Um die Geschmäcke von Mexiko kennenzulernen, musst du auf die Strasse. In den von mir besuchten «Fine Dining»-Restaurants ging oft etwas Elementares verloren: Mich erschlich das Gefühl, französische Küche mit mexikanischen Zutaten zu essen. Ausser im «Pujol». Das Restaurant von Enrique Olvera vermittelt mit den Gerichten die Sinneseindrücke der Strassen, Märkte sowie heimischen Küche und verleiht ihnen mit Zutaten von herausragender Qualität mehr Tiefgang. Ein Paradebeispiel dafür war die Tostada – eine knusprig frittierte Tortilla – belegt mit Jakobsmuschel, Koriander, Avocado und Sesamöl.
Esu Lee gehört zu den spannendsten jungen Köchen in Europa. Was der Koreaner in seinem Restaurant C.A.M. in Paris auf den Teller zaubert, beeindruckt selbst Kochlegenden wie Alain Ducasse. Seine Gerichte wirken koreanisch, bedienen sich aber ebenso bei der französischen, italienischen, englischen und chinesischen Küche. Mit 28 Jahren besitzt er bereits einen komplett eigenen Kochstil, ohne jemanden zu imitieren. Seine Interpretation von «Fish & Chips» birgt Suchtgefahr: Frittierter Seeteufel und Daikon mit Szechuan-Mayonnaise.
Das Restaurant Koks auf den Färöer Inseln ist wohl das abgelegenste Gourmet-Restaurant der Welt. Nach dem Vorbild der «neuen nordischen Küche» arbeitet Küchenchef Poul Andrias Ziska ausschliesslich mit Zutaten aus der unmittelbaren Umgebung. Kein Punkt auf dem Festland ist weiter als fünf Kilometer vom Meer entfernt. Im Mittelpunkt der Karte stehen daher Fische und Meeresfrüchte, die zwei Stunden zuvor noch darin herum schwammen. Wie dieser an Qualität unübertroffene, gesalzene Kabeljau an einer Sauce aus Miesmuscheln und Petersilie.
Der aus dem Nordosten Thailands stammende kalte Hackfleisch-Salat «Larb» existiert in unzähligen Variationen. Dieses Jahr überraschte mich ein Geheimtipp des Inhabers der «Ku Bar» in Bangkok mit einer Variante, die aus Eiern der roten Ameise bestand. Dabei zeigte die Küche genügend Feingespür, um den milchig-nussigen, leicht säuerlichen Geschmack der delikaten Zutat nicht zu überdecken. Eine Offenbarung!
Eines der besten Kalbshirn-Gerichte gibts im kleinen Bistro Le Baratin im Quartier Belleville in Paris. Die Konsistenz erinnert an Crème brûlée, während der Geschmack eine gewisse Ähnlichkeit zu Milke aufweist. Zur Vollkommenheit benötigt hier die in der Schweiz verschmähte Delikatesse nichts weiter als Zitronen-Butter-Sauce, cremige Salzkartoffeln und Schnittlauch.
Eine Autostunde von Mailand entfernt, direkt am Ufer des Gardasees, pflegt Riccardo Camanini eine moderne, italienische Küche. Wie Spaghettone an einer Sauce aus Butter und gebackener Bierhefe. Oder ein Risotto zubereitet mit einem Sud aus fermentiertem Knoblauch statt Bouillon. Besonders beeindruckte jedoch der überwältigende Geschmack des «Cacio e Pepe». Dank der Garmethode in der Schweineblase («en vessie») verflüchtigen keine Aromen während des Kochprozesses.
Der ehemalige «Mole»-Meister des «Pujol» Jorge Leon kocht nun auf seinem Anwesen in Oaxaca. Und seine ganze Familie hilft mit. Mit viel Finesse backen sie gefüllte, grosse Tortillas namens «Tlayuda» direkt auf dem «Comal» – einer grossen Grillplatte über dem Feuer. Aber auch ein Spiegelei, doppelseitig gebraten mit flüssigem Eigelb, das so milde Röstaromen erhält. Simpel und doch raffiniert.
Bevor ich in diesem Restaurant das erste Gericht probierte, erlisch fast meine Hoffnung auf ein Essen in Seoul, das mich prägen würde. Zu viele Lokale scheinen die Mühe und Zeit zu scheuen, die traditionelle, fermentierte Pasten und Saucen mit sich bringen. Erfreulicherweise folgte ich aber dem Geheimtipp eines Freundes aus Bangkok. Und fand ein simpel eingerichtetes Restaurant (Titelbild) mit komplexen Gerichten auf Basis ihrer hausgemachten, fermentierten Sojabohnenpaste «Doenjang». Sowie «Yangnyeom Gejang» – rohe Blaukrabben mariniert in Sojasauce, Sesam, Chili, Knoblauch und Ingwer. Auch der ungefilterte Reiswein «Makgeolli» stammt aus eigener Produktion.
Diese Liste wäre inkomplett ohne eine Gericht vom Zürcher Restaurant, das ich so oft besuche wie kein anderes. Das «Gamper» zeichnet sich durch eine simple Küche mit ausgezeichneten Zutaten aus, die trotzdem immer wieder überraschen kann. Zu den diesjährigen Highlights gehörte eine zwei bis drei Wochen gereifte Krickente, direkt geliefert vom Jäger aus dem Elsass. Dazu gabs einen mit Butter montierten, kräftigen Jus aus den Innereien und in Rotwein geschmorter Trevisano, der mit leichten Bitternoten für Balance sorgte.
René Redzepi und sein Team servieren im Sommer ein Menü mit über 20 Gängen, das sich ausschliesslich auf Gemüse, Früchte, Blumen und sonstige Pflanzen fokussiert. Und trotz Verzicht auf Fleisch, Fisch oder Meeresfrüchte weder bezüglich Geschmack noch Texturen etwas vermissen lässt. In einem Menü voller unvertrauten Zutaten, überrascht ein Gericht mit Wohlbekanntem von ungeahnter Qualität. Kurz angrillierte Erbsen in einem Sud aus Erbsenhülsen mit ungesüsstem Schlagrahm so leicht wie eine Wolke.