Text: Kathia Baltisberger Fotos: Olivia Pulver
Arbeitsteilung. Schon beim Betreten des kleinen Ladens riecht man sie: Quitten. Ein Blick in die Destillerie und hinaus in den Hof bestätigt die Annahme. «Reto brennt gerade Quittenschnaps», erklärt Carina Lipp, die zusammen mit ihrem Mann «Lipp Weingut & Destillerie» führt. Überall stehen Harassen über und über voll mit den Früchten. Die einen noch ganz pelzig, die anderen schon «blutt». «Das ist eine sehr aufwendige Arbeit, die Quitten von ihrem Flaum zu befreien.» Obwohl der Schnaps und alles, was dazu gehört, Retos Aufgaben sind, hilft Carina ihrem Mann. Ansonsten herrscht strikte Gewaltentrennung. Carina ist für den Wein verantwortlich, Reto für die Destillate.
Multifunktional. Doch was heisst schon strikt? Carina Lipp auf die Rolle der Winzerin zu reduzieren, wäre ohnehin zu kurz gegriffen. Die 41-Jährige ist ausgebildete PR-Fachfrau, verantwortlich für das Marketing, arbeitet im Laden im Verkauf, ist Gastgeberin für verschiedene Events und nicht zuletzt Mutter von drei Kindern. «So passt es mir. Ich habe deshalb auch keinen fixen Tagesablauf. Im Sommer gibt uns die Natur den Rhythmus vor, vieles ist vom Wetter abhängig.» Jetzt, im Herbst und dann im Winter, sind die Trauben abgelesen, der Wein ist produziert und eingelagert, dennoch habe sie viel zu tun. «Der Unterschied ist, dass ich selbst bestimmen kann, wann ich welche Arbeit erledige.» Dieses Jahr lagen für Carina und die Kinder sogar Herbstferien drin. «Luxus!», sagt sie.
Lehr- & Wanderjahre. Carina Lipp übernahm 2013 das Weingut von ihren Eltern. Dass sie selbst mal Winzerin werde, das hätte sie als Teenager nie gedacht. «Klar, man hat das irgendwie in sich, wenn es ums Wimmeln geht. Oder man bangt mit, wenn es gewittert oder hagelt. Aber mir war es damals auch wichtig, von hier weg zu gehen. Auf Lehr- und Wanderjahre. Wie Heidi!» 2003 kam Carina zurück, um zu Hause zu helfen. «Vielleicht brauchte ich diesen Aussenblick, um die Schönheit hier zu erkennen», sagt sie. 2005 war der erste Jahrgang, den sie dann selbst gekeltert hatte. Reto Lipp, 45, hat mit der Liebe auch die Liebe zum Schnapsbrennen gefunden. «Den Ärmel reingenommen hat es mir, als ich zum ersten Mal diese Brennerei hier gesehen habe», sagt der gelernte Elektriker. Das Brenn-Handwerk hat er von Carinas Vater, Bücher und verschiedene Kurse gelernt.
Alles von Hand. Doch was hebt Carinas Weine von anderen Weinen der Bündner Herrschaft ab? Es ist vermutlich die Liebe fürs Detail. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass Carina die Etiketten noch von Hand beschriftet. «Ich schreibe sehr gerne von Hand. Und Wein machen ist ein Handwerk. Und die Schrift weist eben auch auf dieses Handwerk hin.» Auf dem klassischen Pinot steht immer Wurzeln – Heimat – Glück. «Wenn wir wissen, wo unsere Wurzeln sind, wissen wir, wo unsere Heimat ist. Und das ist ein grosses Glück», erklärt Lipp die drei Worte. Auf dem Sélection steht Zeit – Lebensfreude – Liebe. «Diese Worte haben mir einfach gefallen. Ich dachte, ich ändere das dann mal, wenn mir etwas Besseres einfällt. Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das eigentlich die drei wichtigsten Werte sind im Leben.» Die Etiketten dieser «Bestseller» werden erst von Hand geschrieben, dann digital vervielfacht. Beim Intuiva, einem ganz tiefgründigen Wein aus 50-jährigen Reben, ist jede Flasche von Hand geschrieben. «Ich bin Linkshänderin. Manchmal verschmiere ich etwas, das lasse ich aber sein.» So ist jede Flasche ein Einzelstück.
Wein bedeutet Zeit. Natürlich finden sich auch auf den Lipp-Weinen Angaben zu Jahrgang und Volumen. «Diese Informationen sind für mich eher wie ein Beipackzettel. Viel wichtiger ist doch, was der Wein uns gibt. Und das ist Zeit. Die Zeit, die er in sich gespeichert hat. Deshalb ist Wein trinken für mich ein Synonym für sich Zeit nehmen.» Einen anderen Zugang zur Zeit findet Carina Lipp auch in ihrem Reich, im Weinkeller. Leise Musik plätschert aus den Steinen. «Hier unten erhalte ich eine neue Perspektive. Ich erkenne, dass alles schon viel vor mir da war und auch noch nach mir da sein wird. Das gibt vielen aktuellen Problemen und Sorgen eine ganz neue Dimension.»