Text: David Schnapp | Fotos: Filip Zuan
Messer & Pinzette. Bevor ich mich auf den Weg mache nach Pontresina, schleife ich meine Messer – erst auf dem Keramikstab, dann auf einem Nesmuk-Lederriemen in vier verschiedenen Feinheitsstufen. Ich packe meine Pinzette ein – man weiss ja nie – die Palette, die frisch gewaschene Kochjacke und einen Filzstift, falls es irgendwas anzuschreiben gibt. Ich habe mich bei Mitja Birlo, dem Koch des Jahres 2022 vom Restaurant Silver im 7132 Hotel in Vals (18 Punkte), als Praktikant für das St. Moritz Gourmet Festival 2022 beworben und wurde genommen. (Grosses Bild oben: Ilias Tasioulas, Mitja Birlo, David Schnapp, Julian Weller, v.l.n.r.)
Der Amateur und die Routine. Der erste Festival-Abend im freundlich-einladenden Swiss Deluxe Hotel Kronenhof in Pontresina steht an. Auf der Fahrt über den Julier bin ich während des vielen Schnees ab und zu etwas ins Schlingern gekommen und hoffe jetzt, dass mir das nur im Auto und nicht in der Küche passiert. Dies ist zwar nicht mein erster Einsatz als Hilfskoch in einem Profi-Team, aber jeder Chef ist anders und vor allem sollte man als Amateur die Macht der Routine nicht unterschätzen. Kochen sei wie eine Sprache, hat mir Daniel Humm einmal gesagt. Je früher man sie lerne, desto besser beherrsche man sie später. Ich koche zwar viel und gern zu Hause, aber das hat mit der Arbeit in einer Restaurantküche etwas so viel zu tun wie ein Fifa-Game auf der Playstation mit einem tatsächlichen Spiel an einer Fussball-Weltmeisterschaft.
«Team Silver.» «Herzlich willkommen im Team ‹Silver›», sagt mein neuer Chef Mirja Birlo zur Begrüssung, und überreicht mit passenderweise eine silberfarbene Schürze, die mich als Mannschaftsmitglied kennzeichnet. Mein Arbeitsplatz ist ab sofort etwa 30 Zentimeter tief und vielleicht 80 Zentimeter breit, ein grünes Brett liegt darauf, und verglichen mit den Annehmlichkeiten des Schreibtisches im Home-Office ist dies eine ganz andere Liga von Arbeit. «Du kannst gleich mal eine Limettenvinaigrette machen», sagt mein Kollege Julian Weller. Der 29-Jährige ist Birlos Sous-Chef und erklärt auch gleich, dass es für die Vinaigrette kein Rezept gebe, «wir machen das bei uns eher so Freestyle». Ich schlucke leer, lasse mir aber natürlich nichts anmerken und fange an, mich zu organisieren.
Schalotten und Limetten. Das Faszinierende am Kochberuf ist diese Mischung aus Kreativität, strukturiertem Denken und körperlichem Einsatz. Dass man gut organisiert sein muss, weil Zeit eine der wichtigsten Zutaten ist, habe ich mittlerweile gelernt, im Kühlhaus besorge ich Schalotten und Limetten, Kollege Julian sucht eine Saftpresse für mich; «einer für alle, alle für einen» ist das erklärte «Silver»-Motto im Stile der drei Musketiere. Und es sind kleine Dinge, an denen es sich zeigt, ob so etwas nur ein hohler Spruch oder gelebte Realität ist.
Mein «fein», Julians «fein». Zum Glück habe ich meine Messer gut geschliffen, ein halbes Dutzend Schalotten gilt es fein zu schneiden. Mein «fein» ist allerdings nicht das «fein», was sich Julian vorgestellt hat, zweimal muss ich nacharbeiten. Die Schalotten werden blanchiert, dann mit Limetten-Abrieb und -Saft, Salz und Zucker sowie etwas Gemüsefond gemischt. «Es soll nicht so sauer sein, dass es dir im Mund alles zusammenzieht», gibt Mitja Birlo die ungefähre Richtung vor. Darunter kann ich mir halbwegs etwas vorstellen, das Ergebnis kommt bei den Kollegen an. «Das ist die beste Limetten-Vinaigrette, die ich heute probiert habe», sagt Chef Mitja. «Besser kann es heute nicht mehr werden», denke ich, und schaue einigermassen optimistisch auf die kommenden Tage als Küchengehilfe.
65 Komponenten. Nach dem Mise en Place ist vor dem Service. Der Alltag in einer Profi-Küche ist, grob gesagt, zweigeteilt. Erst die Vorbereitung, dann das «Schicken», wenn die Gerichte fertiggekocht, angerichtet und den Gästen schlussendlich serviert werden. Bis zu diesem Zeitpunkt sind für die drei Snacks und sechs Gänge des Gourmet-Festival-Menüs insgesamt rund 65 Komponenten bereitzustellen. Klein geschnittene, eingesalzene Orangenschalen, gehackte, getrocknete Blüten von Butterblumen oder gewaschene ganze Sellerieknollen. Ich wäge Kaviari-Kaviar-Portionen à exakt 10 Gramm ab, falte zusammen mit Kollege Julian Dumplings mit Hummerfüllung zu kleinen hübschen «Bonbons», portioniere Kräuter und vieles mehr. Je besser die Vorbereitung und Organisation, desto leichter der Abend…
Steile Treppen. Der erste Service läuft erstaunlich gut, weil der Abend erst kurzfristig ins Programm genommen wurde, sitzen nur 16 Gäste im Restaurant Kronenstübli. Am Ende gibt es ein kurzes Debriefing, für den nächsten Tag werden im Ablauf einige Anpassungen vorgenommen. Das «Kronenstübli» liegt zwei steile Treppen über der Küche, die Gerichte müssen also erst in die Höhe gebracht werden, was einigermassen herausfordernd ist. Die Köche entscheiden, dass am nächsten Tag anders «geschickt» wird. Das wird uns allerdings dann auch nicht helfen, wie sich am nächsten Abend zeigt. Davon aber morgen mehr.
>> Während der 28. Ausgabe des Gourmet Festival St. Moritz kocht Channel-Autor David Schnapp im Team von Koch des Jahres Mitja Birlo im «Kronenhof», Pontresina und berichtet hier über seine Erfahrungen. Der nächste Tagebucheintrag handelt von Karotten-Rauten, gemischtem Salat und dem «schlimmsten Service seit langem».