Sie sind wild, ungestüm, extrem unberechenbar – und unfiltriert. Wer einmal in den Bann eines lebendigen Naturweins gerät, kann sich nur schwer wieder für konventionelle Weine aus dem Supermarkt begeistern, deren Aromen im Vergleich geradezu voraussehbar langweilig erscheinen. Das Öffnen einer Flasche löst dabei immer wieder ein euphorisches Gefühl von spannungsgeladener Vorfreude aus wie der Beginn einer neuen Liebesbeziehung. In der heimeligen Stube des neu eröffneten «169 West» in Zürich Wiedikon sprühen die Funken in regelmässigem Abstand. Mindestens zwölf verschiedene Weine warten im Offenausschank auf ihren grossen Auftritt. Daneben widmet das Lokal auch dem Spezialitätenkaffee ein besonderes Augenmerk mit einem schnell wechselnden Espresso- sowie Filterkaffee-Angebot. Und serviert nebenbei kleine Happen, damit bei grosser Trinkfreude niemand verhungern muss.
Das «169 West» lebt von der langjährigen Leidenschaft der beiden Mitinhaber. Hagen Britz kümmert sich als Naturweinlieferant um die Auswahl des Weinsortiments. Wenn er am Tisch von seinen Weinen erzählt, funkeln seine Augen wie die eines Kindes, das gerade zum ersten Mal den Franz Carl Weber betritt. Er möchte neue Gäste mit Naturwein verführen, statt sie mit erhobenem Zeigefinger zu belehren – seine Leidenschaft wirkt geradezu ansteckend. Dasselbe Gefühl vermittelt auch Mitinhaber Kai Keong Ng, der zu den ersten Verfechtern von Spezialitätenkaffee in Zürich gehört. Im «169 West» zeigt der zweifache Aeropress-Schweizermeister, dass moderner Kaffee keineswegs immer nur fruchtsäurebetont ausfallen muss.
Naturweine und Spezialitätenkaffee verfolgen eine ähnliche Philosophie: ein möglichst naturbelassendes Produkt, deren Anbauregion sich individuell im Geschmack manifestiert. Beim Wein geschieht dies durch einen strikten Verzicht auf Pestizide und Herbizide im Weinbau sowie minimstem Eingriff in die Weinherstellung – oft ohne jegliche Zugabe von Zusatzstoffen. Statt ein standardisierter Gärungsprozess mit industriell hergestellten Reinzuchthefen erfolgt ausserdem eine Spontangärung mit natürlichen Hefen, die sich bereits auf den Weintrauben herumtummeln. Und auch beim Spezialitätenkaffee beginnt die Arbeit bereits beim sortenreinen Anbau und setzt sich bei der sorgfältigen Weiterverarbeitung der Bohnen fort. Eine schonende Röstung verhindert anschliessend, dass ungewollte Bitterstoffe die natürlichen Geschmacksnuancen des Kaffees überdecken.
Was im «169 West» auf den Tisch kommt, strotzt vor Authentizität und Charakter. Das gilt gleichermassen für die Getränke wie für das überschaubare Essensangebot. Unter der Woche gibts morgens «Kaya Toast» – eine populäre Frühstücksspezialität in Singapur und Malaysia bestehend aus einem Kokosmilch-Ei-Aufstrich zwischen zwei knusprigen Brotscheiben. Oder hausgemachtes Granola mit Joghurt und Apfelkompott. Grosse Suchtgefahr besteht beim getoasteten Croissant mit rezentem «Schnebel Kuh» und Honig-Senf-Sauce – eine simple aber zugleich unwiderstehliche Kombination. Abends stehen verschiedene kleine Apéro-Teller mit derselben Liebe zum Detail auf dem Menü: gekochte, weisse Bohnen mit Olivenöl und Zitronenzeste oder Randen-Hummus. Samstags und sonntags erweitert sich das Brunch-Angebot mit abwechselnden Gerichten. Keinesfalls verpassen: die phänomenale Okonomiyaki-Waffel, deren Teig Weisskohl, Algen-Dashi, Karotten und Lauch beinhaltet. Eine würzige, süss-salzige Okonomiyaki-Sauce, hausgemachte Mayonnaise mit Reisessig und Frühlingszwiebeln vollenden dieses Highlight. Ja – wer hätte das gedacht? Die spannendste Gastro-Neueröffnung in Zürich ist dieses Jahr wohl gar kein Restaurant.
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Kontakt
169 West
Weststrasse 169
8003 Zürich
http://169west.ch/
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Öffnungszeiten
Dienstag bis Freitag, 8.00 bis 22.00 Uhr
Samstag und Sonntag, 10.00 bis 22.00 Uhr
Preise
Weine 7-12 CHF pro Glas, Espresso 4.20 CHF, verschiedene Happen 2.50-14.50 CHF
Empfehlungen
Weine nach Empfehlung, Espresso, Filterkaffee, Käse-Croissant, Okonomiyaki-Waffel