Text: Stephan Thomas I Fotos: Nik Hunger
Ein-Frau-Betrieb. Mélanie Webers Haus steht mitten in der Altstadt von Cully, gleich gegenüber der Kirche. Es zeigt historischen Charme, stammt aus der Zeit der Jahrhundertwende. Man würde nicht im Geringsten an ein Weingut denken - eher an ein alteingesessenes Geschäft für Hüte, einen Kolonialwarenladen oder eine Massschneiderei. Unübersehbar prangt der Schriftzug «Mélanie Weber Vigneronne» an der Fassade. Mélanie hält auf dem kleinen Balkon zuoberst unter dem Dach nach uns Ausschau. Das sieht beinahe aus wie eine Schwarzwälder Kuckucksuhr. Ja, Mélanie ist stolz darauf, ihr Weingut weitgehend als Ein-Frau-Betrieb zu stemmen. Das zeigt sie auch mit ihrer Mitgliedschaft bei den «Artisanes du Vin Suisse», einer Vereinigung von Schweizer Winzerinnen.
Museum als Weinkeller. Mélanies Familie ist hier seit fünf Generationen verwurzelt. Der Ururgrossvater, ein Bahnarbeiter aus der Deutschschweiz, ist hier hängen geblieben. Hat eine Mademoiselle Bovard geheiratet, bestand die Mitgift aus Weinbergen! Da staunen wir nicht schlecht, wenn wir Mélanie mit einem Mitarbeiter fliessend Serbisch sprechen hören. Kunststück, ihre Mutter stammt vom Balkan. In ihrem Haus verarbeitet Mélanie die ganze Ernte ihrer zwei Hektaren. Der Platz ist knapp, das Instrumentarium über weite Teile historisch. Besonders eine alte Korbpresse, der man die vielen Jahrzehnte ansieht. Auf die Qualität des Weins hat das offensichtlich keinen negativen Einfluss, im Gegenteil. Zu den 15'000 Flaschen, die Mélanie jährlich produziert, kommen noch zwei Hektaren Land, die sie im Auftrag des Gemeindeweinguts von Cully bewirtschaftet. Ein Geschäftsmodell, das im Kanton Waadt verbreitet ist; «Vigneronne-Tâcheronne» nennt sich Mélanie in diesem Zusammenhang.
Zeit für den Schwatz. Mélanie ist in Cully aufgewachsen, kennt jede und jeden. Das zeigt sich, wenn man mit ihr im «Café de la Poste» sitzt. «Hier kommt noch alt und jung zusammen, alle kennen sich. So etwas gibt es nicht mehr allzu oft. Hoffentlich bleibt es so. Das Bistro liegt zwar an der Strasse, es hat ein wenig Verkehr, aber das macht nichts. Dafür ergibt sich immer wieder ein Schwatz.» Zum Beispiel mit der betagten Dame, die ein Tulpensträusschen in der Hand hält. Sie hat es in einem Garten gefrevelt und gibt es auch freimütig zu. Alles liegt in Cully nahe beisammen. Mélanie macht alle Wege zu Fuss, auch in die Rebberge. Wand an Wand zu ihrem Haus liegt die Bäckerei Jean-François Martin. Ein unscheinbares Lokal, aber alle Backwaren werden im Haus hergestellt - man merkts. Überhaupt sind Feinschmecker in Cully gut bedient, nicht nur in den Restaurants. Auch dank der «Pêcherie de Lavaux», ein Garant für frischeste Fische. Auch grössere Städte im Schweizer Mittelland können von so etwas nur träumen.
Gischt in der Flasche. In die Genusslandschaft Lavaux gehören natürlich auch die Weine von Mélanie Weber. Der Sortenspiegel ist mit Chasselas (Epesses, Calamin, Dézaley), Chardonnay, Gamay und Merlot durchaus klassisch. Für drei ihrer Weine hat Mélanie eigens Gemälde anfertigen lassen. Sie sind anstelle eines Etiketts ganz ohne Kommentar auf die Flasche geklebt; alle notwendigen Angaben stehen auf dem Rücketikett. Originell ist auch die Wahl der Namen für die einzelnen Produkte. Oft haben sie mit dem nahen See zu tun. «Entre deux digues», zwischen zwei Dämmen, ist der Name einer Cuvée aus Pinot Noir und Gamay. «L'Ecume du Léman», die Gischt des Genfersees, steht sinnigerweise für einen Schaumwein aus Chardonnay. Ein Gamay heisst «Les Matelots». Darin steckt mehr, als man ahnen würde. «Zunächst bedeutet das natürlich 'die Matrosen'. Es sind darin aber auch die Namen meiner beiden Kinder versteckt: Matilde und Léo.»