Der Schock ist verdaut. Der kalte Tod kam in den letzten Nächten des April. «Es war der schlimmste Frost seit Jahrzehnten zu dieser Jahreszeit», kommentierte Georg Bregy, der Direktor des Schweizer Obstverbands. Obst, Weinreben, Gemüse - vielerorts schien alles verloren. Vor allem in der Nord- und Ostschweiz, aber auch im Wallis, in Genf, am Vully. Inzwischen sind knapp zwei Monate ins Land gegangen, der erste Schock ist mehr oder weniger verdaut. Die Winzer haben ihre Reben genau im Auge, das warme, ja heisse Wetter machte in den Rebbergen ein kleines bisschen wieder gut. Denn einige der beschädigten Rebstöcke trieben ein zweites Mal aus, diese Triebe blühen jetzt oder bilden bereits kleine Trauben, während die ersten - verschonten - Blütenstände bereits recht grosse Trauben zeigen. Vier Statements von Winzern, die laut GaultMillau zu den 100 Besten der Schweiz zählen.
Marylène Bovard, Château de Praz, Vully FR. «Unsere 12 Hektaren Rebland liegen zwischen Sugiez und Môtiers, also genau in der am meisten betroffenen Zone am Vully. Die Schäden sind beträchtlich, im ersten Moment schaute es nach 100 Prozent aus, also alles kaputt. In den letzten Wochen war das Wetter jedoch so ideal, dass sich einige Reben wieder erholt und zum zweiten mal ausgetrieben haben. Vor allem der Pinot noir zeigt sich positiv, während sich der Chasselas weniger gut als erwartet regeneriert hat. Jetzt ist natürlich alles schön grün, aber es kommt aufs Wachstum der Beeren an. Die Blüte wurde durch den Frost bis zu zwei Wochen zurückgeworfen. Die lange Wärmeperiode tat gut, dazu etwas Regen wäre ideal. Nach heutigen Erkenntnissen dürfen wir für 2017 nur 20 Prozent einer normalen Ernte erwarten. Wir werden versuchen, im Dreiseenland bei anderen Winzern Trauben zu kaufen, wollen aber unsere Linie mit hoher Qualität und sortenreinen Weinen weiter verfolgen. So können wir unseren Keller auslasten und unseren Kunden trotzdem Wein liefern, wenn auch in kleineren Mengen. Auf die Bezeichnung Vully AOC werden wir wohl verzichten müssen.»
Gilles Besse, Weingut Jean-René Germanier, Vétroz VS: «Alle unsere Weinberge, die in der Ebene liegen, haben gossen Schaden genommen - wir sprechen dabei von 12 Hektaren, welche zu 80 Prozent ausfallen. Betroffen sind vor allem Pinot noir, Gamay und etwas Chardonnay. Die Spezialitäten wie Syrah und Petite Arvine, die in den Hanglagen wachsen, blieben zum Glück verschont. Im gesamten Wallis sind rund 2000 Hektaren Reben betroffen. Zurzeit schaut es etwas besser aus als im ersten Moment, einige Reben haben nochmals ausgetrieben. Trotzdem dürfen wir nach dem heutigen Stand mit nur 60 bis 70 Prozent einer normalen Ernte rechnen. Wichtig wird die Qualität sein, aber es könnte trotz allem ein schöner Jahrgang werden. Das heisse Wetter ist ideal, vielleicht können wir bereits Anfang September die ersten Trauben ernten.»
Ruedi Baumann, Oberhallau SH. «Es ist paradox, wir haben zurzeit im Rebberg weit mehr Arbeit als sonst, aber müssen mit einem Ausfall von 70 bis 80 Prozent rechnen. Der Ertrag des 2017er ist noch schwer abzuschätzen. Dank der Wärme bilden einige Stöcke wieder Trauben. So haben wir jetzt zwei verschiedene Phasen in ein- und demselben Rebberg: Die nicht erfrorenen Haupttriebe zeigen bereits grosse Trauben, die Nebentriebe, die sich nach dem Frost gebildet haben, schliessen gerade die Blüte ab. Das ergibt eine ungewohnte Situation. Wenn das Wetter bis zum Herbst mitmacht, können wir die Reife der zweiten Generation abwarten, falls nicht, müssen wir zwei Erntedurchgänge planen. Betroffen sind querbeet alle Sorten, unabhängig von der Lage und der Höhe. Die erste Welle vom 19./20. April war weniger schlimm, die Schosse wuchsen weiter, wurden dann aber zehn Tage später von der zweiten Frostwelle um so heftiger getroffen. Leider können wir seit 2014 jedes Jahr nur kleine Erträge ernten und haben daher unsere Preise bereits im Frühjahr leicht angehoben. Mit einem weiteren Preisanstieg rechnen wir nicht. Unsere Privatkunden haben zwar grosses Verständnis und wir durften viel Anteilnahme erfahren - aber irgendwo hat dies ja auch Grenzen.“
Johannes Meier, Schlossgut Bachtobel, Weinfelden TG: «Zum heutigen Zeitpunkt kann man noch nichts Abschliessendes sagen. Es zeigt sich ein sehr heterogenes Bild: Die einen Stöcke sind erst seit kurzem fertig mit der Blüte, andere sind ihnen meilenweit voraus, inmitten der ein- und derselben Parzelle kann es von Klon zu Klon riesige Unterschiede geben. Am schlimmsten getroffen hat der Frost den Müller Thurgau (Riesling x Silvaner), unsere früheste Sorte, die bereits ausgetrieben hatte. Der Merlot blüht später, der war noch in der Knospe und daher geschützt. Beim Blauburgunder (Pinot noir) kommt es auf den Klon an: Mariafeld hat zum Beispiel viel heftiger gelitten als den Klon Cortaillod. Bis zum Herbst könnte sich dieses Bild ausgleichen, auch die Blüte-Nachzügler liegen im Bereich des langjährigen Mittels. Das gibt Hoffnung, dass wir bis zum Herbst alles noch rechtzeitig reif bringen. Die Natur ist eben fähig, sich zu regenerieren und aufzuholen. Obschon wir wohl nur mit 30 bis 40 Prozent einer normalen Ernte rechnen können, werden wir unsere Preise für den 2017er nicht erhöhen. Wir haben sehr viele Stammkunden, und die sind es gewohnt, manchmal nur kleinere Mengen zu erhalten. Voraussichtlich wird jedoch nur ein reduziertes Sortiment zur Verfügung stehen.»
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www.chateaudepraz.ch
www.jrgermanier.ch
www.baumannweingut.ch
www.bachtobel.ch