200 QUADRATMETER, 60'000 FLASCHEN. Romain Iltis ist in der «Villa René Lalique» im elsässischen Wingen-sur-Moder der Wächter der «Kathedrale». So lautet der Übername eines der bemerkenswertesten Weinkeller Europas. Entworfen vom Tessiner Stararchitekten Mario Botta, beherbergt dieser auf 200 Quadratmetern fast 60’000 Flaschen, die auf rund 2500 Positionen verteilt sind. Darunter die grössten Namen in der Welt des Weins und das Beste, was das Elsass zu bieten hat. Iltis, Meilleur Ouvrier de France 2015 und Frankreichs Sommelier des Jahres 2012, erarbeitet mit Akribie, Expertise und Neugier erinnerungswürdige Pairings zu den Gerichten aus der mit 17 Punkten und zwei Sternen ausgezeichneten Küche von Paul Stradner. Und: Er ist ein wunderbarer Gesprächspartner, der einen gleichermassen zum Schmunzeln wie zum Staunen bringt.

Der Keller der «Villa Lalique» wurde von Mario Botta entworfen. Im Kellerbuch sind die Schätze dieser «Kathedrale» des Weins notiert.

Der Keller der «Villa René Lalique» wurde von Mario Botta entworfen. Im Kellerbuch sind die Schätze dieser «Kathedrale» des Weins notiert.

Monsieur Iltis, welches war der eindrücklichste Schluck Wein Ihres Lebens?

Ich war damals wohl neun oder zehn Jahre alt. Mein Grossvater öffnete eine gute Flasche Crémant und liess auch mich probieren. Ob es mir wirklich geschmeckt hat, kann ich nicht mehr sagen, ich weiss aber, dass es mir sehr gefiel, eine neue sensorische Erfahrung zu machen. Ich war schon als kleiner Junge sehr neugierig.

Diese Neugier begleitet Sie bis heute.

Allerdings. Sie ist eine der wichtigsten Eigenschaften eines guten Sommeliers. Es gibt Tage, da komme ich erst um zwei Uhr nachts ins Bett und muss schon um sieben wieder aufstehen, um zu einer Degustation zu fahren. Dann sagt eine innere Stimme: Romain, es mag sein, dass du hundemüde bist, aber denke an all die wunderbaren Erfahrungen, die du machen wirst! Wer sich mit Wein befasst, entdeckt ständig Neues, es ist ein unendlich grosser Spielplatz!

Was braucht man noch, um als Sommelier erfolgreich zu sein?

Ein gutes Gedächtnis und den Ehrgeiz, herausragende junge Winzerinnen und Winzer zu entdecken, bevor sie weitherum bekannt sind. Man kann das mit den Talentscouts von Fussballclubs vergleichen.

2015 gewann Romain Iltis die prestigeträchtige Auszeichnung als Meilleur Ouvrier de France.

2015 gewann Romain Iltis die prestigeträchtige Auszeichnung als Meilleur Ouvrier de France.

Die «Villa Lalique» ist von einem grossen Park umgeben. Hier der historische Teil aus den 1920er Jahren.

Die «Villa René Lalique» ist von einem grossen Park umgeben. Hier der historische Teil aus den 1920er Jahren.

Keiner Rebsorte fühlt sich der Sommelier so verbunden wie dem Riesling. «Darin erkenne ich mich», sagt er.

Keiner Rebsorte fühlt sich der Sommelier so verbunden wie dem Riesling. «Darin erkenne ich mich», sagt er.

Im grandios bestückten Keller der «Villa René Lalique» müssen Sie sich fühlen wie im Paradies…

Hier zu arbeiten ist ein enormes Privileg. Ich bin nicht umsonst schon zehn Jahre in der «Villa Lalique». Unser Patron Silvio Denz liebt den Wein, versteht sehr viel davon und gewährt mir grosse Freiheiten. Über die Jahre ist viel von meiner Persönlichkeit in diesen Keller geflossen, er reflektiert meine Sicht auf den Wein. Welcher andere Sommelier darf so etwas erleben?

Wenn Sie vier Flaschen aus dem Keller der Villa aussuchen dürften, welche wären es?

Den Penfolds Grange 1981 würde ich sehr gerne probieren. Auch weil er lustigerweise der einzige Wein aus meinem Geburtsjahr im ganzen Keller ist. Dazu einen Elsässer Riesling von 1959, einen grossen Sauternes und zu guter Letzt einen Romanée Conti. Es muss magisch sein, eine solche Flasche zu öffnen und mit Menschen, die einem nahe sind, zu geniessen.

Und welche Weine von den Vignobles Silvio Denz haben Sie am meisten beeindruckt?

Die Roten aus dem St-Emilion sind natürlich absolute Spitzenklasse. Doch von den Sauternes spricht man heutzutage viel zu selten. Ich hatte das Glück, um die 30 Sauternes zu degustieren, die zwischen 80 und 100 Jahre alt waren, und bin fasziniert von ihrem Reifepotenzial.

«Eine Karaffe lässt den Wein atmen und sich voll entfalten», erklärt Romain Iltis.

«Eine Karaffe lässt den Wein atmen und sich voll entfalten», erklärt Romain Iltis.

Welches war die kniffligste Aufgabe, die Ihnen Paul Stradner, der Küchenchef der «Villa René Lalique», gestellt hat?

Oh, das war wirklich eine Knacknuss: ein Pairing zu geschmortem gelbem und frischem rotem Chicoree mit einem Bitterorangensorbet. Zwei Jahre lang habe ich getüftelt, und kein Wein wollte so richtig passen. Die Lösung war schliesslich ein Bier mit Champagnerhefe. Es ist ein wenig bitter, aber nicht zu bitter und weniger breit als ein herkömmliches Bier.

Wie wichtig ist das richtige Glas für den Weingenuss?

Sehr, sehr wichtig. Und das sage ich nicht nur, weil Lalique auch wunderschöne Kristallgläser und -karaffen herstellt. Wir Sommeliers sind die Regisseure des Trinkens. Unsere Aufgabe ist es, den Wein möglichst gut in Szene zu setzen. Erst das richtige Glas ermöglicht es einem Wein, seine Qualitäten zu zeigen. Die Form des Glases ist in vielerlei Hinsicht bedeutend, sie beeinflusst sogar, wie der Wein in den Mund gelangt und wie er auf Gaumen und Zunge trifft.

Wie viele verschiedene Gläser sollte man als Weinfan zu Hause haben?

Vier: ein Glas für den Alltag, eines für Burgunder und Pinot Noir im Allgemeinen, ein etwas bauchigeres Weissweinglas, das man auch für Champagner verwenden kann, und ein schönes Rotweinglas. Das günstige Alltagsglas ist übrigens nicht nur praktisch, es bewirkt auch, dass wir die edleren Gläser, aus denen wir nur zu besonderen Gelegenheiten trinken, noch mehr zu schätzen wissen.

Romain Iltis zusammen mit Lalique-Patron Silvio Denz und Stefano Petta, Weindirektor «The Living Circle», anlässlich eines Besuchs im «Widder» in Zürich.

Romain Iltis (l.) zusammen mit Lalique-Patron Silvio Denz (M.)  und Stefano Petta, Weindirektor «The Living Circle», anlässlich eines Besuchs im «Widder» in Zürich.

Was macht ein Lalique-Glas speziell?

Neben seiner Fähigkeit, das Beste aus dem Wein herauszuholen, auf jeden Fall die ästhetische Komponente. Aber auch das Gefühl, wenn man es an die Lippen führt. Und die kleinen Rillen am Stiel. Sie beziehen die Finger ins sensorische Erlebnis mit ein, sorgen für eine noch grössere Sensibilität.

Lalique hat auch ein Universalglas im Angebot. Was zeichnet ein solches Glas aus?

Es muss ein wenig bauchig, aber vor allem auch praktisch sein und in einen normalen Küchenschrank passen. Überdies sollte es die meisten Weine gut zur Geltung kommen lassen. Weissweine dürfen sich darin nicht zu rasch aufwärmen, Rotweine sollen atmen können.

Eine Lalique-Karaffe kostet über 1000 Franken. Warum lohnt sich eine solche Investition?

Zunächst einmal erfüllt die Karaffe einen wichtigen Zweck: Sie lässt den Wein atmen und sich voll entfalten. Dann ist eine edle Karaffe wie schöne Gläser ein Statement. Sie signalisiert den Gästen grosse Wertschätzung. Diese Wertschätzung kann man sich übrigens auch selbst erweisen, das tut gut! Eine Lalique-Karaffe ist eine Anschaffung für das ganze Leben, die man sogar an die nächste Generation weitergeben kann.

17 Punkte und zwei Sterne: Paul Stradner, als Küchenchef Romain Iltis' kongenialer Partner in der «Villa Lalique».

17 Punkte, 2 Sterne: Küchenchef Paul Stradner ist der kongeniale Partner von Romain Iltis.

Zu den Apérohäppchen serviert Sommelier Iltis ein Glas trockenen Muscat aus dem Elsass – ein «Perfect Match».

Zu den Apérohäppchen serviert Sommelier Iltis ein Glas trockenen Muscat aus dem Elsass – ein «Perfect Match».

Viel Platz und Blick ins Grüne: Auch den Speisesaal hat Mario Botta entworfen.

Viel Platz und Blick ins Grüne: Auch den Speisesaal hat Mario Botta entworfen.

Welche Rebsorte entspricht Ihrer Persönlichkeit am meisten?

Der Riesling! Er ist sehr variabel, und wäre er ein Mensch, besässe er die gleiche Neugier wie ich. Aus Riesling kann man trockene Weine keltern, aber auch Süssweine. Er nimmt die Einflüsse von Holz gut auf, braucht sie aber nicht, um eine interessante Geschichte zu erzählen. Zudem gedeiht er an den unterschiedlichsten Orten und ist doch auch typisch elsässisch, ein Ausdruck meiner Heimatregion. Darin erkenne ich mich.

Viele Leute, die nur selten mit besonderen Weinen in Berührung kommen, haben Hemmungen, ihre Eindrücke in Worte zu fassen. Wie können sie diese Hemmungen ablegen?

Man muss kein Experte sein, um Wein zu geniessen und zu beschreiben. Ich rate allen, die verschiedensten Weine zu probieren und mit Freunden frei heraus über ihre Eindrücke zu reden. Je mehr man das tut, desto genauer kann man sagen, warum man einen Wein mag oder eben nicht.

Fotos: HO Villa René Lalique, Nik Hunger