Text: David Schnapp | Fotos: Filip Zuan
Das grosse Ganze. Am letzten Tag des Einsatzes als Praktikant im Team von Koch des Jahres Mitja Birlo (Restaurant Silver, 7132 Hotel, Vals) ist meine Zuversicht schon bei Arbeitsantritt ziemlich intakt. Professionelle (Gross-)Küchen wie jene im Grand Hotel Kronenhof, wo «Team Silver» während des Gourmet Festivals St. Moritz zu Gast ist, sind faszinierende Organismen menschlichen Leistungsvermögens, sie leben von Leader-Persönlichkeiten und kompromissloser Zusammenarbeit. In dieser kleinen Welt habe ich für ein paar Tage meine Rolle gefunden und bin, zu meiner eigenen Zufriedenheit, Teil eines grossen Ganzen geworden.
Anatomie des Steinbutts. Der Arbeitstag startet aber mit einem kleinen Lehrgang in Fisch-Anatomie. Frische-Spezialist Bianchi hat zwei wild gefangene Steinbutt geliefert, der grössere wird von meinen Kollegen als «Riesen-Oschi» gewürdigt, der kleinere wird zu meiner Aufgabe. Wenn der Steinbutt erst einmal filetiert und portioniert ist, wird er gebeizt, kurz geräuchert, dann in Butter im Wasserbad pochiert, zum Schluss kurz abgeflämmt und mit einer Ponzu-Vinaigrette und einer Rettich-Shiso-«Blume» dekoriert. Zunächst aber zeigt mir Mitja Birlo, wie der vorbereitende erste Schnitt dem Saum entlang anzubringen ist.
Dem Filet entlang. Danach soll ich mit möglichst flach gehaltenem Messer und ausreichend Druck das edle Fleisch direkt oberhalb der Knochen lösen. Irgendwo auf dem rund 25 bis 30 Zentimeter langen Weg dem Filet entlang lasse ich etwas zu viel Fisch an der Gräte, aber zum Schluss liegen vier gut sichtbare, weissfleischige Beweismittel als stumme Zeugen meiner Bemühungen auf einem Edelstahlblech.
Teil des Systems. Nun gilt es die Limetten-Vinaigrette zubereiten, mittlerweile eine meiner festen Aufgaben. Ich bin Teil des Systems geworden, was für eine tiefe Befriedigung sorgt. Limetten schälen und pressen, Gemüsefond und blanchierte Schalotten mischen, abschmecken: Das alles läuft reibungslos, und am Ende bestehe ich auch die Geschmacksprobe beim Chef. «Einfach nur perfekt!», sagt Mitja gut gelaunt. Der Spruch ist ein geflügeltes Wort in der «Silver»-Küche und löst jedes Mal wieder einen kleinen Moment der Heiterkeit aus, die den hier herrschenden Mannschaftsgeist ausmachen.
Kaffee-Infusion. Der Service für 38 Gäste, die meisten sitzen um 19 Uhr am Tisch, wird intensiv. Wenn alle gleichzeitig kommen, bedeutet das für die Küche eine herausfordernde Temposteigerung. Der Körper schüttet Adrenalin aus, ich bin hellwach und fokussiert, als würde ich an einer Kaffee-Infusion hängen. Lattich-Salatherzen anrichten, Saucen abwiegen und wärmen, benutzte Töpfe und Bleche wegräumen, viele Handgriffe habe ich verinnerlicht. «Let’s do this together as a team», ist noch ein Spruch, der immer wieder fällt – jeder hilft dem andern, niemand ist sich für nichts zu schade.
Prägnante Anweisung. Mitja Birlo ist ein Meister darin, eine Arbeitsatmosphäre zu schaffen, die Höchstleistung, Kreativität und Humor gleichermassen umfasst. Wenn etwas nicht so ist, wie es sein soll, gibt es eine kurze, prägnante Anweisung – ohne Groll oder Vorwurf. Der erfolgreiche 18-Punkte-Chef nimmt sich selbst nicht so wichtig, seine ganze Aufmerksamkeit gilt in jedem Moment dem Teller, der jetzt gerade die Küche verlässt. In der Küche, so scheint es mir nach diesen vier Tagen als Hilfskoch, ist eine ziemlich gute Schule fürs Leben.