Text: Siméon Calame Fotos: Blaise Kormann

Von der Erzieherin zur Winzerin. «Als ich klein war, bin ich in ein Glas Chasselas gefallen», schmunzelt Anne Müller aus Yvorne VD in Anlehnung an Obelix und seinen Zaubertrank. Und erklärt auch, woher ihre Passion für die Rebe und den Wein stammt: «Als Kind liebte ich es, meinen Vater und Grossvater in die Reben zu begleiten und den Boden zu bearbeiten». Aber als sie 16 Jahre alt war, entschied sie sich gegen eine Winzerlehre, es zog sie in den Erziehungsbereich, wo sie dann auch 15 Jahre lang tätig war. Doch als die Begeisterung für die Biodynamie wuchs und sie sich mehr und mehr ihres Hangs zur Natur bewusst wurde, setzte sich die temperamentvolle Dreissigjährige 2004 wieder auf die Schulbank und lernte die Grundlagen des Winzerberufs.

 

Mitarbeiterin: die Stute Canelle. 2007 kam Anne Müller heim auf das elterliche Weingut, dessen Parzellen sie 2013 in Eigenregie übernahm. «Ich fühle eine unbeschreiblich tiefe Verbindung mit dieser Erde und diesen Reben, die zum grössten Teil aus dem Jahr 1973 stammen», gesteht sie, «der Gedanke, dass schon mein Grossvater und mein Vater sie gepflegt haben, begeistert mich.» Anne Müller bearbeitete ihre Rebberge mit der Stute Canelle. Sie sucht immer wieder die Verbindung zwischen Pflanze und Tier; auch Schafe weiden seit acht Jahren zwischen den Rebzeilen.

 

Dem Wein Zeit lassen. Die quirlige Winzerin liebt Weine mit Wurzeln und mit Charakter. Auf ihren 2,7 Hektaren wachsen Chasselas, Pinot noir und Gamaret, daraus entstehen sechs verschiedene Weine. Dass sie diesen Weinen zum Reifen viel Zeit lässt ist eines ihrer Markenzeichen. Den 2018er hat sie erst jetzt in den Verkauf gegeben, beim Pinot noir Le Choisi, einem eleganten, aber fülligen Wein, ist erst der 2017er zu haben. «Normalerweise müssen wir die Weissweine kurz vor Pfingsten abfüllen, wegen der Degustationsveranstaltung «Offene Weinkeller» ansteht. Den Jahrgang 2019 konnten wir dagegen vier Monate länger im Bottich lassen. Das hat ihm gutgetan», freut sie sich. Auch der Chasselas Précieux verdankt ihr diese Gnadenfrist: er gefällt bereits in der Nase und entwickelt sich im Mund zu einem runden und mineralischen Genuss. Der Bogen vom Terroir ins Glas ist geschlagen. Applaus für den verblüffenden Pinot Noir Le Chosi gibt es übrigens auch von GaultMillaus «Sommelière des Jahres» Lisa Bader («Dolder Grand», Zürich). «Eine echte Entdeckung!»

 

Das liegt im Keller: Weiss: Chasselas «de gaieté», Chasselas Le Précieux. Rosé: Rosé Pinot noir. Rot: Pinot noir, Gamaret, Pinot noir Le Choisi.

 

Coup de Coeur: «Das hängt vom Moment ab. Vom Moment, den Personen, dem Wetter, der Laune…»

 

Das passt zusammen: «Ich sehe das nicht so eng und prinzipiell. Ich mache mir nicht zu viele Gedanken, sondern öffne einfach die Flasche, auf die ich gerade Lust habe.»

 

Drei Gault-Millau-Chefs mit Müller-Weinen: Bernard Ravet in der L’Ermitage in Vufflens-le-Château (19 Punkte), Kévin Vaubourg im Beau-Rivage Palace in Lausanne (18 Punkte), Ashprim Misini im Café des Alpes in Gryon (12 Punkte).