Fotos: Anders Stoos
Markus Arnold, Sie kommen gerade aus Asien zurück. Wohin ging die Reise?
Ich war zwei Wochen in Japan und Korea unterwegs – zuerst in Japan, dann bin ich vom Süden der Insel mit einem Speedboot nach Busan in Südkorea gefahren. Zum Glück hatte ich Tabletten gegen Reisekrankheit dabei, das war eine ziemlich abenteuerliche Überfahrt…
Woher kommt eigentlich Ihre Faszination für Japan und die japanische Küche?
Vor 15 Jahren war ich auf dem Weg von Australien nach Hause und machte in Japan Zwischenhalt. Allerdings ging mir das Geld aus, die Banken waren wegen eines Feiertags geschlossen. Als ich verzweifelt am Bankomaten stand, und nichts mehr herauskam, hat mir eine unbekannte Frau spontan angeboten, meine letzten 100 Dollar Cash in Yen zu tauschen. Sie wusste zwar den Kurs nicht, aber diese freundliche hilfsbereite Art, die mir auch später immer wieder begegnet ist, hat mich beeindruckt. Mein positives Bild von Japan war zunächst menschlich geprägt.
Und kulinarisch?
Meine ersten Erlebnisse waren Sushi, ein Omelett mit Katsobushi-Flocken oder Wagyu Beef. Ich hatte als einfacher Commis de Cuisine damals nicht viele finanzielle Möglichkeiten, aber das waren schon starke Eindrücke der japanischen Küche.
Warum sind viele europäische Köche von der japanischen Aromenwelt so beeindruckt?
Die japanische Küche ist sehr leicht, gerade im Sommer ist das angenehm. Man braucht weniger Butter und Rahm, trotzdem schmeckt es ausgezeichnet. Faszinierend sind auch die Produkte, die es in Spitzenqualität ohne Abstriche gibt. Manches wird nach Jahrzehnten oder Jahrhunderte alten Rezepten handwerklich hergestellt: Saucen, Essige oder Öle zum Beispiel. Und vieles ist für den Gast in der Schweiz oder in Europa neu, man kann immer wieder etwas Neues entdecken und den Gast damit überraschen.
Trotzdem ist die japanische Küche ja nicht immer einfach zu verstehen.
Die Japaner, so sehe ich das jedenfalls, leben auf einer Insel ohne starken Einfluss anderer Kulturen. Das ist aus kulinarischer Sicht interessant, weil es seine Traditionen besser bewahrt und langsamer verfälscht. Man kann in Japan immer wieder einen überraschenden Geschmäck finden – zum Beispiel Nattō aus Sojabohnen oder das süsse Mitarashi Dango –, auch wenn das manchmal für unseren schweizerischen Geschmack sehr ungewohnt schmeckt.
Warum?
Weil die Konsistenzen und Geschmäcker für uns einfach sehr fremd anmuten. Man erlebt auf der anderen Seite auch immer wieder unglaubliche Überraschungen: Mir wurden schon Erdbeeren serviert, gross wie Pflaumen, intensiver und besser im Geschmack als jede Walderdbeere, die ich in der Schweiz je gegessen habe.
Täuscht der Eindruck, oder gibt es einen ziemlichen Umami-Hype in unseren Breitengraten?
Nein, das ist tatsächlich ein grosses Thema. Als ich in der Lehre war, wusste man gar nicht genau, was dieser fünfte Geschmack eigentlich ist. Mein Prinzip ist heute: Es muss einfach «cheibe fein» sein. Wenn die Balance nicht stimmt oder zu viel von den japanischen Umami-Wunderwürzmitteln verwendet werden, wird es für den Gast langweilig und eintönig.
Was halten Sie eigentlich von diesen Wunderwürzmitteln, die Einzug in unsere Küchen halten: Bonito-Essig, Dashi-Konzentrat, Yuzu-Kosho und vieles mehr?
Wir arbeiten seit über 15 Jahren mit diesen japanischen Produkten. Ich war damals bei Ducasse in Paris essen und habe von ihm die Adresse von Nikishidori als Quelle für japanische Highend-Produkte erhalten. Lange waren wir der einzige Schweizer Kunde. Heute beziehen viele Gourmet-Restaurants über den hiesigen Franchise-Partner Sens of Delight diese Produkte. Wir benutzen in der «Steinhalle» beispielsweise ein fermentiertes Kombu-Extrakt. Wir arbeiten auch oft mit Kombu-Algen, die ich jetzt selbst aus Hokkaido mitgebracht habe. Beim Umgang mit Umami scheint mir wichtig, dass man darauf achtet, nicht jeden Gang gleich dosiert abzuschmecken.
Aromat ist in der Spitzenküche zu Recht verpönt, aber bei japanischen Glutamat-Geschmacksverstärkern drückt man ein Auge zu…?
Ich finde, es ist wichtig, natürliche und künstliche Produkte mit MSG (Glutamat) zu unterscheiden. Wir arbeiten in all meinen Betrieben ohne MSG. Und die natürlichen Geschmackverstärker muss man halt mit Verstand und Mass einsetzen, sonst macht das Essen keinen Spass. Als ich noch Koch-Lehrling war, stand in jeder Beiz ein Maggi-Fläschchen in der Menage auf dem Tisch. Das sieht man heute zum Glück nicht mehr häufig.
Welches Erlebnis ist Ihnen auf Ihrer Japan-Reise in Erinnerung geblieben?
Ich hatte das Glück, im Drei-Sterne-Restaurant L’Effervescence in Tokio einen Tisch zu bekommen. Das war ein unglaublich faszinierendes Menü, weil es eine Verbindung zwischen Japan und der klassischen französischen Kochtechnik herstellt. So entstehen interessante Geschmäcker, die einem vertraut vorkommen und trotzdem in der Kombination neu sind.
Wo haben Sie sonst noch gegessen?
Im «Mandarin Oriental» in Tokio bin ich zufällig auf «The Pizza Bar On 38th» gestossen. Das war die beste Pizza, die ich je gegessen habe. Es hat mich sehr beeindruckt zu sehen, wie die japanischen Pizzaiolos arbeiten: Die Kräuter zum Beispiel, werden erst Sekunden bevor die Pizza in den Ofen kommt, geschnitten. Und das ist kein Zufall, sondern wird ganz bewusst so gemacht.
Haben Sie eine neue Technik oder ein neues Produkt entdeckt?
Tatsächlich habe ich eine Maschine bestellt, mit der man hauchdünne Blätter oder Gemüsescheiben perfekt knusprig trocknen kann. Es funktioniert wie ein Bretzel-Eisen, mit dem man zum Beispiel eine Scheibe Ingwer oder Sellerie mit zwei Tonnen Druck innert Sekunden bei einer bestimmten Temperatur zu einem Chip pressen kann. Die Ätherischen Öle und der volle Geschmack des Produkts bleiben so erhalten. Und ich habe Taro entdeckt: In Form eines sehr cremigen Pürees, das allein durch die natürliche Stärke dieser Wurzel eine sehr angenehme Bindung erhält. Beim Gemüsehändler habe ich jetzt zwölf Kilogramm davon bestellt, um damit zu experimentieren.
Sie befinden sich seit einiger Zeit in einer selbstgewählten Pause. Wie geht es weiter?
Ich freue mich wie ein kleines Kind, Mitte Mai wieder zurück an den Herd zu kehren. Es hat mich Mut gekostet, nach sechseinhalb Jahren «Steinhalle» mich in diese, insgesamt viereinhalb Monate dauernde, «Kreative Pause» zu verabschieden. Die Steinhalle ist durchgehend für Easy Lunch und Brunch geöffnet, so konnten wir alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter beschäftigen und ihnen ebenfalls längere Ferien gewähren. Es hat mir sehr gutgetan, einen Schritt zurückzumachen, und mich zu sammeln. Ich bin voller Kreativität und mit neuen Ideen geladen. Am 17. Mai starten wir in der «Steinhalle» mit dem Menü «S(e)oul Food», im Sommer folgt dann ein japanisches Menü. Daran arbeite ich gerade.
>> Markus Arnold ist Chef und Besitzer der «Steinhalle» in Bern (17 GaultMillau-Punkte, ein Michelin-Stern) sowie Betreiber weiterer Konzepte wie «Mama Momos» oder der Rooftop Brasserie. Von Januar bis Mitte Mai 2024 nimmt er eine Auszeit und reist. www.steinhalle.ch