Text: Stephan Thomas | Fotos: Nik Hunger
Die Weine von Montimbert in Chardonne VD. Für Christin Rütsche ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Vor gut drei Jahren durfte sie das Weingut Montimbert in Chardonne übernehmen. Der Blick auf den Genfersee und die Alpen ist schlichtweg atemberaubend. Hier bewirtschaftet Christin 1,75 Hektar Steillagen. Das mag nicht viel sein, dafür kann sie alles aus eigener Kraft bewältigen. Etwas anderes als Handarbeit kommt hier ohnehin nicht in Frage. Christin hat ihre Liebe zum Wein früh entdeckt. Allerdings an einem Ort, wo man das nicht erwarten würde. «Ich habe zuerst eine Lehre als Drogistin gemacht. In einer Landdrogerie, wo nebenbei Wein verkauft wurde. Die Flaschen haben mich bald in ihren Bann gezogen - wie überhaupt alles Feine und Schöne.» Das sieht man: Bei ihr zuhause hängen Plakate von Kunstausstellungen, und auf dem Klavier liegen Noten von Erik Satie.
GaultMillaus «Rookie des Jahres»! Christins Karriere? Önologie-Studium in Changins, dann acht Jahre Berufstätigkeit in Montepulciano, wo sie für Rudi Bindellas Tenuta Vallocaia als Önologin gearbeitet hat. Dann die Rückkehr an die «Riviera»: Die junge Winzerin hat vor dem Studium auf Montimbert schon mal ein längeres Praktikum absolviert. Dann bot sich ihr die Möglichkeit, das Weingut in Chardonne zu übernehmen. Ein Glücksgriff, auch wenn viel Arbeit zu leisten ist. Und wo man sich in schwierigen Jahren wie diesem auch durchbeissen muss. Ihre Arbeit begeistert auch Experten: Die GaultMillau-Weinjury hat Christin Rütsche als «Rookie des Jahres 2022» ausgezeichnet.
Räuchern mit Serge Porchet. Wie verbringt die gebürtige Thurgauerin ihre Freizeit, wo trifft sie ihre Freunde? Wir treffen uns zu einer kleinen Genuss-Tour durchs Lavaux. Christin führt uns zur «Armoire à Brume» in Forel-Lavaux, wo Serge Porchet eine Delikatessenräucherei betreibt. Lachs, Rindfleisch, Geflügel und vieles mehr wird hier mit grosser Sachkenntnis kaltgeräuchert. «Wir räuchen alles, was uns in die Hände kommt - ausgenommen die Schwiegermutter», flachst Serge. Der begeisterte Fischer hat erst mit 50 seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Sein Onglet de boeuf, ein Stück vom Zwerchfell, schmeckt fantastisch. Es lässt manches berühmtere Räucherfleisch weit hinter sich.
Bistro, Café und Dorfbäckerei. «Rookie» Christin verkauft fast ihre gesamte Produktion an Privatkunden. Dazu beliefert sie zwei vorzügliche Restaurants in Chardonne. Das «Demi-Lune» ist eine originelle Mischung aus Bistro, Café und Dorfbäckerei. Der initiative Patron Philippe Verdan räumt auch dem Wein viel Platz ein; die Flaschen von Christin schätzt er besonders. Entkorken kann man sie auf der Terrasse, wenn das Wetter mitspielt. Auch hier zieht uns wieder die Bilderbuch-Aussicht auf See und Alpen in den Bann.
Auf den Spuren der Königin. Auch viel Geschichte hat das Lavaux zu bieten. Christin führt uns zu der Tour Marsens, die im Dézaley die Szenerie beherrscht. Der junge Winzer Arthur Duplan, der die zwei Hektar des dazu gehörigen Weinguts bewirtschaftet, bietet uns eine Führung durch die mittelalterlichen Gemäuer und zeigt uns das Zimmer, in dem Italiens letzte Königin auf der Flucht vor den Faschisten unterkam. Sie hatte beim damaligen Besitzer, einem Geschichtsprofessor, Privatunterricht genommen, wobei es dann aber nicht geblieben ist. Arthur zeigt uns auch Renaissance-Klappstühle, die eigens so gebaut sind, dass man zum Hinsitzen die Rüstung nicht ausziehen muss. Oder das Schwert, mit dem in der Schlacht bei Murten arme Burgunder gepiekst worden sind. Und wieder ist der Blick auf See und Reben das Leitmotiv. Am eindrücklichsten ist er zuoberst auf dem Turm, zwischen den charakteristischen Zinnen hindurch.
Chillen in Cully. Erntezeit! Christin Rütsche muss wieder zurück an die Arbeit. Ihre Familie ist aus dem Thurgau angereist, um bei der Lese zu helfen. Für die letzte Etappe müssen wir ohne die Winzerin auskommen: Abhängen noch ein wenig an der Strandpromenade von Cully. Hier lässt in ruhigeren Zeiten auch Christin bevorzugt ihre Seele baumeln.