Text: Patrick Baumann
Tatort ist der Käsekeller. 612'000 Follower auf Instagram, anderthalb Millionen auf TikTok! Der 68-jährige Claude Luisier ist definitiv ein Phänomen. Der Walliser ist zum Star geworden, weil er in den sozialen Medien über seine Liebe zu Käse erzählt. Wie man diesen herstellt, wie man diesen isst. Und vor allem, wie er einige der rund 2000 Laibe in seinem Keller pflegt, manche davon jahrelang! Bei einer Temperatur von 12 Grad und 92 Prozent Luftfeuchtigkeit, dort, wo einst seine Grossmutter Gemüse, Wein und andere Lebensmittel lagerte. Hier dreht er auch seine Social-Media-Videos, von deren Erfolg er selbst am meisten überrascht ist. Etwa, wenn ein junger Fan ihm auf der Strasse erklärt: «Ich mochte Käse noch nie, ich mag ihn noch immer nicht, aber Ihnen folge ich!»
Feta aus dem Eichenfass. Wer hätte das voraussehen können, dass ein «Senior» mit Käsegeschichten Zuschauer jeden Alters fesseln kann? Wenn er über den Pilz namens Katzenhaare spricht, der den Tomme de Troistorrents oder den Tomme de Savoie veredelt. Oder über die Alpenkräuter und den so ganz besonderen Geschmack, den sie dem Käse verleihen, «so wie die Liebe eines Mannes zur Frau seines Lebens.» Über den Löwenzahn auf der Alp Chaupalin, den Anis, den Thymian. «Und 500 Meter höher finden wir Edelweiss, und alles ist wieder ganz anders.» Für einen kurzen Moment schliesst Luisier seine Augen. Um dann mit verschmitzten Blick zu versichern, dass 95 Prozent seiner Käse aus bäuerlichen Kleinbetrieben stammen und zumeist aus Rohmilch hergestellt werden. In der Schweiz und über die Grenzen hinaus fördert er sie zutage. So auch seinen momentanen Liebling: einen griechischen Feta, der wie guter Wein in Eichenfässern reift.
Geboren am Schweizer Nationalfeiertag. Affineur Luisier hat ein Gespür für Marketing, mindestens so scharf wie ein Käsemesser. Mehr als die Hälfte seiner Verkäufe macht er inzwischen übers Internet, so konnte er seinen Umsatz verdoppeln. Doch über den Erfolg hinaus beflügelt ihn eine Mission, die er in drei Worte fasst: «Verteidigung unserers Erbes». Ja, in diesem Mann steckt ein kleiner Winkelried und auch etwas von Willhelm Tell - wohl nicht zufällig wurde er am 1. August geboren. Man kann sich gut vorstellen, wie er erfolgreich gegen ein eine Armee von Babybels kämpft. Genauso wie er sich auch für die verlorene Ehre des Sbrinz einsetzt, der zunehmend vom Parmesan verdrängt wird - obwohl er gerieben auf den Spaghetti ebenso gut schmecken würde. «Es waren doch die Schweizer Käser, die den Italienern die Herstellung beibrachten. Der Sbrinz verdient seinen Platz auf unseren Käseplatten - auch wenn ich natürlich auch sehr guten Parmesan im Keller habe!» Claude Luisiers wahrer Feind ist ein anderer, er kämpft wie Don Quijote gegen industrielle Produkte wie «La vache qui rit».
Authentisch in den Videos. Auf YouTube sieht man, wie er einen industriell produzierten Käsestängel der französischen Marke Ficello verkostet und das Gesicht verzieht. Sein Kommentar: «Dem fehlt es an Geschmack und an Länge im Mund, ich schmecke Salz und danach eigentlich nichts mehr!» Seine Frau Anne, die an seiner Seite arbeitet, versichert: «Claude redet so, Kamera hin oder her. In den Videos ist er ganz sich selbst und bleibt immer authentisch.» Dabei hat er noch andere Interessen mehr als den Käse, über den er mit träfem lokalen Akzent erzählt: Er mag etwa gepflegte Kleidung, spielt Tennis, fährt Rad, Ski und Tesla.
Von klein auf nah beim guten Essen. «Sind Sie der Käse-Monsieur?», fragte ihn neulich jemand in der Pariser Metro. Und Claude Luisier verneinte zuerst. Um es dann doch zuzugeben - ein wenig ist er ja auch stolz auf seine Berühmtheit. «Ich hatte das Glück», meint er, «in das richtige Produkt hineingeboren zu werden.» Er spielt damit auf seine Kindheit in Ovronnaz an, wo alles begann. Im Restaurant La Promenade, einem Familienbetrieb, der heute von seinem Bruder und dessen Frau geführt wird. «Das Gemüse kam aus unserem Garten, unser Vater züchtete Hühner. Sein Coq au vin war weithin berühmt, ebenso seine Gänseleberpastete. Die Tiere wurden nie gestopft, sondern bekamen die Resten aus dem Restaurant - die Leberzirrhose kam da ganz von selbst!»
Methode EasyJet. Von 1984 bis 2000 hat Claude Luisier selbst ein Restaurant in Saillon geleitet. «Wir machten es wie EasyJet», sagt er schmunzelnd. Die ersten acht Personen, die reservierten, bekamen jeweils 50 Prozent Rabatt, die nächsten acht 25 Prozent und die nächsten 10 noch 10 Prozent. Klar, war das Lokal meist ausgebucht. Sein Gespür fürs Marketing dürfte noch aus seiner Zeit als Student der Ecole hôtelière de Lausanne herrühren. So habe er auch in seinem Käegeschäft als einer der ersten einen QR-Code verwendet, erzählt er nicht ohne Stolz. Bis schliesslich der Tag kam, als ein 6-jähriges Mädchen ihn keck fragte: «Warum stellst Du deinen Käse nicht auf TikTok?»
Sein Sohn ist tatkräftig an seiner Seite. Bei der Umsetzung dieser gewitzten Idee wurde er von seinem inzwischen 32-jährigen Sohn Michel unterstützt. Dieser hat einen Master-Abschluss in Wirtschaft und war damit mit der Welt der sozialen Netzwerke bestens vertraut. Michel steht heute hinter der Kamera und produziert die Videos. Auch die innovativen Verpackungen von «Affineur Luisier» stammen vom Sohnemannn; inzwischen gibt es sogar einen Käse-Adentskalender zu kaufen. Ist hinter dem 24. Törchen vielleicht ein Stück «Kieselstein», ein Käse, der mit Walnusslikör eingerieben wird?
Von Roquefort bis Mimolette. Welche drei Käsesorten würde Claude Luisier auf die berühmte einsame Insel mitnehmen? Nach kurzem Zögern entscheidet er sich für einen Alpen-Raclette, einen Roquefort Vieux Berger («den lutsche ich wie Bonbons») und einen dreijährigen Comté. Die Chauvinisten seien beruhigt - er hat auch aussergewöhnlichen, vier Jahre gereiften Gruyère aus der Schweiz in seinem Keller. Oder einen Camedra aus dem Tessin. Oder einen Clacbitou aus burgundischer Ziegenmilch. Oder einen hübsch marmorierten Mimolette aus Lille, von dem er auch gleich dessen Entstehungslegende anfügt. Als Frankreich mit Spanien Krieg führte, war Holland mit den Spaniern verbündet. Weil die Franzosen dadurch auf den holländischen Edamer verzichten mussten, erfanden sie einen ähnlichen Käse. So sei der Mimolette geboren worden, dem man zur Unterscheidung der natürliche Farbstoff Achiote aus einem südamerikanischen Strauch hinzufügte. «Heute schmeckt der Mimolette aber nicht mehr wie ein Edamer», betont der Affineur.
Missglücktes Studentenfondue. Solche Geschichten erzählt Claude Luisier natürlich auch in seinen Videos. Wo natürlich auch Raclette und Fondue thematisiert werden. In seinem Augen werden oft die falschen Käsesorten fürs Fondue verwendet, worauf es nicht binde: «Es braucht einen leicht cremige Sorte in der Mischung, damit Käse und Fett sich nicht trennen.» Er weiss dies aus eigener Erfahrung und erzählt von einer komplett misslungenen Käsesuppe aus seiner Studentenzeit… Tempi passati. Inzwischen wird der Affineur, auch wegen seines riesigen Fanclubs, von vielen Seiten umworben. So hat er für den renommierten Larousse-Verlag das Buch «La fromagerie» verfasst. Darin versammelt sind seine Lieblingskäse und Rezepte dazu. Doch auch die grossen Käsemarken haben ihn im Visier, doch gelobt er hoch und heilig diesbezüglich nicht weich zu werden: «Wir sind keine Influencer, und Seife verkaufen wir erst recht nicht.»
Fotos: Fred Merz, Blaise Kormann, HO