Text: David Schnapp

Tim Raue, beginnen wir mit einer einfachen, aber nicht leicht zu beantwortenden Frage: Wie geht es Ihnen?

Ich will mich nicht beklagen, vielen geht es schlechter als mir. Aber so langsam könnte ein Ende dieser Krise in Sicht kommen. Es mangelt mir an Verständnis, wenn täglich im Bus und beim Einkaufen die Leute eng zusammen sind, aber in der Gastronomie, wo funktionierende Hygienekonzepte entwickelt wurden, ein sozialer Austausch verunmöglicht wird. Es gab ja nach allen bekannten Daten sehr wenig Ansteckungen in Restaurants, und sie zu öffnen wäre ja auch ein Zugeständnis für ein lebenswertes Miteinander.

 

Geben Sie uns Schweizern einen kurzen Überblick: In welcher Lage befindet sich die deutsche Gastronomie?

Wir sind seit dem vergangene November komplett im Lockdown, und die Hoffnung auf eine Öffnung der Aussengastronomie wurde zunichte gemacht durch die gestiegenen Inzidenzwerte. Wir können zwar Take-away machen, aber viele Kollegen haben seit Monaten komplett geschlossen, und die Frustration ist gross. Erst per Ende März sind die November- und Dezemberhilfen angekommen, aber die Gelder der Überbrückungshilfe kommen auch nur, wenn man komplett dicht macht und alle Mitarbeiter nach Hause schickt, wo sie mit 70, 75 Prozent des Lohnes auskommen müssen, und es ihnen oft nicht gut geht.

 

Viele Branchen kommen ganz gut durch die Krise, mangelt es der Gastronomie an effizienter Lobbyarbeit?

Das ist nicht der ausschlaggebende Punkt. Unsere Kanzlerin will das soziale Miteinander unterbrechen, weil sie überzeugt ist, dass dies das Mittel gegen dieses Virus ist. Man darf zwar zur Arbeit, aber alles, was Freizeit betrifft, wird verboten. Man soll zu Hause bleiben und möglichst wenig Kontakte haben. Tim Mälzer und ich selbst sind oft im Austausch mit Regierungsstellen, wir haben viele Kontakte in die Ministerien und werden da auch gehört.

 

Aber ohne Ergebnis…

Wenn die Kanzlerin darauf beharrt, dass wir bis zum Herbst 2021 die Innenbereiche nicht öffen dürfen, können wir nichts machen. Und alles, was wir hören, deutet darauf hin. Es stehen uns also noch düstere Monate bevor.

Restaurant Tim Raue Berlin

«Uns stehen düstere Monate bevor»: Restaurant Tim Raue in Berlin.

 Potsdam, Villa Kellermann, ein entstehendes Restaurant in Kooperation zwischen G¸nther Jauch und Tim Raue Potsdam *** Potsdam, Villa Kellermann, an emerging restaurant in cooperation between G¸nther Jauch and Tim Raue Potsdam

Kooperation zwischen Tim Raue und Günther Jauch: Villa Kellermann in Potsdam.

Wie ist es für Sie als Koch, wenn kochen für Gäste nicht möglich ist?

Zum Glück können wir ja für Gäste da sein, wir beliefern mit unserem Konzept Fuh Kin Great mittlerweile ganz Deutschland, ich war zwischendurch auch als Gastkoch auf den Malediven und kann fürs Fernsehen reisen. Ich bin glücklich darüber, diese Freiheit zu haben. Aber wenn es ums Kochen geht, ist Take-away, als würde man ein Team aus der Formel 1 auf die deutsche Tourenmeisterschaft hinunternivellieren. Statt acht Handgriffe pro Teller sind es jetzt höchstens noch drei. Das ist eine ganz andere Art zu Kochen und dabei geht auch viel verloren. Es wird dauern, bis wir wieder auf dem Niveau früherer Tage angelangt sind.

 

In der Schweiz sind Hotels geöffnet, die hauseigenen Restaurants bleiben für Gäste zugänglich. Bedauern Sie, Ihr Engagement im St. Moritzer «Kulm» vorzeitig beendet zu haben?

Nein, ich mag das «Kulm» und Heinz Hunkeler sehr, aber rückblickend war die Entscheidung genau richtig. Die Saison in St. Moritz hat sich ja als schwierig herausgestellt und wurde teilweise vorzeitig beendet. Und ich habe meine ganze Kraft gebraucht, um den eigenen Betrieb am Leben zu erhalten, das Hin- und Herreisen wäre da nicht sinnvoll gewesen.

 

Das «The K by Mauro Colagreco» wurde schon nach kurzer Zeit mit einem Stern ausgezeichnet. Kommt da etwas Neid auf?

So ist das im Leben, geht der eine, kommt der andere. Ich verstehe, dass Heinz Hunkeler Mauro geholt hat, und da war ja ein hervorragendes Team direkt aus Menton am Werk; die hätten wohl auch zwei Sterne holen können.

The K St. Moritz

«Richtiger Entscheid»: Mauro Colacreco hat von Tim Raue «The K» im Kulm Hotel St. Moritz übernommen.

Sind TV-, Podcast- oder Clubhouse-Auftritte für Sie mittlerweile mehr als eine Beschäftigungstherapie?

Ich muss meine Zeit ja so einsetzen, damit ich damit Geld verdienen kann. Und Fernsehen wird dieses Jahr meine Haupteinnahmequelle sein.

Wie steht es um Ihre anderen geschäftlichen Aktivitäten?

Meine vier Kreuzfahrtrestaurants existieren nicht mehr, und wann die Schiffe wieder in See stechen, steht in den Sternen. Die Villa Kellermann in Potsdam kommt dank der Hilfen strukturell gut durch die Krise, und die Brasserie Colette ist in Wohnresidenzen für ältere Menschen untergebracht. Das war bisher Hochrisikogebiet, mit der Impfung dürfte sich das wieder entspannen.

Mit Ihrem Freund Tim Mälzer verbindet Sie eine sehr telegene Hassliebe. Kochen Sie eigentlich auch privat zusammen, oder geht das wirklich nicht, wie kürzlich wieder bei «Kitchen Impossible» zu sehen war?

Das letzte, woran wir denken, wenn wir uns sehen, ist wirklich, dass wir zusammen kochen könnten. Wir gehen lieber an einen schönen Ort, wo für uns gekocht wird, und wo es guten Rot- und Portwein gibt. Die Fernsehunterhaltung, die wir ohne uns verstellen zu müssen bieten können, funktioniert nur deshalb, weil uns eine bestimmte Chemie verbindet, und wir uns wirklich sehr mögen. Wenn Mälzer kocht, ist er sehr ehrgeizig und will auch gewinnen, es ist aber immer, als wäre er mit einem klapprigen Fahrrad unterwegs. Ich hingegen bin in der Küche unfassbar ehrgeizig, diszipliniert und funktioniere wie ein Formel-E-Auto.

Tim M‰lzer (l.) und Tim Raue

«Uns verbindet eine bestimmte Chemie»: TV-Stars Mälzer und Raue.

Ihr Transportmittel aus dem schwierigen Umfeld Ihrer Kinder- und Jugendzeit war genau die harte Arbeit und unglaubliche Disziplin. Hat Sie das auf eine Krise wie die jetzige vorbereitet?

So hart wie ich diesem Jahr arbeiten musste, habe ich schon lange nicht mehr gearbeitet. Meine Exfrau und Geschäftspartnerin Marie und ich mussten die durch politische Vorgaben ständig wechselnden Möglichkeiten ausloten, um einen Betrieb mit über 40 Mitarbeitern am Leben erhalten zu können. Der Pro-Kopf-Umsatz im Hauptrestaurant betrug vor der Krise 300 Euro pro Gast, heute verschicken wir Menüs ab 68 Euro pro Person. Wir müssen also die fünffache Menge produzieren, um denselben Umsatz zu erzielen.

 

Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Meine Nerven lagen teilweise blank, die Krise hat extrem an mir genagt, weil wir jeden Tag ums Überleben kämpfen auf eine Art, wie ich es tatsächlich nur in meiner Jugendzeit gekannt habe.

 

Gibt es Erkenntnisse aus dem letzten Jahr, die Sie ohne Lockdown und Zwangsschliessung nicht gemacht hätten?

Nein, aber was mir wieder in Erinnerung gerufen wurde ist, dass es kein Ende gibt im Leben: Man hat nie ausgelernt. Ich bin gedanklich schneller als andere und kann mich besser anpassen. Das musste ich schon als Kind lernen, und so überlebe ich heute.

*** SPECIAL FEE *** Sternekoch Tim Raue, hier: in seinem Restaurant "Tim Raue", deutscher Koch, Gastronomie, Koch, Portrait, Einzelportrait, Europa, Deutschland, Berlin-Kreuzberg, 08/2015Engl.: Portrait of chef and owner Tim Raue

Disziplin und harte Arbeit: höchste Präzision im Restaurant Tim Raue.

Eisbein Tim Raue

«Unfassbar ehrgeizig»: Raues Eisbein mit japanischem Senf und Dashi.

Als bester deutscher Koch auf der Liste der «50 best Restaurants»: Wie schätzen Sie die Lage ein, welche Auswirkungen hat diese Krise auf nationale und internationale Gastronomie?

Das ist noch nicht absehbar. Was mich schwer beschäftigt, ist das Reisen. Ich sehe, dass sich vor allem die Europäer damit schwertun, während etwa der Flugverkehr in Asien oder im mittleren Osten schon wieder rege zunimmt. Bei uns werden wohl Hygienekonzepte noch läger bleiben. Die grosse Frage aber ist: Wie kommen die Menschen zu uns, in Städte wie Wien, Zürich oder Berlin? Ich glaube, dass auch 2022 noch ein Jahr der Erholung sein wird, und wir erst 2023 oder 2024 auf das Niveau von Zeiten vor der Krise zurückkehren werden.

 

Werden Ihre Betriebe verändert aus dieser Krise herauskommen, oder wollen Sie einfach dort weiterzumachen, wo Sie aufhören mussten?

Ich will die Sachen so weiterführen wie bisher, aber dafür müssen wir noch durch einen längeren Tunnel. Für das Hauptrestaurant versuchen wir, eine Terrasse zu installieren, was sehr komplex ist. Das liegt als nächstes vor uns, und viel weiter denke ich gar nicht. Die grösste Sorge macht mir die Kreuzfahrtschiff-Branche, die haben durch den Fehler einer Reederei pauschal einen schweren Imageschaden erlitten. Die anderen Restaurantstandorte sind gut aufgestellt, da können wir weitermachen, wo wir aufhören mussten.

 

>> www.tim-raue.com

 

Fotos: Nils Hasenau, Jürgen Ritter, Moris Mac Matzen/RTL, Christian Kerber, Joerg Lehma/Callwey, HO