«Falls du nicht bei ‹Chez Etienne› warst, warst du nicht in Marseille», lautet ein Sprichwort. Die familiengeführte Pizzeria (grosses Bild oben) ist seit 1943 im Betrieb, akzeptiert weder Reservationen noch die Bezahlung per Karte und ist ständig voll – Warteschlangen bilden sich abends bereits kurz nach dem Start. Wofür alle herkommen? Die «Moitié-Moitié»-Pizza: auf einer Hälfte vermischen sich Mozzarella und Emmentaler Käse, auf der anderen Tomatensauce und Sardellenfilets. Süsslich, salzig, fettig – ein wunderbare Kombination, die sich sofort ins Gedächtnis brennt und eine Pizza, die trotz italienischem Ursprungs ganz nach Marseille schmeckt.
Die südfranzösische Stadt an der Côte d’Azur bietet nicht nur viel Sonne und Meer, sondern auch hervorragende Restaurants – und eine meiner Lieblingsadressen weltweit: Lavomatique. Simple, tadellos zubereitete Bistro-Gerichte treffen auf eine kleine, immer wieder wechselnde, fantastische Naturwein-Karte mit vielen alten Jahrgängen zu fairen Preisen (2002er Chenin Blanc von Xavier Caillard aus der Loire!). Die kulinarische Überraschung des Abends? Die besten Falafel, die mir je aufgetischt wurden.
Meine erste Flugreise seit Ausbruch der Pandemie führte mich nach Barcelona. Der erste Stopp: «Passadís del Pep». Aus der Küche kommt, was das Restaurant frisch auf dem Markt einkauft, Gäste müssen sich bloss um die passende Getränkebegleitung kümmern (heisser Tipp: ein Cava von «Recaredo»). Das Highlight unter den simpel zubereiteten katalanischen Spezialitäten? Kleine Kalamari mit dem betörenden Aroma des Holzkohlegrills und ein paar Tropfen erstklassiges Olivenöl. Weniger ist mehr.
Zineb Hattab hat sich mit ihrem Restaurant Kle blitzschnell in mein Herz gekocht – insbesondere mit ihrem Brunch-Menü, das sich teilweise nun in ihr neues Restaurant Dar an der Gasometerstrasse verlagert hat. Mein Favorit hat den Sprung in den Kreis 5 leider nicht geschafft: Chilaquiles – Tortilla-Chips mit Salsa roja, Cashew-Creme, Zwiebeln, Koriander, Limettensaft und Chili. Die Hoffnung auf ein Comeback stirbt zuletzt.
Der beste Döner in Istanbul? Bayramoğlu Döner wäre ein todsicherer Kandidat: geschichtetes Lammfleisch röstet direkt am Holzfeuer, bevor es in grossen, saftigen, hauchdünn geschnittenen Scheiben auf dem Teller landet – eine kulinarische Offenbarung, kaum zu vergleichen mit den Pendants in Westeuropa. Ich habe gleich zweimal nachbestellt. Dazu gibts Fladenbrot frisch aus dem Tandoori-Ofen.
Wie gut ein Essen schmeckt, kann massgeblich von der Umgebung, dem Moment und der Person vis-à-vis abhängen. Eine meiner schönsten Erinnerungen der vergangenen zwölf Monate: Statt sich völlig gestresst um eine Last-minute-Reservation in Marseille zu bemühen, sich lieber mit einem tadellosen Take-away-Couscous und einer guten Flasche Wein (vom Shop «Plus Belle la Vigne») in der Airbnb-Unterkunft begnügen. Der Ort: Corbusiers monumentale «Cité Radieuse». Der Moment: Sonnenuntergang mit Blick auf die Stadt. Die Person vis-à-vis: meine bessere Hälfte.
Koch David Heimer gehört zu den grössten Jungtalenten der Limmatstadt und hat sich im «Josef» bestens eingelebt. Sein bisher bestes Gericht? Tranchen vom Stör aus Frutigen BE – ein «Nebenprodukt» der «Oona»-Kaviar-Produktion –, kurz flambiert und dank hohem Fettanteil butterzart, auf einem ausgezeichneten Risotto mit dezenten Zitrus-Noten. Eine geräucherte Beurre blanc und darüber gehobeltes Eigelb (gebeizt!) sorgen für den letzten Feinschliff.
Çiğ köfte? Bulgur, rohes Rindshackfleisch, Tomate, türkische Paprikaschote sowie viele weitere Zutaten, mit Geduld von Hand zu einer feinen, aromatischen Masse geknetet und auf einem Salatblatt serviert, das als Wrap dient. Der Ursprungsort dieser türkischen Spezialität liegt in Şanlıurfa – auch einfach Urfa genannt – in Südostanatolien, wo «Tatlies Lahmacun» eine Variante auftischt, die geschmacklich alles abdeckt: süsslich, salzig, sauer, rauchig, erdig, fruchtig, pikant – komplex und atemberaubend viel Tiefgang.
Das «Consorzio» ist ein Restaurant im historischen Zentrum Turins, das piemontesische Klassiker ausgräbt und auftischt aus den besten Zutaten der Umgebung. Neben den hausgemachten Tajarin – der lokale Namen für Taglierini –, den frittierten Kalbsmilken sowie den üppig gefüllten Agnolotti gobbi blieb vor allem ein Gericht in bester Erinnerung: Ein butteriges Risotto, inspiriert von der italienischen Kochlegende Nino Bergese, auf Kalbsjus mit Knochenmark.
Zwei meiner Lieblingsrestaurants sind für einen Abend zusammengekommen und haben Gerichte serviert, die schmeckten, als kämen sie von einer einzelnen, eingespielten Küchenbrigade. Ziemlich beeindruckend und keine Selbstverständlichkeit: Oft servieren Restaurants an solchen Events abwechslungsweise einen Gang oder müssen Kompromisse eingehen, was Stammgäste wiederum sofort merken. Der Geniestreich des Abends? In Entenfett confierte Goldmarie-Kartoffeln mit gerösteten Buchweizen und einer Sauce aus Butter und Niban-Dashi – quasi eine japanische «Beurre monté».
La Merenda ist ein einzigartiges Restaurant, das ich mir in jeder Stadt wünschen würde: ein winziges Lokal, das bis anhin Reservationen nur persönlich vor Ort entgegennahm (neu geht via Instagram), nur Bargeld akzeptiert und lokale Spezialitäten auf hohem Niveau auftischt aus marktfrischen Zutaten. Ratatouille, frittierte Zucchiniblüten mit Ricotta-Füllung, Pistazien-Pasta oder der Zwiebelkuchen Pissaladière. Und das Gericht, das ab sofort Fernweh nach Nizza in mir auslöst: Tomatenkuchen.
Wer Gaziantep besucht, stolpert früher oder später über Katmer: Ein jahrhundertaltes Dessert, das Kaymak (eine Art dicker Streichrahm), Butter, Zucker und eine fast schon absurde Menge Pistazien zwischen knusprig gebackenen Filoteig packt. Schon die Zubereitung ist spektakulär: Der Teig wird solange durch die Luft geschwungen, bis er hauchdünn ist und man eine Zeitung darunter lesen könnte.
Das Restaurant Lido 84 am Gardasee gehört zu den aufregendsten Adressen Italiens und serviert moderne Gerichte, die auch Fans der traditionellen Küche überzeugen würden. Ein Klassiker von Küchenchef Riccardo Camanini stand schon lange auf meiner Wunschliste: «Melanzana alla parmigiana» – eine Aubergine, gebacken bei 400 Grad, längs aufgeschnitten und mit Tomatensauce, Colatura di Alici (eine fermentierte Sauce aus Sardellen), Basilikum, sowie einer Creme aus Parmesan der weissen Kuh vollendet.
Auch wiederkehrende Gäste kann das «Lido 84» bei jedem Besuch aufs Neue begeistern und servierte bei meinem dritten Besuch das beste Pastagericht des Jahres: Fusilloni mit einer cremigen Sauce aus rohen, extrem aromatischen Marinda-Tomaten, Pistazien und Basilikum.
Das peruanische Restaurant ist vom Bullingerplatz nicht mehr wegzudenken, die Tische gehören zu den begehrtesten der Stadt. Wartezeit auf einen Tisch mit Reservation? Fast zwei Monate! Glücklicherweise sind aber immer einige Plätze «reserviert» für spontane «Walk in»-Gäste. Ceviche steht hier gleich in vierfacher Ausführung auf der Menükarte. Darunter ein klassisches mit Wolfsbarsch, frittierter Softshell-Krabbe und Süsskartoffel – Prädikat Weltklasse.
Restaurants, die mich faszinieren, besuche ich gerne so oft wie möglich – auch wenn sie sich in einem Dörfchen zwischen Bologna und Modena verstecken. Bevor das Festmahl in der «Osteria del Mirasole» mit einem Dessert endet, ist das Bistecca alla Fiorentina ein Muss. Langsam grilliert über der Holzkohle von Küchenchef Franco Cimini höchstpersönlich, verblüfft das T-Bone-Steak einer ausgedienten Milchkuh mit einer aussergewöhnlichen Zartheit und ganz viel Aroma.
Mein letzter Auslandstrip des Jahres führte mich nach Paris – und in ein Restaurant, das seit Jahren ganz oben auf meiner Wunschliste stand: L’Ambroisie am berühmten Place des Vosges. Der Grund? Bernard Pacaud. Ein Koch, dessen Karriere bei der Mutter der Nouvelle Cuisine Eugénie Brazier begann, bevor er 1982 sein eigenes Restaurant eröffnete und sechs Jahre später bereits den dritten Stern erhielt. Seine Gerichte beginnen mit den besten Zutaten, perfekt zubereitet, von denen er nie mehr als drei, vier auf dem Teller vereint. Ein Evergreen auf der Karte: Wolfsbarsch auf Artischocke an einer dezenten, butterigen Nage mit einer grosszügigen Portion Kaviar.
Ich wusste von ihrer Existenz und konnte mein Glück kaum fassen, als mir der Restaurantleiter sie als Tagesspezialität anbot: Tourte de canard nach dem Rezept von Françoise Fillioux, der Lehrmeisterin von Eugénie Brazier. Ein knuspriger und gleichzeitig feuchter Teig wie aus dem Bilderbuch, darin die unterschiedlichen Teile der Ente perfekt gegart, dazu ein bisschen Entenjus und ein Friséesalat mit weissem Trüffel – definitiv eines der besten Gerichte, das mir bisher aufgetischt wurde.
Noch ein Gericht des «L’Ambroisie»! Pacauds Schokoladentorte ist so unverschämt luftig und leicht, dass jeder Biss sich gleich in Luft auflöst und nur puren Schokoladengeschmack im Mund hinterlässt – eine technische und geschmackliche Meisterleistung. Das Geheimnis: zwischen knusprigem Boden und dem «Deckel» aus Kakaopulver befindet sich eine Zabaione aus dunkler Schokolade. Dazu gibts Vanilleglace, für das Pacaud sechs Vanilleschoten pro Liter Milch (!) verwendet.