Fotos: Olivia Pulver

Der erste Schweizer Wein des Jahres! Ein besonderer Tag für Elodie Kuntzer. Die Winzerin von der Domaine Saint-Sébaste in Saint-Blaise NE wird heute den neuesten Jahrgang ihres «Non Filtré» vorstellen. Dies geschieht traditionellerweise am dritten Mittwoch im Januar – die Neuenburger Spezialität, die inzwischen von fast 40 Weinbaubetrieben im Kanton produziert wird, ist damit jeweils der erste Schweizer Wein des Jahres! Dieses Mal hat der aussergewöhnliche, auffallend trübe Chasselas sogar einen runden Geburtstag: Die angebliche Erstabfüllung jährt sich zum 50. Male! Und so trifft sich die kantonale Weinbaubranche am Nachmittag zum Stelldichein in La Chaux-de-Fonds.  

Nur 13 Prozent gehen über den Röstigraben. Ist Elodie Kuntzer nervös? «Eigentlich nicht», sagt die Winzerin. Mehr Stress habe sie vor Weihnachten gehabt, weil sie den Wein noch im alten Jahr auf die Flasche bringen wollte – schliesslich musste erst der Zucker zu Alkohol vergären, dann auch der biologische Säureabbau (BSA) vorüber sein. Wer wie sie biodynamisch arbeitet und diese Prozesse spontan geschehen lässt, wird da bisweilen schon etwas unruhig. «Aber jetzt bin ich einfach gespannt, was die Kollegen und die Kunden finden.» Der «Non Filtré», muss man wissen, wird vorwiegend im Kanton Neuenburg getrunken. Gerade mal 13 Prozent gehen in die Deutschschweiz, 14 Prozent in die restliche Romandie, nur 1 Prozent ins Tessin. Wie sagt es Elodie Kuntzer: «Man liebt oder hasst ihn – dazwischen gibt es nichts.» 

Bio-Winzerin Elodie Kuntzer produziert Non Filtré - Domaine Saint-Sébaste - Kuntzer SA - Januar 2025- Copyright Olivia Pulver

Der dritte Mittwoch im Januar ist diesmal sonnig: Da schnurrt sogar Elodies Katze.

Elodie an ihrem Stand vom Non Filtré Event in La-Chaux-Fonds - Bio-Winzerin Elodie Kuntzer produziert Non Filtré - Domaine Saint-Sébaste - Kuntzer SA - Januar 2025- Copyright Olivia Pulver

«Non Filtré» ist leicht trüb im Glas, strukturiert und oft sehr zitronig in der Nase.

Bio-Winzerin Elodie Kuntzer produziert Non Filtré - Domaine Saint-Sébaste - Kuntzer SA - Januar 2025- Copyright Olivia Pulver

Zum 50-jährigen Jubiläum gibt es den «Non Filtré» sogar in der Magnum.

«Non Filtré» hat Reifungspotenzial. Vielleicht würde der «Non Filtré» mehr Anklang finden, wenn nicht immer wieder behauptet würde, dass die Flaschen bis im Sommer nach Ernte ausgetrunken sein müssen. Eine Blinddegustation im Zürcher Restaurant «Lotti» unter der Leitung von Gastronom René Zimmermann mit zwei 2019ern und einem 2023er von der Maison Carrée in Auvernier hat jüngst gezeigt, dass die älteren Jahrgänge zwar «etwas leiser», aber wesentlich eleganter und runder daherkommen. «Gut möglich», konstatiert Elodie Kuntzer, «dass der Hefesatz in der Flasche die Reifung verlangsamt.» 

Ist Winzer Godet der Erfinder? Die Legende besagt, dass der allererste «Non Filtré» ebenfalls in Auvernier abgefüllt worden ist: Weil die Ernte im Vorjahr eher bescheiden gewesen sei und die Vorräte sich dem Ende zuneigten, habe der Winzer Henri-Alexandre Godet einen seiner Chasselas-Tanks von 1974 vor dem üblichen Termin geöffnet und den Wein unfiltriert ausgeschenkt. Sehr zur Freude der Geniesserinnen und Geniesser in der gemütlichen Pinte La Golée im Dorf! Die Kneipe steht bis heute, Winzer Godet haben viele noch gekannt – und er war unbestritten ein Pionier für das aussergewöhnliche Produkt. Allerdings gibt es schon auch Belege für ältere Varianten des regionalen «Non Filtrés». 

Nicolas Joss, Geschäftführer Swiss Wine Promotion, am Non Filtré Event in La-Chaux-Fonds - Bio-Winzerin Elodie Kuntzer produziert Non Filtré - Domaine Saint-Sébaste - Kuntzer SA - Januar 2025- Copyright Olivia Pulver

War an der Party in La Chaux-de-Fonds dabei: Nicolas Joss, Direktor Swiss Wine Promotion.

Elodie mit Grossvater Jean-Claude (links) und Vater Jean-Pierre (rechts) am Non Filtré Event in La-Chaux-Fonds - Bio-Winzerin Elodie Kuntzer produziert Non Filtré - Domaine Saint-Sébaste - Kuntzer SA - Januar 2025- Copyright Olivia Pulver

Drei Generationen: Elodie Kuntzer mit Grossvater Jean-Claude (links) und Vater Jean-Pierre (rechts).

Önologisch interessiertes Publikum war zugegen im ehemaligen Schlachthaus. Non Filtré.

Önologisch interessiertes Publikum war zugegen im ehemaligen Schlachthaus.

Vielleicht ist die Spezialität noch älter. Elodie Kuntzer fragt kurz bei ihrem 92-jährigen Grossvater Jean-Claude nach, der das Weingut Saint-Sébaste 1954 gegründet hat. Und der weiss von einem Wein namens «Bourru» zu berichten, der in der Gegend schon vor den Sechzigern unfiltriert auf die Flasche kam – allerdings ohne BSA und mit Zucker angereichert. Er habe dann circa 1966 auch damit begonnen, einen trüben Wein zu verkaufen, «aber selbstverständlich ohne Zuckerzugabe, mit zweiter Gärung». 

«Teil der Neuenburger Identität!» Wie auch immer es genau war – Feste soll man feiern, wie sie fallen! Und so treffen sich am Nachmittag also Winzerinnen und Winzer im ehemaligen Schlachthaus von La Chaux-de-Fonds, um den 50. offiziellen «Non Filtré» hochleben zu lassen. Es gibt ihn dieses Jahr übrigens ausnahmsweise sogar in einer Magnumflasche! Mit dabei am Anlass ist Nicolas Joss, Direktor von «Swiss Wine Promotion». Er konstatiert der Spezialität, dass sie inzwischen zweifelsohne «Teil der Neuenburger Wein-Identität» geworden ist. Und diesbezüglich sind sich alle Anwesenden einig.  

Wie schmeckt er überhaupt? Auch Elodies Grossvater Jean-Claude und Vater Jean-Pierre sind an der Feier zugegen. Zu dritt stehen die Kuntzers nach den Ansprachen hinter ihrem Degustationstisch. Sie schütteln den «Non Filtré» – das ist üblich, «damit das letzte Glas aus der Flasche ebenso trüb ist wie das erste» – und schenken Kostproben davon aus. Wie schmeckt der 2024er, wohlgemerkt aus einem schwierigen, eher kühlen Jahr, mit viel Niederschlag und vergleichsweise wenig Sonne? Sehr frisch, mit Anklängen von Zitrone und Limette, exotischen Früchten und Clementinenschale. Im Mund zeigt sich eine straffe Säure, er ist cremig und strukturiert. Sogar ein Hauch von Ananas ist auszumachen! Ein perfekter Aperitif, aber ebenso ein Begleiter zu Käse und Fisch. Da kann man nur noch das Glas erheben und «Happy Birthday» wünschen! 

 

Mehr Bio im Glas! 

Ein lebendiger Rebberg mit kräftigen, widerstandsfähigen Reben und einem gesunden Boden ist die Grundlage für feine Knospe-Weine. Bereits über 580 Winzerinnen und Winzer produzieren in der Schweiz Bioweine. Sie verzichten auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und Kunstdünger. Auch viele Top-Winzer bekennen sich zu Bio und Biodynamie.

Mehr Infos: www.biosuisse.ch

 

Foto Event: HO