Text: David Schnapp | Fotos: Thomas Buchwalder | Video: Digitale Massarbeit
Mitja Birlo, warum sind Sie eigentlich Koch geworden?
Ich wollte das immer schon machen, obwohl keiner in meiner Familie aus der Gastronomie kommt, meine Schwester und die beiden Brüder sind Akademiker, ich bin so gesehen das schwarze Schaf. Aber ich habe mir schon als Kind einen Schnurrbart aufgemalt und Koch gespielt.
Und warum sind Sie Koch geblieben?
Weil ich nichts anderes kann (lacht). Aber im Ernst: Ohne Leidenschaft und Passion würde ich das nicht machen, das hat ja die Corona-Krise gezeigt. Viele sind aus der Branche abgewandert, weil man sein Geld auch leichter verdienen kann. Mich begeistert aber immer wieder von Neuem die kreative Seite, das Experimentieren mit Techniken, die Suche nach neuen Kombinationen.
Jetzt sind Sie Koch des Jahres 2022, hat sich das Experimentieren und Suchen gelohnt?
Ich habe immer noch nicht realisiert, was dieser Titel wirklich bedeutet. Das kommt wohl erst heute Abend beim Bier oder am Morgen danach. Ich kann aber jetzt schon sagen, dass es mich unendlich stolz macht. Ich sehe das schon als Ritterschlag für die Arbeit an, die mein Team und ich leisten.
Gestern haben Sie für die illustre Runde der 19-Punkte-Köche der Schweiz gekocht. Hand aufs Herz: Wie nervös waren Sie?
Es war ein guter Abend, aber natürlich gibt es da eine gewisse Anspannung. Wir haben uns aber alles entschieden, alles wie sonst auch zu machen, und das hat sicher geholfen. Als ich dann hinterher bei meinen Kollegen mit den grossen Namen noch am Tisch sass, war das allerdings ein surrealer Moment.
Welches war der netteste, welches der kritischste Kommentar der Kollegen?
Es gab nur positive Äusserungen, und das Wort «eigene Handschrift» fiel einige Male; das freut mich natürlich besonders.
Sie haben in Berlin, London und Sydney gelebt, war da Vals nicht ein harter Bruch?
Doch, und zuerst konnte ich mir das auch nicht vorstellen. Der Vorteil ist aber, dass sich der Fokus hier zwangsläufig auf die Arbeit verlegt, und Vals bringt mir auch eine innere Ruhe. Zum Glück arbeitet meine Partnerin Florentina Shenari als Gastgeberin und Sommelière im «Silver», sonst wäre es schwierig.
Trinken Sie morgens zusammen Kaffee zu Hause, fahren dann ins Hotel, arbeiten da Seite an Seite und nachts geht es dann gemeinsam wieder zurück, oder wie stelle ich mir das vor?
Ja fast, wir fahren allerdings getrennt zur Arbeit…
Sie wirken konsequent entspannt und ruhig, woher kommt diese innere Balance?
Die habe ich vielleicht von meiner Mutter. Sie hat vier Kinder allein in Berlin grossgezogen, und doch noch jeden Mittag für uns gekocht und wirkte dabei nie gestresst oder unausgeglichen. Die eigene innere Ruhe hilft mir heute im Alltag.
Wie führen Sie?
Jeder weiss, dass ich der Chef bin, dafür muss ich mich nicht auf ein Podest stellen, sondern kann auch Teil des Teams sein. Ich bin mir für keine Arbeit zu schade und dadurch gewinne ich den Respekt meiner Leute. Aber es gibt Situationen, wo ich mit der Faust auf den Tisch haue.
Wann zum Beispiel?
Wenn die Zwiebeln für einen Fond nicht so geröstet werden, wie es abgemacht war. Das ist nicht gravierend, muss aber abgesprochen werden.
Welche Grenzen sollte ein Mitarbeiter in Ihrer Küche nicht überschreiten?
Wir hinterfragen grundsätzlich immer wieder alles, und jeder kann seine Ideen einbringen. So ist jeder Koch Teil des Ganzen. Aber es gibt Situationen, wo ich entscheide und zum Ausdruck bringe, dass ich diese Idee jetzt nicht so toll finde.
Können Sie auch laut werden?
Ich bin grundsätzlich sehr gelassen, das braucht es in dieser Position, weil wir viele Stunden jeden Tag auf engem Raum zusammenarbeiten. Wenn ich angespannt bin, überträgt sich das aufs Team, und dann wird es unangenehm. Aber ja, es kann auch mal laut werden, oder aber ich sage gar nichts, und dann wissen die Leute auch, dass etwas nicht stimmt. Ich will mich jetzt aber gar nicht als grosszügigen Buddha der Küche darstellen, ich finde es nur besser, Unstimmigkeiten unter vier Augen zu klären, und Leute zum Beispiel nicht vor allen anderen fertig zu machen, wie das in vielen Küchen üblich ist.
Was war ihre beste Idee, seit Sie in Vals Küchenchef sind?
Ich habe immer versucht, den Personenkult um mich zu vermeiden und dadurch kann ich die Leute länger halten. Sie sind motivierter, wenn alle gemeinsam an einem Strick ziehen.
Was würden Sie Ihrer Mutter servieren, wenn Sie morgen zum Essen käme?
Ein Stück Fisch mit kross gebratener Haut, das fände sie richtig cool.
Wer kocht, wenn Sie Weihnachten nach Hause fahren?
Wenn ich frei habe, muss ich ran, und das wird richtig anstrengend. Es sitzen etwa 20 Leute am Tisch, und da wird erwartet, dass der Koch mal zeigt, was er kann.
Und, was gibt es?
Das Ziel ist immer, den Tisch mit vielen Gerichten vollzuladen. Ich habe schon Currys zubereitet, einen klassischen Braten, Steinbutt, Suppe, Tapas, und Brot wird natürlich selber gebacken…
Welche Idee ist Ihnen noch nicht gelungen?
Wenn etwas nicht gelingt, kommt die Idee in die Schublade und wird bei Gelegenheit herausgeholt. Ich möchte schon lange den Geschmack des äusseren Eiweiss-Randes von einem gebratenen Spiegelei isolieren, bisher leider erfolglos.
Und worauf sind Sie richtig stolz?
Der gebackene Sellerie mit Rande und Pfeffer löst die meisten Reaktionen bei den Gästen aus, deshalb ist der auch schon lange im Menü.
Küche auf Ihrem Niveau ist unglaublich aufwendig, und nach wenigen Sekunden oder Minuten sind die Gerichte im besten Fall nur noch eine schöne Erinnerung. Liegt darin die Tragik des Kochs?
Ich sehe unserer Arbeit auch als Kunst für den Moment. Wir servieren zum Start eine Blumenkohl-Tuille mit Saiblingsroggen, die 20 Minuten Arbeit macht, und in Sekunden gegessen ist. Was gut ist, bleibt hängen. Deshalb machen wir kaum Fotos unserer Gerichte. Was keinen bleibenden Eindruck hinterlässt, wird ausgesiebt.
>> Mitja Birlo, 36, ist Koch des Jahres 2022 im GaultMillau. Birlo startete 2014 als Sous-Chef von Sven Wassmer im 7132 Hotel in Vals. Nach Wassmers Abgang machte Remo Stoffel Birlo 2018 zum neuen Küchenchef. Das Restaurant 7132 Silver wird mit 18 Punkten und zwei Sternen bewertet. www.7132hotel.com
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