Text: Kathia Baltisberger | Fotos: Olivia Pulver/Thomas Buchwalder

Stefan Heilemann, 2021 war für viele schwierig. Sie durften sich aber «Koch des Jahres 2021» nennen. Überwiegen die positiven Erlebnisse?
Wir hatten ein tolles Jahr mit vielen Projekten. Das «Widder Restaurant» war bis zum Ende des Jahres immer komplett ausgebucht. Aber es gab auch für unser Herausforderungen. Und wir haben die Zeit im Lockdown genutzt, um alles zu überdenken und uns zu fragen: Wo können wir noch optimieren?

Und?
Es gab immer Dinge, auf die wir nie den Fokus gelegt haben. Zum Beispiel beim Kaffee. Da haben wir jetzt eine Lösung gefunden. Schliesslich ist es das Letzte, was der Gast bei uns bekommt. Wir haben auch neue Steakmesser. Die machen das Essen nicht besser, aber für den Gast ist es nochmal ein anderes Erlebnis. 

Das Jahresende wurde bei Ihnen getrübt. Sie sind an Covid-19 erkrankt.
Das ist ja eigentlich Wahnsinn: Ich war am 7. Dezember bei der Booster-Impfung. Danach spürte ich ein paar Nebenwirkungen, fühlte mich kränklich. Während des Abendservices verlor ich dann plötzlich den Geschmackssinn. Ich liess mich testen und war positiv. Der Rest des Teams aber nicht. 

Ein Koch ohne Geschmack- und Geruchsinn!
Zum Glück dauerte es nur vier Tage. Und man schmeckt schon, ob etwas süss, salzig oder sauer ist. Aber ob man ein Glas Mineralwasser oder Champagner trinkt, den Unterschied merkt man nicht. Ich habe mir auch ein Thai-Curry gekocht und absolut gar nichts geschmeckt.

Freilandente aus der Bresse, marinierte Leber, knusprige Haut, Bao Bun - Stefan Heilemann, Chefkoch, Widder Hotel Zürich - Dienstag, 9.6.2020 - Copyright Olivia Pulver

Klassiker im «Widder»: Die gefüllten Bao Buns von Stefan Heilemann.

Stefan Heilemann, Chefkoch, Widder Hotel Zürich - Dienstag, 9.6.2020 - Copyright Olivia Pulver

Seit Frühjahr 2020 ist das «Widder Restaurant» Heilemanns Reich.

Wie sind Sie mit der Isolation klargekommen?
Ich habe einfach nur geschlafen. Aber es ist schon nervig, wenn man weiss, dass das Restaurant voll ist und man sitzt zu Hause rum. Das «Widder Restaurant» ist mein Baby, ich habe die Verantwortung. Und du kannst nichts tun, fühlst dich hilflos. 

In der «Wirtschaft zur Schtund» haben Sie dieses Jahr einen Take-away lanciert und ein Pop-up ins Leben gerufen. Wie viel Spass machen Ihnen solche Projekte?
Das Pop-up «Asian Summer Night» ist aus einer Not entstanden. Die Restaurant-Küche wurde umgebaut und im «Widder» beim Chef’s Table standen überall Kühlschränke. So kann ich kein Gourmet-Restaurant betreiben. Also haben wir in der «Schtund» ein 5-Gänge-Menü angeboten. Draussen auf der Terrasse gab es fast 30 Plätze. Die Gäste fanden das super. Und wir haben damit ein anderes Publikum angezogen. Viele kommen jetzt auch ins Gourmet-Restaurant. Aber wir kochten dort mit zwei Induktionsplatten und einem Ofen. Auf lange Sicht macht das auch keinen Spass. 

Wo essen Sie persönlich lieber? In einem Fine-Dining-Restaurant oder in einem Pop-up?
Es braucht beides. Pop-ups wie das «Soi Thai» hier in Zürich finde ich genial. Man wird einen Abend lang in eine andere Welt entführt. Aber natürlich esse ich auch gerne Fine Dining. Als nächstes übrigens bei Mitja Birlo in Vals. Als ich gehört habe, dass er «Koch des Jahres» wird, habe ich sofort reserviert.
 

Stefan Heilemann, Chefkoch, Widder Hotel Zürich - Dienstag, 9.6.2020 - Copyright Olivia Pulver

Dank der offenen Küche können die Gäste dem Chef auf die Finger und in die Töpfe schauen.

Mitja Birlo hat genau wie Sie 18 Punkte, auch Sie waren «Koch des Jahres». Auf dem Papier sind Sie sehr ähnlich. Vergleichen Sie sich mit anderen?
Darum geht es nicht. Man schaut, was der andere macht. Aber man kann ja die Küchen von Mitja Birlo, Sven Wassmer oder Patrick Mahler (alle haben 18 GaultMillau-Punkte, Anm.d.Red.) nicht vergleichen. Vor sechs Jahren waren wir noch in der zweiten Reihe. Jetzt sind wir in der ersten. Ich finde, wir sind eine coole Generation Köche. Und ich finde es immer toll, wenn ein Kollege eine eigene Handschrift hat und diese entwickelt. 

Muss man sich eigentlich jedes Jahr neu erfinden oder liegt das Geheimnis des Erfolgs in der Konstanz?
Da spielen viele Faktoren mit. Man muss sicherlich die Konstanz halten. Gleichzeitig muss man neue Lieferketten erschliessen, neue Produkte finden. Aktuell sind das bei mir Seafood und Fisch von den Färöern. Und natürlich muss man immer alles hinterfragen, was man tut. 

Gelingt einem Koch von Ihrem Kaliber auch mal ein Gericht nicht?
Es ist nicht immer alles perfekt. In der Wildsaison machen wir zum Beispiel Wildhase Royal - ein ganz klassisches Gericht. Ich will das zeitgemäss interpretieren. Und wenn das Gericht nur gut ist, reicht mir das nicht. Da braucht es schon einige Versuche, bis es perfekt ist. 
 

Miéral Perlhuhn, wilder Brokkoli, australischer Wintertrüffel, Yuzu - Stefan Heilemann, Chefkoch, Widder Hotel Zürich - Dienstag, 9.6.2020 - Copyright Olivia Pulver

Miéral Perlhuhn, wilder Brokkoli, australischer Wintertrüffel und Yuzu.

Stefan Heilemann wird Koch des Jahres 2021 Koch des Jahres, Stefan Heilemann, Widder, Zürich, Koch des Jahres 2021 © Thomas Buchwalder

Der Titel «Koch des Jahres» bescherte Heilemann viel Aufmerksamkeit und ein volles Restaurant.

Was bedeutet für Sie Luxus in einem Gericht?
Harmonie. Zunächst braucht es ein perfektes Grundprodukt. Und dann müssen alle Geschmäcker da sein und perfekt harmonieren. Nehmen wir den Eigelb-Raviolo mit weissem Trüffel. Da braucht es nicht viel mehr als ein Ei von unserem eigenen Hof und perfekten, weissen Trüffel. 

Viele ihrer Schützlinge sind flügge geworden. Michael Schuler hat das «Alex» in Thalwil übernommen, Michael Gollenz kocht in Kroatien. Wie wichtig ist heutzutage ein guter Mentor?
Sehr wichtig. Man braucht jemanden, der einen fördert und an die richtigen Plätze bringt. Nehmen wir Michael Schuler als Beispiel. Der hat so viel Potenzial und ist motiviert. Wenn ich ihn den Hotel-Besitzern vorschlage, hat mein Wort Gewicht. Mir ging es auch so. Ich war fünf Jahre bei Harald Wohlfahrt in der Traube Tonbach. Da hat man einen Stempel und ein gutes Zeugnis. Wenn einer wie Wohlfahrt positiv über einen spricht, dann ist das ein Vertrauensbeweis. Aber am Ende muss sich der Koch beweisen und in der Küche performen.

Alle Gastronomen klagen über Personalmangel. Wollen wenigstens bei Ihnen ein paar Talente anheuern?
In der Küche ist es tatsächlich so. Ich habe gerade zwei Köche angestellt, obwohl ich nur einen gebraucht hätte. Im Service ist die Situation schwierig. Aber ich habe mich jetzt für einen Koch mehr entschieden, dafür gehen wir öfter selber raus und servieren die Teller selbst. 

Im neuen Jahr stehen zunächst Ferien an. Wie lange brauchen Sie, um runterzufahren?
Ich gehe für zwölf Tage auf die Malediven und dann noch eine Woche nach Dubai. Auf den Malediven mache ich noch ein 6 Hands Dinner mit Christian Kuchler und Jacob Jan Boerma. Wir sind eine coole Truppe. Da kann ich sehr gut abschalten. Das Problem ist ja eher, dass man permanent erreichbar ist. Aber ich habe mittlerweile alle in meinem Umfeld gut erzogen: Mich ruft keiner vor 12 Uhr an.
 

Stefan Heilemann 2020: Sous-Chef Michael Schuler

Der Mentor und sein Schützling: Dank Heilemann ist Michael Schuler der neue Chef im «Alex» in Thalwil.

Wie sehen Ihre Pläne fürs Neue Jahr aus?
Ich habe jetzt ein extrem junges Team mit vielen neuen Mitarbeitern. Wir müssen uns erst einspielen. Aber es sind alle sehr motiviert. Schön wärs ja, wenn es 2022 ohne Lockdown gehen würde. Und im Sommer freue ich mich auf den Widder-Garten, wo wir Sonntagmittag Lunch servieren werden. 

Alle Chefs schreiben Kochbücher. Wann kommt Ihres?
Ehrlich gesagt würde ich auch gerne eines machen. Lange dachte ich: wer soll denn das kaufen, wer will das lesen? Aber mich fragen viele Gäste danach. Mal schauen.

 

>> Die Channel-Serie zum Jahresende: Sieben begabte Chefs ziehen Bilanz. Heute: Stefan Heilemann, 18 Punkte im «Widder», Zürich, GaultMillaus «Koch des Jahres 2021».