevic stellte auch den Kontakt zu seinem früheren Chef Andreas Caminada her und für Joël Ellenberger begann ein ganz neuer Karriereabschnitt.
Vorbild Caminada. «Bei Andreas habe ich zwar auch viel über das Kochen gelernt, aber vor allem habe ich gelernt, alles aus mir rauszuholen – als Koch und als Mensch», sagt der 29-Jährige über die Zeit auf Schloss Schauenstein. Der Geist eines persönlich geführten Familienbetriebs, in dem Werte wie «Leidenschaft, Verantwortung, Stil» nicht nur als Plakat an der Wand hängen, sondern vorgelebt und verinnerlicht werden, hat Joël Ellenberger persönlich weitergebracht. «Es wird nicht geflucht, niemand wird beleidigt; wenn etwas rumliegt, räumt man es weg; wenn etwas dreckig ist, macht man es sauber – und Andreas Caminada lebt das vor», umschreibt der heutige «IGNIV»-Chef die Atmosphäre im Schloss, die ihn geprägt hat.
«Manchmal übermotiviert.» Aber auch in seiner neuen Position habe er noch viel zu lernen, «und hier zu kochen bringt mir viel», sagt Ellenberger über seinen jetzigen Job als Küchenchef. In Andreas Caminada habe er einen zuverlässigen Mentor, der ihn dennoch viel ausprobieren lasse. «Manchmal bin ich etwas übermotiviert, dann bremst mich Andreas. Und spätestens, wenn ich am Herd stehe, wird mir klar, dass er mit seinen Einwänden recht gehabt hat», sagt Ellenberger über seine Beziehung zu «IGNIV»-Erfinder Caminada.
Japanische Grossmutter und Garten. Er arbeite daran, seinen eigenen Stil zu finden, zu verfeinern und zu perfektionieren, sagt der Koch, der in seiner neuen Position mittlerweile ein wenig innere Balance gefunden hat. «Mit der Erfahrung und der Sicherheit kommt auch mehr Ruhe, ich will heute nicht mehr mit der Brechstange ans Ziel gelangen», so Ellenberger. Beim Kochen lässt er sich von seiner japanischen Grossmutter ebenso inspirieren wie vom eigenen Restaurant-Garten. Fermentation sorgt in vielen seiner Gerichten für eine zusätzliche Komplexitätsebene im Geschmacksbild: Etwa beim grillierten Fläscher Spargel mit Beurre blanc, die mit fermentiertem Spargelsaft, Yuzu und Jalapeño abgeschmeckt ist. Dazu werden Shiso-Blätter in einem federleichten Tempura-Teig ausgebacken: «Den Teig bereite ich wie mein Grosi zu», sagt Joël Ellenberger. Er verwende kein Reismehl, sondern Tapiokastärke, Eigelb und Mineralwasser, so bleibe der Ausbackteig dünn und sauge sich beim Frittieren nicht zu sehr mit Fett voll.
Saibling, Kräuter & Blüten. Gewissermassen im Garten entstanden ist hingegen der sanft gegarte Saibling mit einem Öl aus sieben verschiedenen Kräutern sowie allen Blüten (Kohl, Senf, Feldsalat u.a.), die der Garten hergibt, und einer Roggen-Kräutercreme. Wenn es um seine Arbeit gehe, sagt Joël Ellenberger, sei er sehr selbstkritisch. Vor allem als zu Beginn seiner Amtszeit Kritik der Gäste aufkam, habe das sehr in ihm gearbeitet. «Mittlerweile ist das Feedback aber sehr gut, und ich lerne, mich auf meine Stärken zu besinnen und darauf zu verlassen, was ich wirklich gut kann. Mit Leidenschaft, Stil und Verantwortung zu führen und zu kochen gehört auf jeden Fall dazu.
>> GaultMillau und American Express scouten junge, begabte Köche, die die Zukunft vor sich haben für die Liste «Talente 2023». Fortsetzung folgt.