Text: Urs Heller, Chefredaktor GaultMillau Schweiz
«Köchin des Jahres»! Einen «Koch des Jahres» zeichnet der GaultMillau jedes Jahr aus. Eine «Köchin des Jahres» selten – weil sich nur wenige Frauen ganz nach oben kochen. Diesmal hat’s geklappt: Virginie Basselot, Chefin der 50köpfigen (!) Brigade im Genfer Luxus-Resort «La Réserve», hat’s geschafft. Nicht der erste Titel für die Chefin, die zuvor in Paris Karriere gemacht hat: «Cheffe Exécutif Virginie Basselot M.O.F 2015» steht auf ihrer Visitenkarte. M.O.F.? Heisst «Un des Meilleurs Ouvriers de France». In Frankreich ist dieser Ehrentitel sehr begehrt. Dutzende von Spitzenköchen tragen ihn. Aber nur zwei Frauen haben die dreistufige Prüfung geschafft. Eine heisst Virginie Basselot. Besonderes Merkmal: Ein M.O.F. trägt ziemlich stolz Kochblusen mit dem Trikolore-Kragen rot-weiss-blau. Steht ihr gut.
Sie brüllt nie. Virginie Basselot hat in Genf schnell eine gute Brigade zusammengestellt. Sie führt sie ohne ein lautes Wort, sie macht vor, motiviert. «Die Welt hat sich verändert», sagt Virginie, «junge Köche wollen nicht, dass man sie anbrüllt. Man muss ein gutes Verhältnis aufbauen. Dann gehen sie für mich und fürs Hotel durchs Feuer.» Virginie ist auch der Boss der chinesischen Brigade im «Tsé Fung». Frank Xu führt das Team, ein Top-Mann, Koch in dritter Generation. Kompetenzprobleme? «Keine», lacht Virginie, «wir verstehen uns blendend».
Wolfsbarsch & Austern. Virginie Basselot zeigt vor allem im «Le Loti», was sie drauf hat. «Was müssen wir unbedingt bestellen, Madame Basselot?» fragten wir bei unserem letzten Besuch. Antwort: «Le Bar et le Cabillaud». Le Bar? Virginie führt einen wilden Wolfsbarsch und Austern zu einem erfrischenden «Törtchen» zusammen, gibt eine Lage Kaviar dazu, Austernblätter und eine Zitronencrème. Eine wahre Jod-Bombe, eine fantastische Hommage wohl auch an ihre Heimat, der Normandie. Cabillaud? Virginie erwärmt den weissen Kabeljau-Rücken nur knapp, giesst heisse Zitronenbutter mit Melisse über den noch glasigen Fisch. Er ist zart, sommerlich, erstklassig. Verblüfft hat sie bereits mit einem eigentlich einfachen, aber umwerfenden Amuse-bouche: Viererlei alte Tomatensorten mit exotischen Namen (Tomate ananas, Tomates Green Zébra, Tomates Supersteak, Tomates noir de Crimée), Thymian, Zitrone und eine vegane (!) Crème. So holt man sich den 16. GaultMillau-Punkt!
Languste unter alten Bäumen. Geheimtipp im noblen Resort? «Le Lodge» im grossen Park der «La Réserve». Lunch unter weissen Segeln und alten Bäumen, Diner unter den Sternen. Virginie serviert hier am liebsten eine mediterrane Küche: Mächtige Langusten aus der Bretagne, Turbot, Saint-Pierre, Sole und «Chapon» (Felsenfisch aus Marseille) – auf dem Grill unkompliziert, aber perfekt zubereitet. «Güggeli» vom Spiess, Lammschulter mit orientalischen Gewürzen und eine Pizza der Extraklasse (mit Pecorino und schwarzem Trüffel) gibt’s auch.
Virginie on the road. Die Chefin ist jede Woche unterwegs: «Ich möchte weitgehend Produkte aus der Region verwenden, stelle mich bei Gemüsebauern und Fischer vor. Diese Möglichkeit hatte ich in Paris nicht; da kamen alle Produkte aus Rungis.» Künftig soll selbst der Kaviar aus der Schweiz kommen. Und was macht Madame Basselot, wenn sie mal frei hat? «Kochen. Zu Hause. Für Freunde.»
>> La Réserve, Genf-Bellevue. Resort der Extraklasse. Besitzer ist Michel Reybier; ihm gehören Hotels, Kliniken – und Cos d’Estournel im Bordeaux. 16 Punkte für «Le Loti», 14 Punkte für «Tsé Fung», 13 Punkte für «Le Lodge».