Text: Elsbeth Hobmeier I Fotos: Regis Colombo, Anna Pizzolante

Das Weingebiet von Genf ist sehr speziell: es ist zum grösseren Teil umringt von Frankreich. Ist das ein Vorteil? Oder eher schwierig?

In Genf stehen die westlichsten Schweizer Rebberge. Wir teilen 110 km Grenze mit Frankreich und etwas über 30 km mit dem Kanton Waadt. Aus dieser Situation ergeben sich zahlreiche Kontakte mit unseren Nachbarn. Viele kommen über die Grenze und besuchen unsere Winzer, viele Genfer fahren aber auch in die französischen Supermärkte und kaufen wegen des starken Frankens dort ein, auch Wein. Covid änderte dies ein wenig, viele Kunden schätzen seither vermehrt das einheimische Schaffen. Wir hoffen, dass sie uns treu bleiben. Mit offenen Weinkellern und Besuchen auf den Weingütern tun wir möglichst viel dafür.

 

120 Hektar des Genfer Weins wachsen auf französischem Boden. Ist er anders?

Nein, da lässt sich kein Unterschied feststellen, die Grenze geht ja zum Beispiel in Dardagny oft mitten durch den Rebberg, die Reben und die Böden hüben wie drüben sind dieselben. Diese Weine dürfen übrigens auch das Genfer AOC-Label tragen.
 

Genf beeindruckt mit seiner riesigen Vielfalt an Rebsorten.

Gamay ist immer noch eine sehr wichtige Sorte, die eine grosse Fläche belegt. Wenn der Ertrag reduziert und die Reife gut ist, ergibt sie sehr ansprechende Weine. Gamaret und Garanoir fassten vor über dreissig Jahren Fuss in den Rebbergen von Dardagny. Damals wurden die Grenzen für ausländische Weine geöffnet, es kamen preisgünstige Weine aus der Neuen Welt, die Genfer Winzer wollten diesem Trend mit neuen Spezialitäten entgegentreten. Die Forschungsanstalt Changins brachte diese Neuzüchtungen auf den Markt. Heute sind Gamaret und Garanoir die viertmeisten roten Sorten in der Schweiz. Die Konsumenten lieben diese fruchtigen, würzigen Weine wegen ihres sonnigen und vielseitigen Charakters. Der erste Genfer Gamaret wurde 1989 auf die Flasche gefüllt.

 

Aber es blieb nicht bei Gamay, Pinot noir, Chasselas, Chardonnay & Co.

Es wurde stets mit weiteren und auch neuen Sorten experimentiert. Und es zeigte sich: Sauvignon blanc, Pinot blanc, Merlot, Cabernet Sauvignon gedeihen bei uns sehr gut. Heute sind unbekanntere Sorten wie Divico und Divona auf dem Vormarsch, weil sie keine oder nur wenig Pflanzenschutzmittel brauchen und sich daher sehr gut für den biologischen Anbau eignen. Aber auch alte, historische Sorten wie Mondeuse und Altesse sind heute wieder gefragt und werden von den Genfer Winzerinnen und Winzern vermehrt wieder gepflanzt.
 

Vendanges Genevoises

Mystische Landschaft: Die Genfer Rebhänge im Morgengrauen.

Stichwort Bio: Wie sieht es da in Genfer Rebbergen aus?

Bereits Ende der 80er Jahre traten die ersten Bio-Winzer in Erscheinung, am bekanntesten war die Domaine des Balisiers in Peney. Heute sind viele Betriebe umgestiegen, die Kunden verlangen danach. Wir sind gut aufgestellt: 2021 holten mit Bertrand Favre von der Domaine de Miolan und mit der Familie Fonjallaz der Domaine de Chambet zwei Genfer Winzer die höchsten Bio-Auszeichnungen der Schweiz. 

 

Viele Genfer Winter produzieren auch Schaumweine.

Die ersten wurden bereits Ende der Fünfzigerjahre produziert. Heute gibt es kaum mehr einen Keller, der keinen Schaumwein im Sortiment hat, sei es nach der traditionellen Art, der Prosecco-Methode oder neuerdings als «Pet Nat».

 

Genf ist unser drittgrösster Weinkanton. Weiss man das in der übrigen Schweiz?

Wir sind ein wichtiger Weinkanton mit rund 10 Prozent der Schweizer Produktion, ja… aber ich bin mir nicht ganz so sicher, ob man das andernorts genügend zur Kenntnis nimmt. Wer Genf sagt, denkt vor allem an die grosse Stadt und vergisst, dass gleich hinter den Stadtgrenzen eine schöne Landschaft liegt; Zürich geht es ähnlich. Aber wir tun alles, um den Direktverkauf bei den Winzern zu fördern und den Besuchern unsere erholsame ländliche Umgebung zu zeigen. Wir stellen unsere Winzer und Winzerinnen in den Vordergrund, sie sind wichtig und nicht die Opage als Organisation. Das ist seit 20 Jahren unsere Philosophie.
 

Wie charakterisieren Sie den «typischen Genfer Wein»?

Den gibt es eigentlich nicht. Historisch gesehen bauten hier bereits die Kelten den ersten Wein auf Schweizer Boden an. Für mich ist die Vielfalt an Spezialitäten ein typisches Genfer Merkmal. Genf war immer ein Laboratorium für neue Ideen und immer offen für Versuche. Unser Gesetz erlaubt das seit jeher und lässt den Winzern grosse Freiheit, was sie anbauen oder auch wieder ausreissen möchten.

 

Und wie bewährt sich der «Esprit de Genève» als Botschafter?

Diese rote Assemblage aus Gamay und Gamaret und einem kleineren Anteil anderer Sorten ist eine grossartige Sache. Sie ist eine Botschafterin unserer Vielfalt und Innovation, mehrere ausgewählte Weingüter dürfen sie produzieren. Ich bringe den Esprit gern als Geschenk mit, wenn ich auswärtige Gäste habe oder zu Besuch in anderen Landesteilen bin.  
 

Bertrand Favre, Domaine de Miolan in Choulex, GE

Bertrand Favre, Domaine de Miolan in Choulex, GE

Restaurant l'Auberge

Traditionelles Gericht in der Auberge in Chambésy: «Longeole genevoise» mit Linsen.

Anthony Fonjallaz, Domaine du Chambet in Gy, GE

Anthony Fonjallaz, Domaine du Chambet in Gy, GE

Wildschweine machen den Genfer Winzern das Leben schwer. Wieso heisst die Auszeichnung für den besten Wein ausgerechnet Prix Sanglier?

Als im Jahr 2002 dieser Preis zum ersten Mal vergeben wurde, suchte man eine spezielle Auszeichnung wie den Oscar oder den César der Filmbranche. Statt eine Statuette wählten wir eine Wildschwein-Bronze-Plastik des international renommierten Genfer Künstlers Robert Hainard, und zwar mit einem gewissen Augenzwinkern ein Wildschwein: Das Wildschwein (Sanglier) ist ja eigentlich ein Feinschmecker und dank seiner Vorliebe für Trauben der erste Erntehelfer in den Genfer Rebbergen. Als kleine Rache für den entstandenen Schaden wird nach der Verleihung immer ein Wildschweingericht serviert. Früher war es ein ganzes Schwein am Spiess, heute eher als ein Gang unter vielen.

 

Welches ist Ihr Lieblingsgericht? Und welchen Wein trinken Sie dazu?

Ich liebe unsere typische Genfer Wurst, die Longeole, serviert auf Linsen, die ebenfalls im Kanton angebaut werden. Und dazu schenke ich mir einen fruchtigen feinen Gamay ein - das passt hervorragend. 

 

>> Denis Beausoleil (56) ist seit 2001 Direktor des Office de promotion des produits agricoles de Genève (OPAGE). Zahlen zum Genfer Wein: 1400 ha Rebland (10% der Schweiz), davon 56% rot und 44% weiss, aufgeteilt in die drei Weinregionen Arve-Lac, Arve-Rhône und Rive droite. Genf ist drittgrösster Weinkanton der Schweiz, Satigny ist die grösste Schweizer Weinbaugemeinde. 1988 erstes Schweizer AOC-Label.


>> Offene Weinkeller: Ab sofort öffnet eine ganze Reihe von Genfer Winzern ihre Kellertüren jeden Samstag und schenken ihre Weine aus. Wer wann wie Besucher empfängt, findet man auf www.geneveterroir.ch/de


>> Der 21. Mai, ist Tag der offenen Weinkeller im gesamten Genfer Umland. Mit dem «Caves Ouvertes-Pass», erhältlich in allen Weingütern der Region, stehen Besuchenden die Tore zu über 70 Kellern offen. Als Souvenir gibt es ein speziell für den Anlass kreiertes Glas. In Zusammenarbeit mit den lokalen Verkehrsbetrieben wird ausserdem ein kostenloser Shuttle-Service zwischen den Winzerdörfern angeboten. https://geneveterroir.ch/de/offene-weinkeller/5456

 

Das Bild ganz oben wurde im Rahmen einer organisierten Degustation im «Musée d'Histoire Naturelle de Genève» aufgenommen.