Text: Stephan Thomas Fotos: Nik Hunger
Gierschlunde. Die Schweinchen sind wirklich putzig. Dankbar stürzen sie sich auf die Maiskolben, die wir ihnen zuwerfen. Sie sind nicht rosa, sondern tragen ein geflecktes Fell. Das ist das Kennzeichen der Turopolje-Rasse, die in letzter Minute vor dem Aussterben gerettet wurde. Hier in Lengwil TG geniessen sie einen üppigen Auslauf auf den Ländereien von Schloss Liebburg. Ihr sehr grosszügig bemessenes Revier haben sie in kürzester Zeit bis auf den letzten Quadratzentimeter umgepflügt, auf der Suche nach Essbarem. Eine besonders gierige Sau stellt sich zum Fressen gleich in den Trog, schubst die anderen weg. «Das sollte sie besser nicht tun», witzelt Kay Nessensohn, der die Schweinchen grosszieht. «Wer am schnellsten zunimmt, landet zuerst auf dem Teller.»
Gute Laune. Tatsächlich: Die Existenz der Schweinchen ist zwar schön, aber doch begrenzt. Wir sehen sie wieder als Falsches Filet mit Petersilienwurzel-Püree, Pastinakenchips, Feldsalat und schwarzen Nüssen. Am Herd: Adrian Nessensohn, der Bruder von Kay. Er hat im letzten Jahr das Restaurant «Helvetia» in St.Gallen übernommen, ist mit 14 GaultMillau-Punkten furios gestartet. Bevor es in die Selbständigkeit ging, hat er an hervorragenden Adressen gekocht. Zuletzt bei Reto Lampart in Hägendorf. Bei Robert Speth in Gstaad hat er seine Frau Svenja Bellmann kennengelernt. Die gebürtige Erzgebirgerin sorgt mit ihrem fröhlichen Temperament für gute Laune. Im «Helvetia» ist sie für den Service, den Wein und die Pâtisserie zuständig. Zum Beispiel das Kiwi-Holunderblüte-Curd mit Baiser und Espuma von der Holunderblüte samt Kiwisorbet, das wir probieren. Die Früchte stammen, wie so manches hier, von Kays Hof.
Der Markt regelts. «Es ist tragisch: Viele Produzenten sind enorm innovativ, haben aber keine Zeit, den Köchen ihre Produkte zu liefern. Und viele Köche interessieren sich zwar für hochwertige Produkte, haben aber ebenfalls keine Zeit, sie bei den Produzenten zu holen. Zum Glück gibt es in St.Gallen den Bauernmarkt.» Dort ist der produktversessene Adrian oft anzutreffen. Vor allem auf der Pirsch nach hochwertigem Gemüse, denn er ist kein reiner Fleischtiger. «Ich bin geistig schon am Kochen, wenn ich über den Markt schlendere. Die Produkte sind meine Inspiration. Das ist zeitintensiv, aber eine tolle Sache. Weil wir unsere Arbeit mit Leidenschaft machen, möchten wir auch mit leidenschaftlichen Produzenten zusammenarbeiten.»
Nicht einfach Schwein. Obwohl Kay auch eine Mutterkuh-Zucht von Angus-Rindern betreibt, bleiben wir heute beim Schwein. Adrians nächster Gang ist gebratenes Kotelett vom Turopolje-Schwein an karamellisiertem wildem Palmzucker mit gepickelten und frischen Radieschen, Radieschengrün, Bärlauchmayonnaise und rotem Chicorée. Man merkt sofort, dass hier nicht einfach Schwein auf dem Teller liegt. «Das Fleisch von naturnah gehaltenen Turopolje ist dunkler. Das Fett ist fester und würziger, weil es nicht auf die Schnelle eingemästet wird.» Neben der Naturnähe ist Adrian die Saisonalität wichtig. «Wir gestalten unsere Karte nach den verfügbaren Produkten. Deswegen passen wir sie auch alle vier bis sechs Wochen an. Es hat, solange es hat. Nachher ist es halt aus.»