Text: Urs Heller
Hikaru Moris magischer Keller. Der Masseto ist unwiderstehlich gut, ziemlich teuer und kaum zu kaufen. Vom reinen Merlot gibt es nur 30 000 Flaschen pro Jahr. Darum balgen sich alle: die Weinliebhaber auf allen Kontinenten. Und ehrgeizige Restaurantbesitzer, die diesen Kultwein aus der Toskana zwingend auf ihrer Karte haben möchten. Masseto hat einen neuen Weinkeller. Nur, man sieht ihn kaum: Die japanische Architektin Hikaru Mori und ihr italienischer Partner Maurizio Zito haben ihn unterirdisch angelegt, gewissermassen in den blauen Lehm vergraben. Besucher sehen nichts, höchstens das alte Masseto-Haus oben am Hügel, das bis vor Kurzem noch eine Ruine war; jetzt finden hier exklusive Degustationen statt. Das Weingut Masseto liegt nur sechs Kilometer vom Mittelmeer entfernt, auf 120 Metern Höhe. Ornellaia ist der grosse Bruder und Nachbar zugleich. Der Masseto wird erst seit 1986 abgefüllt; heute ist er der «Rolls-Royce» unter den grossen Weinen der Toskana. Mastermind? Signor Geddes da Filicaja, Weinkenner und Marketinggenie zugleich; der engste Vertraute der Familie Frescobaldi, die in der Toskana seit dem
11. Jahrhundert und auf neun Landgütern mit Wein handelt.
Ortstermin auf Masseto. Eine junge Frau empfängt uns mit freundlichem Lächeln und leuchtenden Augen: Eleonora Marconi, die Önologin. Sie führt uns in den tiefen Keller. Beton, Glas, Stahl, dazwischen nur sanft beleuchtete Weinfässer und kleine Wasserflächen. Eine Prise Tempel, eine Prise James Bond. Auf Knopfdruck weicht eine Betonwand, gibt den Blick frei in die Schatzkammer: «Masseto Caveau». Jede einzelne Flasche ruht in einem Edelstahlgeflecht; nobler gehts nicht mehr. Architektin Hikaru Mori: «Die unterschiedlichen Volumen und Höhen im Inneren des Gebäudes erinnern an eine Goldmine.» Signora Eleonora meint es gut mit uns: «Barrel-Tasting», sagt sie leise und führt uns zu einem Fass des Jahrgangs 2018. Eleonoras Erstling, schon nach wenigen Monaten voller Kraft und Eleganz.
Zu Besuch beim Marchese. 24 Stunden später auf der Tenuta Castiglioni. Ein wunderschönes Anwesen. Und ein wunderbarer Gastgeber: Marchese Leonardo Frescobaldi ist Oberhaupt des berühmten Clans, trifft die grossen Entscheidungen. «Warum, Marchese, vertrauen Sie Ihren teuersten Wein einer so jungen Önologin an?» Der Patron entkorkt zum vorzüglichen Risotto eine Flasche Giramonte, erklärt: «Hätte ich diesen Job ausgeschrieben, hätten sich Dutzende von Önologen aus der ganzen Welt darum beworben. Aber wir hatten ja noch Eleonora in unserem Team. Sie hat auf einem unserer anderen Güter, auf Nipozzano, ganz hervorragende Arbeit geleistet, liebt unsere Weine. Sie hat diese Chance verdient.» Allein auf sich gestellt ist die Masseto-Chefin nicht. Der Deutsche Axel Heinz ist Frescobaldis «Estates Director», baut gerade Ornellaia um und aus, ist Eleonoras erster Ansprechpartner.
Neu: Der «Massetino». Gute Nachrichten aus dem Bolgheri: Der «Massetino» kommt im Oktober neu auf den Markt. Giovanni Geddes: «Es ist der natürliche Lauf der Dinge, dass auch Masseto einen Zweitwein produziert. Der Jahrgang 2017 eignet sich sehr gut dafür.»