Text: Stephan Thomas
«Kunst darf auch provozieren.» «Wir planen für unseren «Unique» die wohl verrückteste Etikette der Welt.» Martin Donatsch sagt es wie gewohnt ruhig, ohne die geringste Grossspurigkeit. Oben auf dem Etikett prangen in Farbe die Augenpartien von Menschen, die ihm wichtig sind. Köche wie Andres Caminada, Silvio Germann, Sven Wassmer, Christian Kuchler, Roger Kalberer und andere mehr. Freunde wie Sven Epiney oder Anna Meier, aber auch Martins Putzfrau oder der italienische Erntehelfer. Gekommen ist ihm die Idee während der Pandemie, wo die Masken nur die Augenpartien frei liessen. Ihm ist bewusst, dass diese Flaschen polarisieren werden. «Kunst darf auch etwas provozieren. Ich kann verstehen, dass nicht alle beim Candlelight-Dinner zu zweit von einem Augenpaar auf der Flasche angeschaut werden möchten. Besonders nicht, wenn es zufällig die Augen einer Ex-Freundin wären. Aber man kann dann ja ganz einfach die Flasche umdrehen.»
Winzer und Künstler. Martin Donatsch hat immer sehr viel Zeit in das Layout seines «Unique» gesteckt. Eine Anregung waren die Etiketten von Mouton-Rothschild, von denen Vater Thomas Donatsch die vollständige Kollektion besitzt. «Kopieren wollten wir das allerdings nicht, denn eine Kopie bleibt immer eine Kopie, kommt nicht an das Original heran. Ganz abgesehen davon, dass wir uns keinen Picasso oder Chagall leisten könnten.» Schon in früheren Jahren hat Martin jede einzelne Flasche seines «Unique» von Hand individuell bemalt, später am Computer die Etiketten gestaltet. Auch beim Augen-Konzept sind Wiederholungen selten. Bei 4000 Flaschen kommt die genau gleiche Etikette höchstens achtmal vor. «Ich bin ein künstlerischer Mensch», sagt Martin dazu. «Für einen Grafiker habe ich noch nie auch nur fünf Franken ausgegeben.»
Fight um die Flaschen. Und nun sitzen wir in der «Winzerstube zum Ochsen» in Malans, dem Restaurant, das von der Familie Donatsch betrieben wird. Kein Wunder, ist es eine Hochburg für guten Wein, besonders aus der Schweiz. Vor uns steht eine Flasche «Unique» aus dem Jahrgang 2020. Vom Etikett mustern uns die Augen von DJ Antoine. Entscheidend ist aber wie immer der Inhalt. Und der ist ein hervorragender Pinot mit enormem Reifepotential. Vor einem burgundischen Grand Cru muss er sich keineswegs verstecken. Die Kehrseite der Sache: Um die 4000 Flaschen balgt sich die Weinwelt, nicht nur in der Schweiz. Auch Top-Restaurants erhalten selten mehr als drei Flaschen. Was noch in den Verkauf kommt, ist nach dem Startschuss innert ein bis zwei Stunden weg. «Beim letzten Mal ist uns wegen den vielen Anfragen sogar der Server zusammengebrochen.»
Martins Plädoyer für den Schweizer Wein. Grosse Stücke hält Martin Donatsch nicht nur auf die eigenen Weine, sondern generell auf den Schweizer Wein. «Wir haben hier ein Riesenpotential. Wir sitzen im Herz der grössten Weinnationen der Welt. Da wäre es erstaunlich, wenn hier nichts Gescheites wachsen würde. In Sachen Pinot Noir gehören wir zu den fünf führenden Regionen des Planeten, zusammen mit dem Burgund, Baden, der Ahr und der Champagne. In internationalen Fachkreisen weiss man das, im breiteren Publikum noch zu wenig. Das Schweizer Bankgeheimnis ist gefallen, aber das Weingeheimnis besteht noch.»
Small is beautiful. Martin Donatsch segelt im Moment auf einer Erfolgswelle. Eine von Robert Parker im «Dolder Grand» veranstaltete Vertikale über zwanzig Jahrgänge - so lange gibt es den «Unique» schon - war so schnell ausgebucht wie noch nie eine andere Masterclass bei «Parker’s Matter of Taste» weltweit. Da liegt das Thema Expansion eigentlich auf der Hand. Für Martin Donatsch allerdings kein Thema. «Wieso sollten wir das? Mancher Besitzer eines riesigen Betriebs beneidet uns um unser «kleines» Weingut. Und überhaupt bliebe uns unter dem Strich kaum mehr als jetzt. Und nicht zuletzt: man muss auch demütig sein. Zufrieden mit dem, was man hat.»
Fotos: Adrian Photography, Digitale Massarbeit, HO