Text: David Schnapp Fotos: Thomas Buchwalder
Zwei Restaurants. Mit viel PR-Donner ist diesen Sommer das Projekt von Sven Wassmer im aufwendig renovierten Swiss Deluxe Hotel Grand Resort Bad Ragaz gestartet. Gleich zwei Restaurants verantwortet der junge Aargauer: Im «Verve by Sven», das von Küchenchef Sebastian Titz, geführt wird, gibt es «gesunde Küche ohne Verzicht». Und im «Memories», wo Wassmer selbst in der offenen Küche steht, geht es um eine naturverbundene, reduzierte Alpinküche.
18 Punkte in Klammern. Ein Dutzend Journalisten durfte schon vor dem Start in die Testküche schauen, wo Wassmer und seine Leute mit Koji-Pilzen und Fermentationstechniken experimentierten und grosse Erwartungen schürten. Es folgte ein Vorpremierendinner für Medienleute – und bevor das Küchenteam unter Live-Bedingungen richtig eingespielt war, hatte schon fast jeder Food-Journalist einmal im «Memories» gegessen und meist positiv darüber berichtet. Etwas vorsichtiger war der GaultMillau: Für das neue Restaurant gab es 18 Punkte in Klammern, die letzte Note aus Wassmers Zeit im «Silver» in Vals, die bei Erscheinung des neuen Guides noch nicht bestätigt werden konnte.
Unter Beobachtung. Keine Neueröffnung in der Schweiz wurde 2019 kritischer beobachtet, der sportliche Menüpreis von 330 Franken für 12 Gänge gab in der Szene ebenso zu reden, wie die schwankende Auslastung des Restaurants. Ziemlich genau ein halbes Jahr nach dem ersten Probedinner besuchen wir deshalb das «Memories» erneut, um herauszufinden, was bei Sven Wassmer eigentlich läuft.
Vom Hype überrollt. Der erst 33-jährige Koch gibt zu, dass er vom Hype etwas überrollt wurde: «Natürlich war zu Beginn nicht alles perfekt, vieles musste sich erst entwickeln und einspielen», sagt er. Tatsächlich macht das Küchenteam heute einen harmonischen Eindruck, die zwölf Gänge des Menüs kommen in einem erfreulich hohen Rhythmus und überzeugen fast durchs Band durch die perfekte Zubereitung von Fisch oder Fleisch sowie durch komplexe, immer wieder überraschende Geschmacksbilder. Da ist natürlich Svens Klassiker, der Saibling aus dem Val Lumnezia mit gebranntem Sennenrahm und Tannenöl, aber auch neue Gerichte wie die sorgfältig gefalteten Dumplings mit Steinpilzfüllung in einer Zwiebel-Brot-Suppe, über die Trockenfleisch gehobelt wurde. Oder ein gebratener Zander aus dem Lago Maggiore, der in einer Sauce auf der Basis von in Molke fermentiertem Topinambur liegt und mit rohem Topinambur, Salzzitrone und Schnittlauchöl gewürzt ist – ein hervorragendes Gericht.
Das Karotten-Problem. Nicht ganz überzeugend wirkt ein Gang, der seit dem Start auf dem Menü ist: Die in einem Calziumbad eingelegte Karotte hat ein weiches, fast breiartiges Inneres und eine feste Haut. Was nach aufregender Technik klingt, ist allerdings nicht besser als eine auf dem Grill geröstete oder im Ofen langsam geschmorte Karotte, auch wenn das Pesto aus Karottengrün, Hanfsamen und einer Würzpaste auf Basis von mit Koji-Pilzen fermentierter Gerste geschmacklich überzeugt.
Schwein, Taube, alte Kuh. Zum Schluss des herzhaften Teils gibt es gleich drei sehr starke Fleischgänge: Der geschmorte Schweineschwanz mit Schweizer Mole, Liebstöckel und Meerrettich hat gleichzeitig Tiefe und Frische. Das Rib-Eye (Filet- und Entrcôte-Teile) von einer zwölf Jahre alten Kuh wird sorgfältig über längere Zeit mit einer On-Off-Methode auf Holzkohle grilliert und ist, was Idee, Geschmack und Textur angeht, etwas vom Besten, was uns in letzter Zeit zu dem Thema serviert wurde. Dazu gibt es ein Millefeuille aus verschiedenen Kohlsorten und einen ausgezeichneten Rinderjus. Schliesslich wird eine vor Ort sanft trockengereifte Bressetaube aufgetragen, die mit einem Sellerie-Taubenjus, Steinpilzen und fermentierten Walnüssen in eine süsslich-erdige Harmonie gebettet ist, die geschmacklich und handwerklich hervorragend ist.
Vorbuschs Desserts. Die süssen Gerichte von Top-Patissier Andy Vorbusch schliessen auf hohem Niveau ein Menü ab, in dem bewusst nach neuen Wegen und Ideen gesucht wird, die in ihrer Mehrzahl gut gelingen. Dezent süss, nussig und leicht herb schmeckt die Kombination aus gerösteter Gerste, Pastinaken, Quittengelee und Kaffee-Eis – ein elegantes, feines Dessert. Eine Süssspeise mit Kraft und Finesse ist die angetrocknete Melone aus Prataval mit einem gefrorenen Melonen-Marshmellow, einem Eis aus geröstetem Schweizer Loto-Reis sowie einer Praliné-Masse, die mit Zucker und Kakaobutter auf der hauseigenen Conchier-Maschine aus Melonenkernen gewonnen wird.
Fazit: Aus dem zu Beginn vielleicht noch etwas zu verkopften Ansatz einer neuen «Alpine Cuisine» wird im «Memories» immer mehr eine zwar durchdachte, aber gleichzeitig auch einfach sehr gut schmeckenden modernen Haute Cuisine mit starkem Bezug zur Natur.