Text: David Schnapp Fotos: Olivia Pulver
Thomas Huber, den Begriff gutbürgerliche Küche hört man oft, aber was ist das eigentlich?
Der Begriff «gutbürgerlich» ist vielleicht etwas aus der Mode geraten. Eigentlich sprechen wir von einer klassischen Küche. Es geht um Qualität von A bis Z und für mich heisst klassisch, dass es zwingend Rösti zum Geschnetzelten gibt und Kartoffelstock zum Hackbraten – keine Experimente!
Wenn bei Klassikern definitionsgemäss keine besondere Kreativität gefragt ist, worauf kommt es stattdessen an?
Man kann natürlich diese Gerichte kreativ umsetzen, aber die Frage ist, ob das jemand will. Gerade bei Klassikern haben die Gäste Erinnerungen und einen gewissermassen abgespeicherten Geschmack. Das sollte man nicht enttäuschen. Deshalb sind Produktequalität und Geschmack entscheidend.
Was heisst das genau?
Es ist entscheidend, dass man gute Kartoffeln, Karotten und Fleischstücke nimmt. Und man sollte sich nicht täuschen: Klassische Küche gibt viel Arbeit, es braucht Zeit für die Vorbereitung und Sorgfalt in der Ausführung.
Zürcher Geschnetzeltes mit Rösti, Hackbraten mit Kartoffelstock, Rindfleischvögel mit Polenta – was verbindet dieses gutbürgerliche Trio?
Neben der erwähnten Qualität der Grundprodukte fordern alle diese Rezepte ein gewisses Mass an Handwerk und Zeit. Einen Fleischvogel, wie ich ihn zubereite – nur mit dünn geklopftem Rindfleisch, Speck und Gemüse – aber ohne Kalbsbrät – macht heute fast niemand mehr. Und eine Rösti ist etwas scheinbar so Einfaches und trotzdem gibt es viele Parameter, bei denen man etwas falsch machen kann…
Was kann bei einer Rösti alles schief gehen?
Es beginnt bei der Kartoffelsorte: Ich verwende immer gut gelagerte Agria, die ich von einem Bauern im Freiamt beziehe. Die gare ich in der Schale im Steamer bis zu einer Kerntemperatur von 70 bis 75 Grad. Die Kartoffeln sollten nicht zu weich sein. Aus den Restkartoffeln vom Raclette am Vorabend wird selten eine gute Rösti! Dann geht es darum, dass die Kartoffeln möglichst viel Wasser verlieren, damit sie beim Braten knusprig werden. Deshalb lagere ich sie mindestens fünf, sechs Tage, nicht zugedeckt im Kühlschrank. Beim Hobeln auf der Röstiraffel sollte man die Kartoffel anschliessend immer nur in eine Richtung bewegen, damit es keine kleinen Stücke gibt, die in der Pfanne schnell verbrennen. Ich lasse die gehobelten Kartoffelstreifen auf einem Blech ausgebreitet noch etwas liegen, damit sie noch mehr Feuchtigkeit verlieren.
Worauf ist beim Braten in der Pfanne zu achten?
Auch hier braucht es Zeit: Man brät die Kartoffeln lieber auf mittlerer Temperatur etwas länger, als mit hoher Temperatur schnelle Ergebnisse erzwingen zu wollen. Ich gebe zuerst geklärte Butter in die Pfanne und später noch einige Flocken frischer Butter, damit die Rösti schön bräunt.
Wie gelingt ein guter Kartoffelstock?
Für Kartoffelstock nehme ich auch die vorwiegend mehlige Agria, koche sie weich, lasse sie gut ausdampfen, drücke sie durch die Kartoffelpresse und rühre dann eine Mischung aus Rahm und Butter ein. Wenn man den Kartoffelstock vorbereiten will, um ihn später aufzuwärmen, ist es ratsam, mehr Rahm als Butter zu verwenden, weil sich diese mit der Zeit wieder absetzt. Beim Garen rate ich zu Steamer oder Dampfkochtopf, das Kochen im Salzwasser ist hingegen nicht ideal.
Polenta klingt nach einer Allerweltsbeilage, wie macht man trotzdem richtig gut?
Für mich ist das die beste Beilage zu geschmortem Fleisch. Auch eine Polenta braucht halt etwas Zeit. Ich nehme ein Bio-Produkt aus dem Piemont, einen Gemüsefond und den gleichen Anteil Milch. Das koche ich auf, lasse den Maisgriess darin quellen, und dann gare ich die Polenta im Steamer. Man kann sie aber auch in eine Schüssel geben, diese in ein Wasserbad stellen und etwa 45 Minuten bei 190°C Grad im Ofen zubereiten. Das Ziel ist, das Maiskorn zu brechen, damit es weich wird. Natürlich geht das auch im Kupferkessel auf offenem Feuer, wie es die Tessiner machen. Aber mit der Wasserbad-Ofen-Methode kann ich mir diesen Aufwand sparen. Gewürzt wird am Schluss mit gedünsteten Schalotten und Knoblauch, Sbrinz sowie etwas brauner Butter.
Welche Fleischstücke eigenen sich für Geschnetzeltes, für Hackbraten und Rouladen?
Es braucht Fleisch, das zwei Wochen gereift ist und deshalb weniger Wasser hat. Fleisch für Geschnetzeltes muss von Hand quer zur Faser in nicht zu kleine Stücke geschnitten werden. Als ich im «Dolder» gearbeitet habe, wurde immer Kalbsfilet verwendet, ich nehme aber lieber Fleisch vom Stotzen, einem Teil des Hinterbeins. Es hat mehr Charakter. Auch beim Rindfleischvogel verwende ich die so genannte Unterspalte, dieses Fleisch lässt sich am besten auf die entsprechende Grösse klopfen. Und für den Hackbraten verwende ich nur Kalbfleisch, zum Beispiel von der Brust. Das hat den Fettanteil, den es zum Binden braucht.
Kann man Hackbraten auch mit Fleisch aus dem Supermarkt zubereiten?
Das beste Ergebnis erzielt man mit Fleisch vom Metzger, das zusammen mit dem Brot, den Gewürzen und anderen Zutaten frisch durch den Wolf gedreht wird. Der Geschmack und die Struktur, welche ich mir vorstelle, erhält man nicht, wenn das Fleisch schon gewolft ist und erst danach mit den übrigen Zutaten vermischt wird.
Ein guter Kalbsjus ist die Basis der Saucen für alle diese Gerichte. Was empfehlen Sie: selber machen oder gut einkaufen?
Für zu Hause rate ich gut einzukaufen, ein hochwertiges Produkt aus dem Laden oder vom Restaurant des Vertrauens. Bei uns und bei vielen meiner Kollegen kann man hochwertige Fonds beziehen. Sie haben halt einen gewissen Preis, weil viel Arbeit dahintersteckt.
Wenn man Kalbsjus doch selber macht, worauf ist zu achten?
Die Knochen am besten im Umluftofen bei 190 Grad etwa zwei Stunden rösten. Dann machen wir einen ersten Ansatz in der Pfanne mit wenig Gemüse, hauptsächlich Zwiebeln, Sellerie, etwas Tomatenmark und kaum Karotten, die in etwas Öl kräftig angebraten werden. Wichtig ist es, die Bleche, auf denen die Knochen geröstet wurden, zu deglasieren: Man gibt etwas Wasser darauf und lässt es zehn Minuten stehen, so lösen sich die wertvollen Aromen- und Röststoffe, die ich dann in meinen Ansatz gebe. Gemüseansatz und Kalbsknochen werden jetzt leicht gesalzen, mit kaltem Wasser aufgefüllt, langsam erhitzt und dann lasse ich alles rund 10 Stunden ziehen, ohne den Fond zu kochen. Danach wird er passiert. Für den zweiten Ansatz reduziere ich Wein ganz langsam, er soll eher verdampfen als verkochen. Auf 20 Kilogramm Knochen kommen 10 Liter Rotwein, die auf 1,5 Liter reduziert wurden. Zum Schluss kommt der Fond zur Reduktion, einige Gewürze und dann wird alles nochmals reduziert. Das ist das Geheimnis der klassischen Küche: Sie wird nur gut, wenn man sich dafür Zeit lässt.