Text: David Schnapp
Drehendes Karussell. Spätestens die Corona-Zeit und die Lockdowns haben für jeden deutlich sichtbar gemacht, dass die ruhigen (und sehr erfolgreichen) Jahre der Gastronomie vorbei sein könnten. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich verschlechtert, Waren und Energie beispielsweise wurden deutlich teurer. Ausserdem sinkt die Bereitschaft beim Personal, sehr viele Arbeitsstunden für eher bescheidene Löhne und unter teilweise herausfordernden atmosphärischen Bedingungen zu leisten. Und schliesslich ändern sich die Ansprüche der Gäste: Einfach, locker, aber fein ist heute wohl stärker nachgefragt als kompromisslose Spitzenleistungen. Die Folge dieser Entwicklung ist ein sich schneller drehendes Personalkarussell. Noch nie waren so viele ausgewiesene Schweizer Starchefs ohne festes Restaurant, fast im Wochentakt gibt es Abgänge oder Neuanstellungen zu vermelden. Gründe genug für eine Bestandsaufnahme: Welcher Chef ist zurzeit daran, sich neu zu orientieren und wer plant demnächst was? Die Übersicht.
Was bisher geschah: Der beste italienische Koch Zürichs musste Ende April 2024 seine letzte Wirkungsstätte verlassen. Die Familie Bindella wollte im Prestige-Projekt «Ornellaia» ein etwas einfacheres Konzept realisieren. Antonio Colaianni nahm sich drei Monate Auszeit, bevor er als Event- und Privatkoch wieder aktiv wurde: Im «Marmite Foodlab» oder «Old Fashion» kochte der Italo-Berner wieder, und auch für die kommenden Wochen sind Auftritte im «Château Gütsch» (18.1.–20.1./25.1.–27.1.2024 in Luzern), «Freilager» und «Puro» (Zürich) oder im «Pflugstein» (Erlenbach) geplant. «So zu arbeiten ist ganz anders. Man ist auf sich gestellt, regt sich weniger auf, arbeitet aber auch mehr. Es ist einfacher, aus einem Restaurant heraus Events vorzubereiten als aus der Küche zu Hause. Aber es macht mir Spass - ich erlebe Dinge, die ich sonst nie erleben würde», sagt Colaianni über seine Arbeitssituation.
What’s next? Antonio Colaianni ist zurzeit in Verhandlungen für ein kleines Restaurant in der Stadt Zürich: «Ich möchte nicht mehr auf höchstem Niveau kochen, sondern italienischen Comfort Food anbieten. Auch eine Kochschule ist ein Thema», sagt der erfahrene Küchenchef.
Was bisher geschah: Mit einem bereits beeindruckenden Lebenslauf kam der Deutsch-Türke mit aramäischen Wurzeln 2015 in die Schweiz und etablierte zusammen mit Sebastian Zier das «Einstein Gourmet» in St. Gallen schnell als Top-Adresse der Ostschweiz. Im Jahr 2018 wurde das Duo zu «Aufsteigern des Jahres» ernannt und bekam 18 Punkte im GaultMillau. Davor war Moses Ceylan vier Jahre lang Küchenchef bei Juan Amador in Mannheim und kochte ausserdem an der Seite weiterer Starchefs wie Sven Elverfeld, Klaus Erfort und Christian Jürgens, die zur Drei-Sterne-Elite Deutschlands gehören oder gehörten. 2020 beschloss Moses Ceylan, ein neues Kapitel anzufangen und wollte sich auf eine Reise zu den kulinarisch-kulturellen Wurzeln der Küche seiner Familie machen, was durch die Corona-Jahre verhindert wurde. Seither trainiert er Küchenchefs und Teams, hilft als Coach CO2-neutrale Konzepte umzusetzen oder «Betriebe in die Zukunft zu führen», wie er sagt. «Das Interessante daran ist, dass es dabei nie um meine Persönlichkeit, sondern um den Charakter des jeweiligen Betriebs geht», so Ceylan.
What’s next? Wenn es um seinen persönlichen Stil geht, ist zurzeit das Pop-up «Ahlan Habibi» auf einem Rhein-Schiff in Schaffhausen eine gute Möglichkeit, die Ideen von Moses Ceylan besser kennenzulernen. Eine Mischung aus orientalisch-levantinischer «Mamaküche» und den Feinheiten der Haute Cuisine. «Mein Traum ist natürlich, wieder in der Küche eines Restaurants zu stehen, um dort eigenständig und authentisch zu kochen», sagt Ceylan über seine Zukunftspläne. Wieder eine Bühne zu bekommen, sei das Ziel, um «eine regionale, gewürzintensive Küche in der levantinischen Tradition in Kombination mit der französischen Klassik» anbieten zu können.
Was bisher geschah: Nach 27 Jahren im Hotel Baur au Lac an Premium-Lage in Zürich, legte Laurent Eperon im November 2022 seine Toque ab. Die Besitzerfamilie hatte beschlossen, das Top-Restaurant Pavillon mit 18 Punkten und zwei Sternen zu schliessen und komplett umzubauen. Eperons bisheriger Sous-Chef Maximilian Müller wurde befördert und soll nun ein einfacheres, mediterranes Konzept mit Mittag- und Abendservice an sieben Tagen pro Woche umsetzen. «Ich habe viel Gutes erlebt in diesen Jahren, das war eine wichtige Zeit in meinem Leben», sagt Eperon über seinen Abschied aus dem Swiss-Deluxe-Hotel. Die Monate danach habe er viel, «fast zu viel» gearbeitet: unter anderem bei Events im «Marmite Foodlab», im «Old Fashion» oder als Privatkoch bei Leuten zu Hause.
What’s next? «Im Moment reichen mir Pop-ups und Events, aber es gibt sehr viel zu tun, wenn du auf dich allein gestellt bist. Mein zukünftiger Job sollte mir etwas mehr Freiheit garantieren. Privatköche sind zwar sehr gefragt – aber nicht immer. Deshalb käme für mich auch eine Teilzeit-Anstellung in Frage. Ich kann mir einen kleineren Betrieb vorstellen, oder einen Ort, an dem ich mein Wissen jungen Leuten weitergeben kann. Als nächstes werde ich zum Beispiel als Coach die Gewinner des Wettbewerbs Marmite Youngster unterstützen. Sie werden gegen Ende 2024 ‹Taste of Switzerland› auf den Langstreckenflügen in der Business- und First-Class der Swiss umsetzen.»
Was bisher geschah: Der gebürtige Schwabe Michael Schuler begann im Sommer 2021 als Senkrechtstarter im Hotel Alex Lake in Thalwil (The Living Circle). Verantwortlich war Schuler für das stark frequentierte Alex Restaurant und für die kleinste Gourmet-Adresse der Schweiz – nur fünf Tische standen im «Aqua». Dort wurde Schuler «Entdeckung des Jahres», startete mit 15 Punkten und erhielt seinen ersten Michelin-Stern. Davor war «Schuli», wie ihn seine Freunde und Kollegen nennen, fünf Jahre an der Seite von Stefan Heilemann - zuletzt als Sous-Chef im «Widder» - im Einsatz. Wegen einer Neuausrichtung im «Alex» ist Michael Schuler nur noch bis Ende Februar 2024 in Thalwil beschäftigt, über die neue kulinarische Richtung konnte keine Einigkeit erzielt werden.
What’s next? «Meine Stammkundschaft und mein Netzwerk sind noch nicht so gross wie beispielsweise bei Antonio Colaianni», sagt der 30-jährige Schuler. Deshalb sei eine Tätigkeit als Event-Koch für ihn kein Ziel. «In meinem Alter ist es hingegen einfacher, die Stilrichtung zu wechseln: Falls mir ein Job in einem Restaurant angeboten würde, wo es nicht um Punkte geht, wäre das auch in Ordnung. Es ist schwierig, gleich das Traumobjekt zu bekommen», sagt Michael Schuler ganz realistisch. Zurzeit sei er daran, einige Dinge zu klären: «Ich bin bei ein, zwei interessanten Adressen im Gespräch, kann dazu aber noch nicht mehr verraten. Auf jeden Fall bleibe ich beruflich in oder um Zürich tätig, hier habe ich schliesslich alle meine Freunde und bin mit meiner Familie zu Hause.»
Was bisher geschah: Der 41-jährige Berner fiel dem GaultMillau erstmals als Chef im «Jakob» in Rapperswil SG auf, wo er einen überzeugenden Stil mit regionalen Produkten entwickelte. 2017 wurde Markus Burkhard «Entdeckung des Jahres», während des zweiten Lockdowns 2020 verzichteten der Küchenchef und seine Partnerin Flavia Hiestand auf Grund der Umstände auf eine Verlängerung des Pachtvertrags. Es folgten Pop-ups, ein knapp einjähriges Gastspiel im «Kosmos» an der Europaallee in Zürich und nach dem Konkurs des Prestigeprojekts der Zürcher Kulturszene eine Auszeit. Im Sommer 2023 überraschte das Gastronomenpaar die Szene mit der Nachricht, dass man für eine Saison bei Reto Lampart im Val Lumnezia einspringe. «Das war super für uns als junge Familie, ich hatte genügend Zeit für meine Frau Flavia und unsere eben geborene Tochter Neva», sagt Markus Burkhard heute.
What’s next? Die Zeit als «Tagelöhner», wie es Markus Burkhard formuliert, habe ihm gezeigt, dass er kein guter Angestellter sei. «Wenn ich irgendwo Verantwortung übernehme, muss ich die Rahmenbedingungen selber bestimmen können. Ich habe eine klare Vorstellung von den Produkten, mit denen ich arbeiten will, da bin ich nicht mehr flexibel», sagt der Koch. Zurzeit helfe er mal im «Gül» bei Elif Oskan oder beim Mise en Place im «Gamper» von Marius Frehner aus. «Als nächstes bleibe ich aber als Hausmann einige Zeit zu Hause und Flavia geht arbeiten. Unsere Tochter fängt jetzt an, von unseren Tellern zu essen, jemand muss also für sie kochen», so Burkhard. Zusammen mit seiner Frau schaue er sich immer wieder Lokale an, um dort etwas Eigenes zu gestalten: «Ich brauche einen konkreten Raum, um kreativ zu werden. Alleine vor dem Laptop zu sitzen, bringt bei mir keine guten Ideen hervor.»
Was bisher geschah: Der hochtalentierte Koch und frühere Caminada-Schüler bestritt die letzte Saison des «Igniv» im «Badrutt’s Palace» in St. Moritz, das er 2016 bereits eröffnet hatte. Dazwischen war Gino Miodragovic unter anderem als Küchenchef beim Start der «Neuen Taverne» an der Seite von Nenad Mlinarevic beteiligt und stand als Co-Chef am Pass der Wirtschaft im Franz (beide in Zürich). «Nach der Saison in St. Moritz habe ich zuerst Ferien gemacht und mich dann mit drei Partnern für ein Restaurant in Altstetten beworben. Das hat nicht geklappt, und rückblickend war das ein Glück», sagt Miodragovic über den Stand der Dinge. Mit seinem Catering-Unternehmen, das er nun seit einigen Monaten erfolgreich führt, könne er Beruf und Familie viel besser vereinbaren als mit einem eigenen Restaurant, so der gebürtige Aargauer.
What’s next? «2024 widme ich mich hauptsächlich Catering-Jobs. Ich setze auf klein und fein oder mittelgross und immer noch fein. Ich möchte organisch wachsen, damit ich die Qualität halten kann. Tomaten-Mozzarella-Spiessli gibt es bei mir nicht», sagt Gino Miodragovic über seine kurzfristigen Pläne und seinen Stil. Ende April wird er im «Signau House» im Zürcher Seefeld ein 4-Hands-Dinner mit dem befreundeten Koch Luc Liebster kochen. Der Zürcher Liebster arbeitet zurzeit als Sous-Chef im weltberühmten «Pujol» in Mexico-City. Ein eigenes Restaurant ist für Gino Miodragovic zwar eine Überlegung wert. «Aber es bleibt im Moment bei der Überlegung», sagt er. Wie er gerne kochen würde, weiss der 33-Jährige trotzdem genau: «Wenn ich ein Restaurant führen würde, müsste es einfach und gut sein. saisonal, «back to the roots» und bodenständig, damit die Gäste Lust haben, zweimal pro Woche zu kommen, statt nur einmal im Monat.»
Fotos: Christopher Kuhn, Claudia Link, Thomas Buchwalder, Steven Kohl, Lukas Lienhard