Text: David Schnapp
Ideen aus dem Norden. Wie viele prägende Ideen der modernen Gastronomie kam wohl auch diese aus dem Norden: Esben Holmboe Bang erzählte schon vor einigen Jahren bei einem Treffen in Zürich, dass er sein Dreisterne-Restaurant Maaemo in Oslo nur noch an vier Tagen öffnen werde, um die Arbeits- und Lebensqualität seiner Angestellten zu verbessern. Und René Redzepi, mit dem «Noma» in Kopenhagen (grosses Bild oben) einer der wichtigsten Impulsgeber der Kochkunst der letzten zehn Jahre, sagte kürzlich: «Wir wollen das beste Restaurant der Welt für Mitarbeiter sein», und drückte damit aus, dass man sich in der (Spitzen-)Gastronomie in naher Zukunft verstärkt mit den Arbeitsbedingungen beschäftigen muss, um an der Spitze zu bleiben.
Zentrales Thema: Mitarbeiter. Der Fokus auf die Mitarbeiter wird, nicht zuletzt auf Grund der zunehmenden Personalknappheit, zum zentralen Thema und ist mittlerweile ebenso wichtig wie kulinarische Kreativität oder das Scouting hervorragender Produzenten und Produkte. In der Schweiz gehörten Sarah und Andreas Caminada zu den ersten, welche dieses Problem erkannt haben, und zeigen mit ihrer Stiftung Uccelin zur Förderung junger Talente in der Gastronomie einen Weg auf, um Berufe in Service und Küche aufzuwerten.
Teure Überstunden. Nun kann nicht jede Beiz eine Ausbildungsorganisation aufziehen, aber schon die Überarbeitung des bisher üblichen Zimmerstunden-Modus’, kann viel bewirken, sagt Nenad Mlinarevic. Der Mitinhaber und Chef der Zürcher Restaurants Bauernschänke und Neue Taverne testet seit Anfang des Jahres neue Arbeitszeiten-Modelle, «um zu sehen, was am besten funktioniert», wie er sagt. «Beim Schicht-Modell arbeiten die Köche entweder für den Mittags- oder den Abendservice, den Rest des Tages haben sie frei. Das macht auch betriebswirtschaftlich Sinn, weil die Leute keine Überstunden machen. Beim bisherigen System mit Zimmerstunde zwischen zwei Services kommen zehn, fünfzehn Mehrstunden pro Woche zusammen. Das wird teuer», sagt der 41-jährige Koch und Unternehmer.
Drei Abende zu Hause. Der Nachteil des Vier-Tage-Modells ist allerdings oft, dass die Köche dann an vier Tagen sehr viele Stunden arbeiten müssen. «Auf ein Vier-plus-Modell setzt hingegen Sebastian Zier, Chef des «Einstein Gourmet» in St. Gallen (18 Punkte und 2 Sterne): «Wir haben nur vier Tage geöffnet, nutzen aber den fünften Tag für die Produktion. So sind meine Leute immerhin drei Abende zu Hause bei ihren Partnern und Familien, das ist schon ein grosser Gewinn an Lebensqualität». Nun arbeitet Zier in einem grossen Hotel, da sieht die Betriebsrechnung etwas anders aus als in einem Restaurant, das ohne Querfinanzierung, Sponsoren oder Mäzene auskommen muss.
Gleich viele Gäste. Seit dem 1. Januar 2022 hat aber auch das «Schäfli» in Wigoltingen (18 Punkte, 2 Sterne) nur noch vier Tage pro Woche offen. «Wir hatten steigende Umsätze mit immer gleich viel Personal, und das ging irgendwann nicht mehr», sagt Inhaber und Küchenchef Christian Kuchler. Er habe seinen Leuten die Wahl zwischen 500 Franken mehr Lohn und einem zusätzlichen freien Tag gelassen, der Entscheid fiel einhellig für mehr Freizeit, wobei die Köche selbst entscheiden, wann sie ihr Mise en Place für den ersten Service der Woche am Mittwochmittag machen. «Jetzt haben wir während der ganzen Woche gleich viele Gäste wie zuvor, aber halt komprimiert auf vier Tage», sagt Kuchler. Und er merke, dass seine Leute fitter seien, «und auch für meine eigene Kreativität ist die zusätzliche Zeit ein Gewinn. Neue Gerichte entstehen zusammen mit dem Team schneller, weil wir einfach alle besser erholt sind.» Betriebswirtschaftlich sei die Vier-Tage-Woche auch deshalb sinnvoll, weil man mit vorausschauender Planung nur noch einmal pro Woche Ware bestellen müsse, nennt Christian Kuchler einen weiteren Aspekt des neuen Modells.
Stoffels Neuland. Vergleichbare Motive brachten auch den innovativen Hotelier Remo Stoffel vor drei Jahren dazu, sein 7132 Hotel in Vals auf eine Fünf-Tage-Woche umzustellen, und damit Neuland zu betreten: «Wir wollten uns als attraktiven Arbeitgeber positionieren, denn auf diese Weise können wir die Leute ganzjährig beschäftigen und brauchen insgesamt auch weniger Personal», sagt Stoffel. Da man im Vals sowieso keine Langzeitgäste beherberge, sei die verkürzte Woche problemlos umsetzbar. Mitja Birlo, Koch des Jahres 2022, hat währenddessen im Restaurant 7132 Silver seit über einem Jahr von Donnerstag bis Sonntag geöffnet, «das funktioniert ganz gut», sagt er. «Die Leute arbeiten lieber an den vier Tagen etwas mehr und haben dafür einen zusätzlichen Kompensationstag», so der Küchenchef. Eine Folge der komprimierten Woche sei aber auch, dass die Kreativitätsprozesse umgestaltet werden mussten. «Ein Koch ist jetzt offiziell während des Tages mit Nachforschungs- und Entwicklungsarbeiten betraut, so haben wir einen garantiert konstanten Ideen-Output», erklärt Mitja Birlo.
Betriebe auf dem Land. Dass die Personalfrage immer drängender werde, ist auch für Martin Thommen («Bären», Utzenstorf, 14 Punkte) klar. «Aber ob sich die Vier-Tage-Woche wirklich als die beste Lösung herausstellt, ist für mich nicht so eindeutig», sagt der Präsident der Jeunes Restaurateurs (JRE). «Bei unseren Mitgliedern ist die verkürzte Woche nicht das grosse Thema. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die meisten Betriebe auf dem Land führen, wo sich die Situation anders darstellt als in den Städten», sagt Thommen.
«Viele Faktoren.» Für seinen JRE-Kollegen Rolf Fuchs vom «Panorama» in Steffisburg (17 Punkte) ist klar, dass der Personalmangel das grosse Thema der nahen Zukunft sein werde: «Aber welche Massnahmen dagegen ergriffen werden sollten, ist für mich offen und hängt im Einzelfall von vielen Faktoren und der Art des Betriebs ab», erklärt der Koch, der sich auch als Ausbildner einen hervorragenden Ruf erarbeitet hat. «Es braucht individuelle Lösungen», sagt Fuchs. Fest steht, da sind sich alle Gesprächspartner einig, dass die Zeiten der 16-Stunden-Tage in der Spitzengastronomie ihrem Ende entgegengehen.