«Kribbeln im Bauch.» Er fühle sich wie ein Börsenhändler, der gleichzeitig auf verschiedenen Kanälen noch irgendwas bestellen oder besorgen müsse, sagt Heiko Nieder am späten Nachmittag – kurz bevor zum neunten Mal das von ihm initiierte Gourmetfestival The Epicure startet. Für einen der Gastköche muss der Culinary Director des Dolder Grand Hotels noch etwas im Baumarkt besorgen lassen, ein anderer hat kurzfristig seine Bestellung angepasst, aber Nieder regelt all dies mit der Gelassenheit eines Bergsteigers, dessen Ruhepuls auch kurz vor dem letzten Aufstieg zum Gipfel kaum über 60 Schläge steigt. «Mich bringt so leicht nichts mehr aus dem Konzept, aber ich habe trotzdem vor jedem Abend bei ‹The Epicure› und auch noch vor jedem Service ein leichtes Kribbeln im Bauch», beschreibt Heiko Nieder seinen Gemütszustand. Grosses Bild oben: Gastkoch Norbert Niederkofler mit Heiko Nieder (r.)

Team Südtirol

«Team Südtirol»: Norbert Niederkofler mit drei seiner Köche aus dem «Atelier Moessmer» in Bruneck.

Heiko Nieder und Team

Perfekter Gastgeber: Heiko Nieder mit seinem Team im «The Restaurant».

«Ich bin gerne hier.» Mit dem Südtiroler Starchef Norbert Niederkofler hat Heiko Nieder für den ersten Tag seines Festivals einen «Rückkehrer» eingeladen, der schon 2018 einen Kurzauftritt am «Dolder»-Festival hatte. «Ich habe sofort zugesagt, als mich Heiko gefragt hat. Ich mag Zürich und bin gerne hier», sagt Niederkofler. Der 62-Jährige aus dem erst im Juli 2023 eröffneten und bereits mit drei Michelin-Sternen ausgezeichneten Atelier Moessmer in Bruneck hat für den Auftritt in Zürich einige seiner Köche und auch seinen hervorragenden Sommelier Lukas Gerges mitgebracht, gut vorbereitet sind sie alle.

Konsequente Regeln. Norbert Niederkofler hat im Laufe der letzten Jahre eine sehr konsequente Küchenhandschrift unter dem Titel «Cook the Mountains» entwickelt und darf ruhig als Vater der alpinen Haute Cuisine angesehen werden. Anders als etwas sein Schweizer Kollege Sven Wassmer, der im «Memories» in Bad Ragaz einen ähnlichen, aber freieren Ansatz verfolgt, hat Niederkofler strenge Regeln aufgestellt, nach denen seine Gerichte entwickelt werden: Gearbeitet wird konsequent nur mit dem, was in den Bergen wächst: Zitrusfrüchte, Olivenöl, Schokolade oder Hummer gehören nicht dazu. Die Saison ist wichtig und in den Bergen zu kochen, heisst vorausdenken zu müssen. «Wir nutzen etwa für bis zehn Prozent der Produkte frisch, der Rest wird fermentiert, in Öl oder Essig eingelegt, eingefroren oder anderswie konserviert», so Niederkofler. 

Saibling Nose to Tail

Start ins Menü: Saibling «Nose to Tail» mit Meerrettich und Fenchelöl von Norbert Niederkofler.

Erst Saibling, dann Nüsslisalat. Zum Start gibt es Saibling «Nose to Tail», möglichst wenig Abfall zu produzieren, ist ein weiteres Prinzip des Südtirolers mit der klaren Handschrift. Der Fisch wird als Tatar serviert, die Beurre Blanc mit Meerrettich und Fenchelöl dazu wird auf Basis der Gräten und Köpfe angesetzt, dazu gibt es den Rogen und die Haut wird zum Knusperelement. Heiko Nieder serviert gleich danach eine neue Kombination mit einer Art leichtem Flan auf Ei-Basis sowie Nüsslisalat, der mit einem Kartoffeldressing und Kaviari-Kaviar gewürzt ist. Der Reiz dieser Abende, bei denen abwechselnd Gerichte des Gastkochs und von Heiko Nieder serviert werden, liegt nicht zuletzt in der Wechselwirkung unterschiedlichster Stile und Küchenphilosophien, die für einen besonderen Spannungsbogen sorgen.

Nüsslisalat «Heiko Style»

Nüsslisalat «Heiko Style»: Vorspeise mit pochierter Ei-Bergkartoffel-Creme und Kaviar.

Am Grill

Stundenlang am Grill: Zubereitung des «Grauviehs» auf Holzkohle.

Stundenlang am Grill. Die letzte der vier Grundregeln von Norbert Niederkofler betrifft die Zubereitung von Fleisch: Es wird ausschliesslich auf offenem Feuer grilliert, auf den Einsatz von in Profiküchen üblichen Geräte wie temperierte Wasserbäder, Holdomat oder sogar Öfen wird verzichtet. Für die verschiedenen Stücke (Roastbeef, Entrecôte, Filet) vom «Grauvieh», die als Hauptgang serviert werden, musste ein Koch geduldig unter einem Schirm im Regen am Grill stehen. Das Fleisch wird rund zwei Dutzendmal kurz auf die Hitze gelegt und ruht dann wieder, bis es über mehrere Stunden langsam den perfekten Garpunkt erreicht hat. Das Resultat ist ein intensiver Fleischgeschmack, der durch einen besonderen Jus verstärkt wird. Auch hier hat das «Team Niederkofler» klare Vorstellungen. Die verbreitete, sirupartige Reduktion von Jus’ mit mehreren Ansätzen sei nicht überzeugend. Man setze die Sauce zwar auf mit Fleisch und Knochen des Tiers an, «weil sie aber nicht so stark reduziert wird, kommt der Fleischgeschmack besser zum Ausdruck», erklärt Sommelier Lukas Gerges.

Grauvieh oder Saibling? Für einige Gäste ist es der beste Gang des Abends, komplettiert mit einer Salsa Verde aus frischen Alpenkräutern sowie sautiertem guten Heinrich, einer Art wildem Spinat. Für andere wiederum sticht Heiko Nieders feinsinniger Saibling heraus, der zart confiert und an einer Beurre blanc mit Kamille serviert wird. Wie auch immer der individuelle Geschmack ausfällt, für Gastgeber Nieder steht am Ende fest: «Der Abend hat Spass gemacht, es ist schön mit Leuten wie Norbert zusammenzuarbeiten.»

>> The Epicure vom 2. bis 7 Juli 2024

 

Fotos: HO The Dolder Grand