«Etwas Neues sehen.» Raul Garcia war der wichtigste Mitarbeiter im 18-Punkte-Restaurant Focus von Patrick Mahler im Park Hotel Vitznau, nahm für die Schweiz am prestigeträchtigen Wettbewerb Young Chef von San Pellegrino teil und hätte sicher eine schöne Karriere in der gehobenen Hotellerie oder Gastronomie machen können. Aber der 22-jährige Sankt Galler kündigte im Frühling 2024 den Job und gründete mit seinem Kollegen Carl Paulick eine Catering-Firma. «Ich wollte etwas Neues sehen», sagt er. «Die Zeit mit Patrick war unfassbar toll und intensiv, ich habe fachlich und menschlich sehr viel von ihm gelernt». Grosses Bild oben: (v.l.) Raul Garcia, Michaela Frank, Ralph Schelling & Gino Miodragovic.
Produziert wird zu Hause. Aus dem Stand konnten die beiden an den Luxus-Events Snow Polo und White Turf St. Moritz auftreten, trotzdem sei Catering eigentlich «nicht das Ziel», sagt Raul Garcia. Der talentierte Koch ist ein gutes Beispiel einer jungen Generation von Starchefs, die ihre Karrieren anders planen. Statt harter Lehr- und Wanderjahre durch die besten Restaurants geht es unter anderem um Selbstverwirklichung und Balance. Finanziell sei das machbar, erklärt Garcia. «Für Events mit bis zu 15 Personen kann ich zu Hause produzieren und brauche keine grosse Küchen-Infrastruktur.» Und wenn es mal gerade nicht laufe, habe er keine zusätzlichen Mietkosten.
Vorbild: Ralph Schelling. Trotzdem hat Raul Garcia demnächst ein festes Engagement, vom 20. Dezember 2024 bis Ende März 2025 wird er in der Weinbar Belmond von Silvano Vitalini in St. Moritz während vier Tagen pro Woche kochen. Ein Tasting Menü mit acht bis zehn Gängen, die man à la Carte wählen kann, ist das Konzept. «So können wir unsere verschiedenen Aufträge gut verbinden», sagt Garcia, dessen langfristiges Ziel es ist, sich in der gehobenen Gastronomie zu etablieren. Auch deshalb nimmt sein Geschäftspartner Paul Caulick am Uccelin-Programm für Gastronomie-Talente teil, das Duo strebt in jedem Bereich nach Exzellenz. Als Vorbild für den heutigen Stand seiner Laufbahn nennt Garcia aber den Kollegen Ralph Schelling. Auch der ist ein Koch mit hervorragenden Referenzen und hat unter anderem für Andreas Caminada, Horst Petermann und Ferran Adrià gearbeitet. In dessen Ikone «El Bulli» bei Barcelona arbeitete Schelling während der letzten Jahre 2008 und 2009.
Von Antigua bis Capri. Vor über zehn Jahren beschloss Schelling, einen neuen Weg einzuschlagen und sagt heute, «ich würde niemals zurück in eine Restaurantküche gehen wollen». Sein Alter sieht der junge Mann aus Flawil nicht gerne veröffentlicht, aber von seinem jugendlichen Enthusiasmus hat er nichts verloren, seit er für Weltstars wie Paris Hilton, Coldplay oder Barbara Streisand kocht, die Menüs für die exklusive Calabash Private Residence in der Karibik schreibt oder von Antigua bis Capri für meist vermögende Kunden Feste und Events kulinarisch gestaltet. «Mein Atelier ist zwar in Cham, aber bis zu zwei Dritteln meines Umsatzes mache ich im Ausland», sagt Schelling. Auch sein Business Modell funktioniert ohne Produktionsküche und grosse Kühllager. «Ich stehe selbst am Herd, jeder Auftrag ist individuell auf den Kunden abgestimmt. Für manche Events leisten wir ein Jahr lang Vorbereitungsarbeiten. Die Leute wollen mich, nicht eine Firma, die Hochzeiten für 500 Gäste ausrichtet», so Schelling.
Auf der Suche. Während Ralph Schelling seine Bestimmung gefunden hat, ist Michaela Frank noch auf der Suche nach einer befriedigenden und sinnstiftenden beruflichen Zukunft. Nachdem die 28-jährige Aargauerin im «Kultur Lokal Rank» in Zürich bewiesen hat, dass sie sowohl hervorragende «Toasties» wie auch anspruchsvolle Menüs auf 14-Punkte-Niveau kochen kann, hat sie das Restaurant Anfang des Jahres 2024 verlassen, um unter anderem auf «Cooking Tour» zu gehen: Sie kocht mit und bei Kollegen, die sie schätzt, im «Moment» in Bern, im «Paradies» in Baden oder im «Löwen» in Rheinau. «Ich kann jetzt Dinge machen, die ich vorher nicht konnte, und habe auch mehr Freizeit. Mein Lebensstandard ist nicht so hoch, und so lange ich keine Kinder habe, geht das problemlos», sagt das ehemalige Mitglied der Schweizer Junioren Koch-Nationalmannschaft.
«Es gibt nichts Schöneres.» Michaela Frank sieht die Gastronomie in einem starken Wandel begriffen. Um nachhaltiger zu werden, müssten die Preise höher sein, und dies wiederum sei mit einem hohen Erklärungsbedarf bei den Gästen verbunden. Auch eine Ausbildung als «vegetarischer und veganer Koch» wie sie in Österreich schon angeboten werde, sei dringend notwendig. Aber die offiziellen Berufsverbände seien kaum offen für solche Entwicklungen. «Dieses Business muss gesünder und ausgeglichener werden, aber jede und jeder muss für sich selbst herausfinden, wie das passieren soll», sagt Michaela Frank. «Nach der Zeit im ‹Rank› habe ich drei Monate nicht gekocht und meine Zeit vor allem der Gesundheit und meinem Privatleben gewidmet», fügt sie an. Ihr Ziel sei es zwar, wieder in einem Restaurant zu kochen, das könne aber auch erst in einigen Jahren sein. «Es gibt nichts Schöneres als Gäste zu bewirten», hält sie fest.
Nicht besser, aber anders. Für Gino Miodragovic ist die Frage nach einem eigenen Restaurant zurzeit völlig offen. Dabei hätte der 33-jährige Koch noch 2023 fast ein Lokal in Zürich übernommen. «Zum Glück hat es nicht geklappt», sagt er heute. Man kann davon ausgehen, dass Miodragovic auch damit erfolgreich gewesen wäre. Er hat für Andreas Caminada, Sergio Herman oder Nenad Mlinarevic gearbeitet, die letzte Saison im «Igniv» in St. Moritz bestritten und in der Wirtschaft im Franz als Küchenchef 14 Punkte und einen Stern erkocht. Aber dann hat Gino Miodragovic einen neuen Weg eingeschlagen: «Ich wollte nicht mehr voll angestellt sein. Irgendwann kommen viele an diesen Punkt, wo sich diese Frage stellt. Weil man Entscheidungen der Vorgesetzten in Frage stellt, und man es selbst vielleicht nicht unbedingt besser, aber anders machen könnte.»
Freier Markt für Talente. Heute übernimmt Gino Miodragovic Catering-Aufträge oder kocht als Private Chef. «Vermögende Kunden holen sich gerne einen Private Chef nach Hause und feiern lieber im privaten, exklusiven Rahmen», sagt er aus Erfahrung. Sein wichtigster Antrieb für die Selbstständigkeit sei letztlich der Spass, «das steht für mich im Vordergrund». Die Vorzüge im Catering-Business seien, «dass es finanziell und zeitlich skalierbar ist», findet Miodragovic. Wenn man ein Restaurant habe, seien die Präsenzzeiten hoch, die Ungewissheit dennoch gross. «Jetzt arbeite ich auch sehr viel, aber ich tue das für mich und weiss, was Ende Monat in der Kasse ist», sagt er über seine bisher wichtigste Karriere-Entscheidung. Wie lange er das machen will, lässt der vielseitige Koch und leidenschaftliche Surfer offen: «Glück, das musste ich merken, ist extrem wichtig. Auch wenn ich viel zu tun habe, ist meine innere Balance jetzt viel besser, weil ich selbst entscheiden kann.» Damit fasst Gino Miodragovic gut zusammen, was junge Chefs dazu bringt, ihr Talent statt in einem Restaurant auf dem freien Markt der Kochdienstleitungen anzubieten.
Fotos: Claudia Link, Kurt Reichenbach, Olivia Pulver, Paul Seewer, Thomas Buchwalder, Valeriano Di Domenico, HO Ralph Schelling