Text: David Schnapp I Fotos: Thomas Buchwalder

Mit Messer und Säge. Auf dem polierten Chromstahl-Arbeitstisch liegt erkennbar ein ganzes Tier und so unangenehm einen das zunächst berührt, so sind die folgenden Szenen doch einfach zutiefst ehrliches Küchenhandwerk. Chef Thomas Huber zieht die Schürze an, schärft nochmals das schon sichtlich oft nachgeschliffene Ausbeinmesser mit dem gelben Kunststoffgriff, legt die etwas martialisch aussehende Knochensäge bereit und legt los: «Ich fange mal mit den Schultern an», sagt er und schneidet anatomisch präzise an den richtigen Stellen des Gitzis entlang. «Die Ziegen kaufe ich entweder beim Heinzer im Muotathal oder beim Schönholzer am Wädenswiler Berg», sagt der Gastronom über die Herkunft des Tiers. 

Thomas Huber, Krone Sihlbrugg, kocht Gitzi 2023

Nose to tail: Die Gitzi-Teile inklusive Innereien (links) nach der fachgerechten Zerlegung.

Vielseitiger Chef. Thomas Huber und seine Partnerin Monika Jans führen den Familienbetrieb «Krone» in Shilbrugg in 13. Generation, Handwerk ist so etwas wie der Nordstern für den «Jeune Restaurateur» – ein Fixpunkt, an dem er seine Arbeit ausrichtet. Dabei beherrscht der 59-Jährige wie nur wenige Köche im Land eine erstaunliche Bandbreite an Küchentechniken. Das fachgerechte Zerlegen von kleinen Tieren wie Gitzi, Reh oder Lamm hat Huber ebenso im Griff wie den Umgang mit dem Rotationsverdampfer, der in einer Ecke der Küche steht, und der Gewinnung von klaren Essenzen dient. «Modernist Cuisine», das Heilige Buch der Avantgardeküche, liegt aufgeschlagen in einer der heimelig-holzgetäferten Stuben der «Krone», die als Arbeitszimmer dient.

Zunge, Niere, Hals. Aber jetzt geht es gerade rustikaler und hemdsärmliger zu, ein paar gezielte Hiebe mit dem Hackbeil, ein Schnitt mit der Säge, Stück für Stück, schnell und akkurat zerlegt Huber das Gitzi und erklärt währenddessen die Varianten und Zubereitungsmöglichkeit im Wortsinn «from nose to tail»: «Die Zunge kann man zum Beispiel ganz weichkochen, dann trocknen, in lange Fäden zupfen und knusprig frittieren», sagt Huber. Das Nierenfett wiederum schält er vorsichtig vom Organ, es wird später zusammen mit Teilen vom Hals und anderen Stücken wie der Wade zu Wurst verarbeitet. Gitzi, ist Huber überzeugt, sei ein fester Bestandteil einer saisonalen Küche. «Leider nehmen nur noch wenige den Aufwand auf sich, wirklich alles vom Tier zu verwerten», so der Koch.

Thomas Huber, Krone Sihlbrugg, kocht Gitzi 2023

Gezielte Hiebe: Einsatz mit dem Hackbeil.

Thomas Huber, Krone Sihlbrugg, kocht Gitzi 2023

Präzisionsarbeit: Thomas Huber bei der Zerlegung.

Thomas Huber, Krone Sihlbrugg, kocht Gitzi 2023

Kurz gebraten: Leber und Koteletts in der Pfanne.

«Gitzi-Knusperli» im Tempurateig. Vor Ostern steht Gitzi traditionell auf der «Krone»-Karte, Thomas Huber «möchte den Gästen etwas servieren, was sie zuhause nicht kochen», wie er sagt. Dazu gehören etwa «Gitzi-Knusperli». Dafür hat sich Huber nicht von der modernistischen, sondern vielmehr von der traditionellen Appenzeller Küche inspirieren lassen, wo Gitzi im Bierteig ausgebacken wird. Der erfahrene Koch gart die Ziegenbrust acht Stunden bei tiefer Temperatur im Wasserbad, danach wird das Fleisch im Tempurateig gewendet und schliesslich gebraten, um ein knuspriges Element zu erhalten. 

Schulter aus dem Ofen. «Ein Gitzi von guter Qualität», erklärt der Küchenchef, werde nur mit Milch gefüttert, was besonders zartes Fleisch ergebe. Viele Bauern würden zwar die jungen Ziegen im Sommer mit auf die Alp nehmen, so dass auch im Herbst mit Gras gefütterte Tiere zu haben wären, «aber das Herbst-Gitzi hat sich nicht durchgesetzt». Butterzart ist auch die Schulter, die Thomas Huber drei bis vier Stunden mit viel Weisswein langsam im Holzofen schmort. «Wenn man das Schulterblatt ohne Kraftaufwand herausziehen kann, ist das Stück gar», sagt Thomas Huber. 

Frühlingsboten. Dass die Gitzi-Saison jetzt angebrochen ist, freut den 16-Punkte-Chef spürbar. Mit Elan brät er nun die sorgfältig ausgelösten Koteletts an, rührt im Voressen mit Safran und wartet, bis das Öl in der Grillpfanne den Rauchpunkt erreicht hat, um die hausgemachte Wurst darin anzubraten. «Nach einem Winter mit geschmorten Rinderbacken, Wurzelgemüse und Kohl, sind die Ziegen – wie Bärlauch, Morcheln oder Spargel – ein schönes Zeichen dafür, dass der Frühling da ist, und dass wieder etwas Abwechslung in den Warenkorb kommt», sagt der Koch und richtet zum Schluss seine vielfältigen und variantenreichen Gitzi-Gerichte an.