Text: Urs Heller | Fotos: Thomas Buchwalder, Marcus Gyger, HO
Kälte ist sein Ding! «Kempis next Superstar?», fragten wir vor einem Jahr. Das Fragezeichen können wir mittlerweile weglassen: Der junge Schwyzer Reto Brändli sorgt in Kempinskis «Cà d’Oro» für die wohl aufregendste Küche im Tal. «The Brändli Way»? Der Chef kombiniert unglaublich aufwändig, setzt in jedem Gang auf sehr viele Komponenten, stürzt dabei aber erstaunlicherweise nie ab. Er serviert in einem Höllentempo und setzt oft auf ungewöhnliche Temperaturen: Kälte ist sein Ding! «Macht ein Gericht leichter, frischer», ist er überzeugt, «Foie gras beispielsweise ist bei Zimmertemperatur megaheavy. Also serviere ich sie kühl.» An erstklassiger Unterstützung fehlt es ihm nicht: Andreas Caminada und Benoît Violier gehörten zu seinen Ausbildnern, in St. Moritz hat er mit Executive Chef Matthias Schmidberger einen perfekten Partner: Er pusht ihn, bremst ihn, feilt mit ihm oft wochenlang an den letzten Details. Die beiden verbindet eine grenzenlose Leidenschaft für richtig gute Küche. Auch General Manager Konstantin Zeuke spielt mit: Beim Einkauf haben die Jungs in Weiss freie Hand und offensichtlich keine Limiten.
«Un piatto shok». Von 0 auf 100 bereits bei den Starters! Highlights in der beeindruckenden Amuse-bouches-Karawane: Ein Ei aus Savognin, gefüllt unter anderem mit Kartoffelschaum und weissem Trüffel. Noch besser die Schwertmuschel: Shrimps, Vongole, Lychee, Sepia, Fingerlime, Dashi-Vinaigrette. Eine Geschmacksbombe auf kleinstem Raum. Brändli: «Dieses Gericht haben wir ein paarmal geübt.» Den Start ins Menü wohl auch: Foie gras & Hummer! Brändli greift zu Stickstoff und Lötkolben (!), präsentiert eine beeindruckende Foie Gras-Sphäre. In der gefrorenen Kugel unter anderem Hummerscheren und Mandarinenschaum, daneben ein kleines, eiskaltes Stück von der klassischen Terrine und fast roher Hummer in Carpaccio-Form. Eine dramatisch reduzierte Hummer-Bisque, schon fast Medizin, wird dazu gegossen. Der Kellner kommentiert angesichts der diversen Kälte-Kugeln im Teller cool: «Un piatto shock!»
Tonic am Lachs & Entenmuscheln. Wir erholen uns schnell: Lostallo-Lachs steht an, gebeizt, geflämmt, bei 42 Grad gegart, kalt geräuchert. «Ein Spitzenprodukt!», schwärmt der Chef vom «Swiss Lachs» und richtet mit der grossen Pinzette auf kleinstem Raum an: eingelegter Rettich und Gurken, Salzzitrone, Jalapeños, Radiesli – und Tonic! Letzteres mit sauberer Quellenangabe: «Ein Überbleibsel aus meiner Zeit bei Andreas Caminada.» Beim Kaisergranat bewundern wir Qualität und Präzision der Zubereitung und wundern uns über die kleinen Dinger, die wir zwischen Karotten und Koriander entdecken: Entenmuscheln! Die kleinen, sündhaft teuren Krebse werden in Portugal aus dem Felsen geschlagen und von Bianchi in die Schweiz importiert. Sie schmecken nach Meer. Und passen perfekt zum «Norway Lobster».
Brändli mag die grossen Dinger. Beim Steinbutt telefoniert er regelmässig alle Händler ab, bis er sein bevorzugtes Format kriegt: acht bis zwölf Kilo! «Nur so ist das Fleisch schön dick», sagt der Chef, «das erwartet der Gast in einem Spitzenrestaurant.» Zur perfekt gebratenen Tranche (mit markanten Röstaromen) gibt es spannende «Accessoires»: Piemonteser Haselnüsse. Und Kaviar: Beluga aus der grossen Dose. Deftiger geht auch: Hoflieferant Fredy von Escher schickte für die Festtage nicht nur 100 Wildvögel ins Engadin, sondern auch seinen Klassiker: Ormalinger Schwein. Verwertet wird alles: Der Rücken, die Schulter, das Kinn, für Glückspilze auch das Filet. Highlights im Teller: Die kleinen Schweinewürfel (Schulter) in der perfekten Sauce. Und die Blutwürste als «Beilage», angeliefert von der Savogniner Kult-Metzgerei Peduzzi. Dann hat die 22-jährige Tessiner Pâtissière Valentina Cavagliotti ihren Auftritt. Sie kriegt nicht nur von den Gästen Applaus, sondern auch von ihren Chefs: «So jung und schon so gut. Unglaublich!», staunt Brändli und ist echt stolz auf seine U30-Brigade.
Romanée Conti für 26 500 Franken. Im «Cà d’Oro» reservieren die Foodies, angelockt von Punkten und Sternen, und bestellen vier bis acht Gänge aus dem erstaunlich preiswerten Menü. Hotelgäste blättern auch mal in der Karte, ordern beim souveränen Mâitre Raffale Rispoli vergnügt Kaviar (fünf Sorten, Einstiegsmenge 50 Gramm!), Tagliolini mit Alba-Trüffel, Wolfsbarsch im Salz oder Kobe-Entrecôte. Beim Wein gibt es nach oben keine Grenze. Da wird auch mal eine Flasche Domaine Romanée Conti 2011 entkorkt. St. Moritz-Preis: 26 500 Franken.