Text: David Schnapp

Die neue V-Bahn. Die neuen Chefs. Die V-Bahn rollt in nur 15 Minuten zur neuen Station Eigergletscher, erschliesst die faszinierende Jungfrau-Bergwelt schneller. Und Grindelwald erwacht: Am Dorfeingang macht ein Plakat mit einem hübschen Gericht Werbung für das Hotel und Restaurant Glacier. Schlicht «Experience» heisst da vielversprechend, und das steht durchaus für ein neues Selbstverständnis im Dorf am Fusse der mystischen Eigernordwand. Seit 2018 der ehemalige Profi-Triathlet und Unternehmer Jan Pyott mit seiner Frau Justine – beides ausgebildete Ökonomen – das geschichtsträchtige «Glacier» übernommen und zum schmucken Boutique-Hotel umgebaut haben, ist Bewegung in der örtlichen Gourmet-Szene. «Die Covid-Zeit hat uns geholfen. Die Gäste konnten nur im Hotel essen, deshalb haben wir angefangen, Drei- und Fünf-Gangmenüs zu servieren», erzählt Justine Pyott. Daraus hat sich die Überzeugung entwickelt, dass hochstehende Küche ein Erfolgsrezept ist. Die gebürtige Französin aus Paris springt in ihrer Freizeit als Base-Jumperin von der Eigernordwand oder von entsprechenden Stellen im Lauterbrunnental. Und mit dem vergleichbaren Mut zum Risiko stürzt sich das Paar ins «Abenteuer Fine Dining». Grosse bild oben v.l.: Aurélien Mettler, Paul Cabayé und Urs Gschwend

Justine Jan Pyott

Mut zum Risiko: Justine und Jan Pyott sind als Hoteliers Quereinsteiger.

Weinkeller Glacier

Schatzkammer: Der Weinkeller mit 450 Positionen ist die Leidenschaft von Jan Pyott.

Terrasse Glacier

Alpenblick: Die «Glacier»-Terrasse liegt in der ersten Reihe vor der Eigernordwand.

#1: «Glacier»: Paul Cabayé x Stephanie Zosso

Die Spuren führen nach Crissier. Im «Glacier» gab es zu Jahresbeginn einen Wechsel an der Küchenspitze. Robert Steuri und sein Sous-Chef verliessen beide das Haus aus familiären Gründen, es kamen erst die talentierte junge Bernerin Stephanie Zosso («Schöngrün», «Eisblume» und «Panorama Hartlisberg») als Sous-Chefin und kurz danach ihr Partner Paul Cabayé als neuer Executive Chef. Die beiden sind erfolgreiche Wettbewerbs-Köche und haben sich beim Goldenen Koch kennengelernt, den Cabayé 2021 gewinnen konnte. Der frühere Mitarbeiter von Franck Giovannini im «Hôtel de Ville» kam aus Luxembourg zurück in die Schweiz, aber die Verbindung nach Crissier steht immer noch. Seinen früheren Mentor nennt er «mon Papa», und für Rat ruft er gerne bei Giovannini an. Crissier ist nicht nur eine herausragende Ausbildungsstätte, sondern auch ein funktionierendes Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung.
 

Paul und Stehanie

Starkes Paar: Executive Chef Paul Cabayé mit Partnerin und Sous-Chefin Stephanie Zosso.

Joggen zu den Wildkräutern. In ihrem erst zweiten Menü in Grindelwald brillieren Paul Cabayé und Stephanie Zosso mit einem hochästhetischen Menü: Die neun Gänge erinnern optisch an die mathematischen, symmetrischen Formen konkreter Kunst, angestrebt wird eine feminine, auf Harmonie beruhende Geschmackswelt. Cabayé hat auf seiner morgendlichen Jogging-Runde immer eine Plastiktüte dabei und kehrt dann mit einer reichen Auswahl an essbaren Blüten und Wildkräutern in die Küche zurück. Ohne den Gast mit zu vielen Geschichten über die Ideen und Entstehungsprozesse der Gerichte zu langweilen, spürt man aber instinktiv den Bezug zu Zeit und Ort sowie den Willen, eine leichte Küche voller Feinheiten und Kräuter-Frische etablieren zu wollen.

Tomate Paul Cabayé

Harmonische Geschmackswelt: gefüllte Tomate mit Riesling-Sorbet.

Karotte Paul Cabayé

Konkrete Kunst: Deklination von der Karotte mit Wachtelei.

Bierrettich Paul Cabayé

Blüten und Kräuter von der Joggingrunde: Variation vom Bierrettich.

Die Nummer 1 im Dorf. Eisenkraut etwa parfümiert einen klaren Tomatenfond in dessen Mitte eine geschälte, ausgehöhlte Tomate liegt, die wiederum mit Riesling-Sorbet sowie einem Tomatengelée aus konfierten, fermentierten und rohen Tomaten gefüllt ist. Sauerklee und Blüten schmücken die erstaunliche Deklination vom vermeintlich banalen Bierrettich, und Liebstöckel wird als Öl benutzt, um in perfekt ausbalancierter Dosierung die Kombination aus Karotten und pochiertem Wachtelei zu aromatisieren. Aber Cabayé beherrscht das ganze Repertoire: leicht gegarter Zander mit Fenchel, kurz gebratener und geräucherter Lostallo-Lachs mit Kapuzinerkresse-Sauce und schliesslich geschmorte Kalbsbrust – versteckt in einer Art Scheibe aus Gnocchi-Teig sind Beweis handwerklicher Starqualitäten. Zum Schluss wird ein Schokoladen-Soufflé mit Kakaofrucht-Sauce serviert, wobei der Gast – nach Vorbild von Crissier – nur einen Teil der Haube des süssen Auflaufs serviert bekommt. Im Moment ist Paul Cabayé zweifellos die Nummer eins im Dorf. Geht er den eingeschlagenen Weg im «Glacier» konsequent weiter, ist noch vieles mehr möglich.


www.hotel-glacier.ch
 

Fiescherblick

Spannendste Neueröffnung: im «Fiescherblick» gibt es 19 Zimmer und eine gute, junge Küche.

#2: Die Neuentdeckung: «Fiescherblick»!

Michel, Michel, Mettler. Das Engagement der Quereinsteiger im «Glacier» hat offensichtlich Auswirkungen auf das ganze Dorf: So waren die Nachwuchs-Hoteliers Lars Michel und sein Bruder Matthias kurz vor Weihnachten 2022 für die interessanteste Neueröffnung zuständig: Mit dem «Fiescherblick» wollen die beiden dem Bergdorf neue Impulse verleihen. «Es wurde Zeit, dass in Grindelwald etwas passiert», sagt Lars Michel. Das persönlich geführte Haus mit 19 Zimmern bietet eine erfrischend junge Art der Gastfreundschaft, in der Küche steht der erst 27-jährige Aurélien Mettler. Sein kulinarisches Credo: «Wir kochen richtig, so wie ich das gelernt habe. Und richtig kochen heisst für mich, dass wir alle Fonds selber machen, ganze Fische verarbeiten und aus den Abschnitten den eigenen Fumet herstellen.» Mettler war zuvor im «Essort» und bei Markus Arnold in Bern sowie zuletzt im «La Maison du Village» am Neuenburgersee (16 Punkte).
 

Aurelien Mettler

Erfrischend selbstbewusst: der 27-jährige Aurélien Mettler im «Fiescherblick».

Randenravioli Fiescherblick

Vegetarisch kann er auch: Mettlers Randen-Ricotta-Ravioli mit Zwiebelsud und Kapuzinerkresse.

Der eigene Alpenkräutergarten. In der Kombination aus eigenen Ideen und solidem Handwerk findet Mettler an seiner ersten Küchenchef-Stelle zu erstaunlichem Selbstbewusstsein. Souverän kombiniert der junge Mann französische Basistechniken mit nordischen Einflüssen und fernöstlichen Aromen wie beim japanischen Mosu-Lachs aus dem Aargau (gebeizt und geflämmt) an einer Dashi, die Mettler auf Basis von fermentiertem Sellerie selbst herstellt. Vegetarisch kann der Hobby-Bergsteiger auch: Das Auberginen-Steak mit einem kräftigen Tomatensud, knusprigem Buchweizen und Koriandersaat ist ebenso überzeugend wie die Randenravioli mit Ricotta-Füllung, eingelegten Zwiebeln, Zwiebelsud und Kapuzinerkresse aus dem eigenen Alpenkräutergarten.


www.hotel-fiescherblick.ch
 

Portrait fotografiert am 01.02.2023 in Grindelwald. (Manuel Lopez)

Verantwortlich für die «Bergwelt»: Executive Chef Urs Gschwend und General Manager Tanja Münker.

Bergwelt Grindelwalt BG Grill

Zeitgemäss und heimelig: das Restaurant BG Grill in der «Bergwelt».

# 3: Urs Gschwend in der «Bergwelt»

Wechsel im wunderschönen Boutique-Hotel. Starchef Marcus Lindner war der erste, der Grindelwald kulinarisch wachgerüttelt hat und im GaultMillau hoch punktete (Note 15). Er hat die «Bergwelt» leider schon wieder verlassen, und nach der Ankündigung seiner Rückkehr nach Zürich hat der routinierte Urs Gschwend im heimelig-modernen Boutique-Hotel übernommen. Zuletzt war der Thurgauer Executive Chef im Grandhotel Les Trois Rois in Basel und zuständig für die ausgezeichnete Brasserie. Im «BG Grill» setzt er auf eine weniger schillernde Küche als zuvor und sucht vielmehr eine gewisse Bodenständigkeit mit guten Produkten und solider Umsetzung auf dem Teller: Durchs Band gut gekocht, aber im Direktvergleich nicht ganz so ambitioniert wie die Arbeit der jungen Wilden im Dorf.


www.bergwelt-grindelwald.com
 

Markus Handau

Gute Küche zählt: Markus Handau ist für die Küche im «Schweizerhof» und im Gourmet-Restaurant Schmitte verantwortlich.

# 4: «Schweizerhof»: Markus Handau soll’s richten

Menü Flora, Menü Fauna. Wenn «tout Grindelwald» kulinarisch aufrüstet, darf das einzige Fünfsterne-Hotel am Platz nicht länger abseitsstehen: Der Frankfurter Markus Handau, Kempinski-gestählt, soll’s im Romantik Hotel Schweizerhof richten. Die kleine «Schmitte» ist sein Gourmet-Revier (14 GaultMillau-Punkte). Die Tester staunten beim letzten Buch über das grosse à la carte-Angebot und über die eher kleinen Portionen. Angeboten werden auch zwei Menüs: «Fauna» und «Flora».


www.hotel-schweizerhof.com
 

David Rosza

Neu am Herd im «Belvedere»: Der Ungare David Rosza verpasst seinen Menüs einen raffinierten Vegi-Touch.

# 5: «1910 Gourmet by Hausers»: Neuer Chef

Dry aged Zander & Oscietra. Auch das «Belvedere» springt auf den Grindelwaldner Gourmet-Express auf. Die jüngste Generation der Familie Hauser lancierte mit viel Elan das Konzept «1910 Gourmet by Hausers», musste aber nach starkem Start den ersten Chef-Wechsel verdauen. Jetzt steht der Ungare David Rosza am Herd. Der mag unübersehbar Gemüse, verpasst seinen Menüs einen raffinierten Vegi-Touch. Fisch kann er auch: Den Zander gibt es «dry aged», zart und würzig. Dazu Oscietra-Kaviar und eine feine Sauce aus Soja und Limette.


www.belvedere-grindelwald.ch

 

Fotos: Romy Streit, Patric Amacher, Lucia Hunziker, Manuel Lopez, Digitale Massarbeit, David Schnapp, HO