Text: Knut Schwander. Fotos: Blaise Cormann. Übersetzung: Elsbeth Hobmeier.
Ein rosa Haus, umschlungen von Reben. Hier, im Weindorf Cully, wohnt Louis-Philippe Bovard. Mit seinen 85 Jahren ist er der grösste Revolutionär unter den «Weinbaronen» des Dézaley. Meistens trägt er seine blaue Schiffermütze. Aber auch mal das Kostüm der Confrérie des Vignerons, in dem er auch dieses Jahr wieder am grossen Winzerfest mitmachen wird. Wenn nötig schlüpft er auch in den Smoking. Wie und wo auch immer er auftritt, bewundert man seine Präsenz, seine sportliche Erscheinung, seinen wachen Blick, seine klaren Worte. Einer seiner Lieblingssätze: «Die Revolution, wie ich sie mir wünsche, ist bald erreicht!»
Revolution? Wie bitte? Ja, jene seiner Weine. Diese Crus, an deren Finesse er die letzten 35 Jahre gefeilt hat. Für die er neuartige Rebsorten gepflanzt, die Prozesse der Weinbereitung verändert, die Gesetze der Biodynamie erprobt und teilweise wieder verworfen hatte. «Ich frage nicht, ich mache», sagt er, ohne Angst, irgendwo anzuecken. Riss den Gamay aus, pflanzte dafür Sauvignon und Chenin blanc. Genau dieser erhielt 2017 von Parker 93 Punkte und die Komplimente der Académie du Chenin aus dem französischen Angers. «Der hat doppelt so viel Säure wie der Chasselas», lacht Bovard und freut sich, weil er überzeugt ist, dass die Säure einer der Haupttrümpfe des Weins der Zukunft sein wird. «Meine Freunde, die grossen Köche Frédy Girardet, Adolf Blockbergen und Hans Stucki, haben mir diesen Weg gewiesen, mit ihrem Wunsch nach lokalen Weinen mit guter Säure».
Und der Chasselas? Louis-Philippe Bovard ist einer der leidenschaftlichsten Verfechter dieser für die Romandie typischen Rebsorte. Sein Chasselas Médinette mit der charmanten Retro-Etikette erhielt 92 Parker-Punkte. Und macht seinem Slogan «Der feinste aller Schweizer Weine» alle Ehre. «Manchmal bin ich meiner Zeit voraus», erklärt der unternehmerische Winzer im Rückblick auf die Opfer, die er bringen musste. Als er 1994 seinen Weinstil umstellte, verlor er einen Drittel seiner bisherigen Kunden. Aber die Sommeliers und die Fachwelt würdigten den neuen Stil sehr bald. «Die Weinwelt hat sich verändert», weiss Bovard.
Anspruchsvolles Terroir. Im steilen Lavaux über dem Genfersee ist der Rebbau arbeitsintensiv und kostspielig. «Wir haben keine Wahl, unsere Weine haben ihren Preis», sagt Bovard. Die Rechnung geht nur mit Weinen von internationalem Niveau auf. Dass er dieses Niveau erreicht hat, zeigen auch die Exporte von jährlich 8000 Flaschen nach New York, unter anderem in den Keller des berühmten Chefs Daniel Boulud. Für Louis-Philippe Bovard ist dies alles kein Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen: «In meinem Alter hat man keine Zeit zum Warten», sagt der Mann, der morgens nach seiner Gymnastik um halb zehn zu arbeiten beginnt und erst am frühen Morgen um halb zwei ins Bett geht. Daneben frönt er dem Segelsport und liest Voltaire. Und engagiert sich ehrenamtlich für das Weinmuseum Aigle, die Baronnie du Dézaley, Arte Vitis und die Commission du grand vin, die er mit Freund Jean-Pascal Delamuraz gegründet hat. Am meisten am Herzen liegt ihm jedoch das Conservatoire du Chasselas: Eine Kollektion von 19 Chasselas-Typen auf einer 4800 m2 grossen Parzelle mitten im Lavaux, deren Boden genau analysiert wurde, um die idealen Klone für die verschiedenen Terroirs zu finden. «Dank diesen Klonen können wir auf Stickstoff und Pestizide verzichten». Auch das ist eine Revolution.
«Ich plane bis ich 108-jährig bin». Bei den Bovards scheint die Ausdauer in den Genen verankert. Seit 1530 leiteten neun Louis Bovard - und eine Louise! - die 13 Hektaren grosse Domäne. Und alle wurden über 90 bis sogar 100 Jahre alt. «Ich habe mich innerlich auf 108 Jahre eingestellt, um den 100. Geburtstag meiner Frau gebührend feiern zu können», lacht Louis-Philippe Bovard. Er ist noch voller Pläne, vor allem die berufliche Ausbildung der nachfolgenden Generationen liegt ihm am Herzen. «Ich habe Vertrauen in die Menschheit, auch wenn sich die Welt verändert und manchmal aus den Fugen zu geraten scheint», sagt er.