Text: Elsbeth Hobmeier I Fotos: Florence Zufferey

«Tatatataaa» auf 800 Höhenmetern. «Completer. Back to the Roots» steht auf dem grünen Etikett. Das Winzerpaar Isabella und Stéphane Kellenberger entkorken die Flasche. Mitten im Rebberg Rarnerchumma, der so steil ist, dass man kaum stehen kann. Gefeiert wird die Taufe eines neugeborenen Weins. Tatatataaa! Der erste Completer 2022 aus Raron ist da, gekeltert von der Kellerei Vin d’Oeuvre in Leuk! Hier stossen seine Macher mit den Unentwegten an, die mit ihnen auf 800 Höhenmeter hochgekeucht sind: benachbarte Winzer, befreundete Gastronomen, Gemeinderätin Christine Brégy aus Raron, Swisswine-Wallis-Chef Gérard-Philippe Mabillard. Und José Vouillamoz, der international bekannte Rebenforscher. Ihm ist es indirekt zu verdanken, dass die Kellenbergers auf der Chumma die seltene Rebsorte Completer angebaut haben. Grosses Bild oben: Isabella & Stéphane Kellenberger, José Vouillamoz, v.l.n.r.

 

Porträt von Isabella & Stéphane Kellenberger, aber auch von José Vouillamoz sowie Stimmungsfotos von der Veranstaltung. Completer Cave Vin d'oeuvre

Taufe am Weinhang, der so steil ist, dass man kaum stehen kann.

Porträt von Isabella & Stéphane Kellenberger, aber auch von José Vouillamoz sowie Stimmungsfotos von der Veranstaltung. Completer Cave Vin d'oeuvre

Natürlich kommt auch was ins Glas, wenn im Wallis gefeiert wird.

Jahrhundertealte Wurzeln. Completer? Der kommt doch aus der Bündner Herrschaft? So wird sich manche Weinfreundin, mancher Weinfreund verwundert fragen. José Vouillamoz bewies in seinem 2011 veröffentlichten Buch «Schweizer Rebsorten» einen anderen Ursprung. «Completer ist ein Kind des Wallis», sagt er. «Man nannte ihn hier einst Grosser und Kleiner Lafnetscha». Mit DNA-Analysen konnte er beweisen, dass der bereits 1627 erwähnte Lafnetscha aus einer Kreuzung von Completer und Humagne blanche entstand, Completer also schon im Mittelalter im Wallis beheimatet war. «Er wanderte dann wohl über Italien in die Bündner Herrschaft ein. Und wurde in seiner einstigen  Heimat über Jahrhunderte vergessen», erklärt der Forscher. Der Name leitet sich vom letzten abendlichen Gebet der Benediktinermönche ab, der Completa, nach dem der körperreiche Wein jeweils als Stärkung gereicht wurde.  

 

Porträt von Isabella & Stéphane Kellenberger, aber auch von José Vouillamoz sowie Stimmungsfotos von der Veranstaltung. Completer Cave Vin d'oeuvre

Die Besucher nahmen teilweise lange Wege auf sich, um dabei zu sein.

Porträt von Isabella & Stéphane Kellenberger, aber auch von José Vouillamoz sowie Stimmungsfotos von der Veranstaltung. Completer Cave Vin d'oeuvre

Der wahrscheinlich wichtigste Reb-Ahnenforscher der Welt: José Vouillamoz.

Ein Wein mit Pepp. Als der Pinot noir auf der Rarnerchumma wegen Frostschäden 2017 ausgerissen werden musste, suchten Isabella und Stéphane Kellenberger nach einer passenden autochthonen Sorte für diesen heissen Felsenkessel mit seinen frischen, kühlen Nächten. «Wir waren fasziniert vom Bündner Completer. Und von Vouillamoz’ Forschung.» Die beiden sind überzeugt, dass sich im Wallis die ganz grossen Terroirs für Weissweine von Weltrang finden. So bepflanzten sie 2018 eine Fläche von 2500 Quadratmetern mit Completer. Der Jahrgang 2022 ist der erste, der jetzt, nach einem Jahr in Barrique und Flasche, genussreif ist. Er hat Pepp, ist fruchtig, mit einer schönen Säure und einem Aroma, das an weisse Pfirsiche erinnert. Apropos Säure: Hier sind es wegen des wärmeren Klimas nur 6 Gramm, wogegen ein Bündner Completer bis zu 11 Gramm aufweisen kann. In der Schweiz belegt der Completer übrigens nur 8,5 Hektaren Rebland, 2 davon liegen im Wallis. Seit 2020 macht auch die Starwinzerin Marie-Thérèse Chappaz in Fully eine kleine Anzahl Flaschen. Zu finden ist die Sorte - neben der Bündner Herrschaft - zudem bei ganz wenigen innovativen Winzern in Waadt, Genf, Tessin und bei Schwarzenbach am Zürichsee. «Das ist ein Nischenprodukt, eine eher schwierige Sorte», betont Vouillamoz, «nur etwas für sehr gute Winzer».

 

Completer (grüne Flasche links) © Romain Cipolla

Diverse Weine wurden entkorkt - mit einer Gemeinsamkeit: Sie sind alle auf der «Rarnerchumma» gewachsen.

Stimmungsbild mit der Gruppe bei der Degustation

Auch das Wetter spielt meist mit, wenn im Wallis eine Taufe gefeiert wird.

Die «halbe Schweiz» auf der Gästeliste. Die Kellenbergers sind solche guten Winzer, ihre Kellerei Vin d’Oeuvre gehört zur Liste der 150 besten Schweizer Weinbaubetriebe von GaultMillau. Jetzt stösst das Paar auf der Terrasse des kleinen Rebhauses hoch über Raron mit den Winzernachbarn an. Romain Cipolla hat einen tollen Heida und einen Pinot noir mitgebracht. Cornelia und Andreas Bolliger, Hobbywinzer aus Stans, die seit 20 Jahren in diesem Rebhaus Wein machen, öffnen ebenfalls einen Heida sowie einen betörend guten Merlot barrique. Von Vin d’Oeuvre gibt es neben Completer auch Viognier und Syrah. Alle diese Weine sind auf der Rarnerchumma gewachsen. Zum Gratulieren und Anstossen auf zehn Jahre des Bestehens von Vin d’Oeuvre sind auch einige Gastronomen gekommen, «Kunden der ersten Stunde, denn sie haben von Beginn weg an unseren Wein geglaubt», sagt Stéphane Kellenberger. Von weit angereist ist Franz Lehner vom legendären «Pöschtli» im Äugstertal, der fast die ganze Palette der beiden auf der Karte hat und teilweise auch offen ausschenkt. Etwas näher zuhause sind die Loretans vom Bodmerstübli in Leukerbad sowie Alain Gex vom Bergrestaurant Coquoz in Champéry. Sie alle werden sich balgen um den neuen Completer, von dem es nur zwei Barriques voll gibt, aber den man gut und gerne bis zu 20 Jahren liegen lassen kann.

>> www.vindoeuvre.ch