Text: Elsbeth Hobmeier I Fotos: Nik Hunger
200 Weine mit Top Score. Ein Wein ab 90 Punkten erhält bei Robert Parker Wine Advocate, dem weltweit bekannten amerikanischen Wein-Bewerter, das Prädikat «Outstanding». Wenn es 95 Punkte und mehr sind, ist er «Extraordinary». Über 200 prämierte Weinbetriebe aus vier Kontinenten waren an diesem Wochenende im Hotel Dolder Grand in Zürich präsent und schenkten dort ihre höchstbewerteten Weine aus. Auch das Publikum kam von weit her und nahm die einmalige Gelegenheit wahr, solch rare Flaschen an einem Ort degustieren zu können. Die Schweiz ist dieses Jahr mit 216 Weinen ab 90 Punkten dabei, dem Ruf an die grosse Show in Zürich folgten 28 Betriebe aus allen Regionen. Soviel für die Statistik.
Die Wein-Ikone der Schweiz. Erstmals für die Schweiz die absolute Höchstnote von 100 Parker-Punkten geknackt hat die Walliserin Marie-Thérèse Chappaz. Auch sie schenkte sechs ihrer Weine aus, allerdings nicht den süssen 100-Pünkter Grain par Grain Petite Arvine Domaine des Claives - weil es schlicht zuwenig davon gibt: «Nicht mal mehr zwölf Flaschen habe ich davon im Keller», sagte sie. Dafür aber waren im Rahmen einer «Masterclass» neun Jahrgänge ihres Ermitage - im Wallis auch Marsanne genannt - zu verkosten, kommentiert von Parker-Tester Stephan Reinhardt und der Winzerin persönlich. Der Problem-Jahrgang 2021 zeigte sich dabei sehr frisch und gefällig; der 2020er ist allerdings weit reicher und nachhaltiger und wurde denn auch mit 95+ Punkten bewertet. Gespannt war man auf den Grain Ermitage Président Troillet 2019 (98 Punkte), der extrem komplex und mit ewig langem Abgang überzeugte. Als Hommage an Reinhardt hatte Marie-Thérèse Chappaz dessen Geburtsjahrgang 1967 mitgebracht - leicht oxydiert, aber offensichtlich aus einer hervorragenden Ernte. Als Höhepunkt zeigte sich die süsse Grain Noble Version 2013 (96 Punkte), ein Chappaz-Wein, wie man ihn liebt und wie er in den besten Restaurants der Welt begehrt ist.
Ermitage wie Rotwein geniessen! «Ich bin glücklich, wenn ihr den Ermitage liebt, es ist auch eine meiner Lieblingssorten», sagte die Winzerin. Es sei für sie ein «weisser Roter», sie serviere ihn daher nicht zu kalt. Und zu welchen Speisen empfiehlt sie diesen gehaltvollen Weissen? Hummer, Poularde mit Trüffel, Poulet mit Morcheln, Fische wie Rouget , so zählt sie auf. Aber am liebsten geniesse sie ihn zu einem Stück Gruyère: «24 Monate gereift, ja nicht jünger.» Die von ihr gestellte Frage, wie viele Wein-Frauen vor ihr wohl schon 100 Parker-Punkte erhalten haben, liess sich nicht zweifelsfrei beantworten. Sicher eruieren konnte man einzig den Namen von Ann Colgin aus Kalifornien mit dem Cabernet Sauvignon Tychson Hill 2019. Stephan Reinhardt meinte dazu: «Marie-Thérèse ist absolute Spitze!» Unter den degustierten Schweizer Weinen habe er aber zahlreiche sehr feine, elegante und geschmeidige Weine entdeckt, «das Potenzial ist da».
Junge rücken nach. Beim Rundgang entlang den Schweizer Ständen im Dolder-Ballroom fielen einige Winzerinnen und Winzer der jüngeren Generation auf. Wir liessen uns ihre Weine einschenken und baten sie vor die Kamera. Matthias und Sina Gubler aus Maienfeld führen ihr Weingut seit 2010 und holten mit dem Pinot noir Magnus 2018 hohe 94 Punkte, aber auch ihr Pilgrim wurde gut bewertet. Alain Schwarzenbach ist ein Spezialist für die rare Sorte Räuschling vom Zürichsee, er brachte den 20er und 21er (92 Punkte) mit und verriet, dass seine Vorfahren bereits ab dem Jahrgang 1895 ein «Räuschling-Archiv» aufgebaut haben. Silas Weiss ist seit 2019 als Önologe für die Weine des Basler Weinguts Riehen verantwortlich; der Chardonnay Le Grand 19 heimste 93 Punkte ein. Peter Baumann aus Oberhallau übernahm dieses Jahr das Gut seiner Eltern Ruedi und Beatrice Baumann und brachte den Pinot noir -R- (93 Punkte) mit. Delphine Riand-Dubuis, Önologin der Domaine Jean-René Germanier in Vétroz, war mit Mitinhaber Gilles Besse und ihrem Syrah Cayas 2018 (94 Punkte) da. Seit 2016 trägt die junge Sarah Besse die Verantwortung des Familienbetriebs in Martigny. Sie schenkte den Syrah Les Serpentines 2019 (95 Punkte) aus: «Mein Bébé!», meinte sie lachend. Und verriet, dass sie unendlich stolz sei auf Marie-Thérèse Chappaz und deren 100 Punkte. «Sie ist mein Vorbild als Winzerin, als Walliserin - und als meine Patentante, die mich von klein auf geprägt hat».