Interview: Daniel Böniger

Claudia Knapp, für Ihr Buch «Zu Gast im Engadin» haben Sie sich mit Engadiner Köchinnen und Köchen befasst. Was macht die Kulinarik dort aus? 

Im Grundsatz ist es eine alpine Küche. Ihre Ursprünge liegen in den einfachen, eher schweren Zubereitungen, die auf Zutaten wie Speck, Gemüse, Mehl und Ähnlichem basieren. Inzwischen ist daraus aber eine regional verankerte, zeitgemässe Küche geworden, die durchs Band hohes Niveau aufweist.  

Was meinen Sie mit alpiner Küche? 

Der alpine Raum erstreckt sich von Nizza bis München. Und aus diesem riesigen Gebiet kommen auch die verwendeten Produkte - das ist alles andere als neu. Die heutige Krone in La Punt, wo James Baron kocht, war früher eine Säumerei. Da kreuzten sich schon immer die Wege der Reisenden. Auch Baron selbst war zuletzt in Hongkong am Herd, jetzt macht er Ravioli mit Dörrbirnenfüllung. Oder denken Sie an die Zuckerbäcker aus dem Kanton Graubünden, die in ganz Europa herumreisten und wahrscheinlich aus Toulouse die bekannte Nusstorte mitbrachten. Im Engadin gab ja keine Nüsse. 

In Ihrem Buch fehlen Capuns. Weshalb? 

Die gibt es im Engadin zwar oft auf der Karte, aber selten wirklich gut. Was damit zu tun hat, dass diese Spezialität eigentlich aus dem Bündner Oberland stammt, also nicht aus dem Engadin. Kommt hinzu, dass Capuns oft mit einer Sauce serviert werden, die fast an Fondue erinnert.  

Dafür entdeckt man im Buch Orangen als Zutat. Die sind bestimmt nicht aus dem Engadin. 

Das meinte ich mit dem Begriff «alpine Küche». Orangen kommen aus Ligurien, das sehr wohl zum Einzugsgebiet gehört. Nun gut, Martin Dalsass im «Talvo» verwendet auch mal Tomaten aus Sizilien, weil sie dort perfekt sind - aber auch er bleibt, wie alle Köchinnen und Köche, die ich kennengelernt habe, dabei stets verortet. 

 

Zu Gast im Engadin

Callway Verlag 

Fotos: Mayk Wendt 

Texte: Claudia Knapp 

ca. 50 Franken 

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Zu Gast im Engadin Kochbuch

Inwiefern prägen die Luxushotels in St. Moritz das Gefüge der Engadiner Gastronomie? 

Ich habe im Buch die Geschichte von Johannes Badrutt skizziert, der das «Kulm» als erstes Luxushotel eröffnete und den Wintertourismus quasi erfunden hat. Er hat aus einem Bauerndorf eine weltweit bekannte Destination gemacht. Viele Lokale, gerade im Oberengadin, profitieren von der Ausstrahlung von St. Moritz und der Klientel dort. Aber es gibt auch tolle Gastgeber im Unterengadin, nehmen sie etwa Claudia Kläger, die in Tarasp das Gasthaus Avrona betreibt. Sie kocht mit viel Liebe - und ist eine Entdeckung wert. 

Was hat Sie bei Ihren Recherchen am meisten überrascht? 

All die Menschen, die sehr auf Nachhaltigkeit fokussiert sind. Sei es ein Paolo Casanova, der rund um Madulain seine Kräuter sammelt, sei es die besagte Claudia Kläger, die bei Metzger Hatecke eine Lehre gemacht hat, um zu verstehen, was mit den Tieren zwischen Weide und Teller passiert. Anders gesagt: Im Engadin wird grosser Aufwand betrieben, damit der Gast das bestmögliche Erlebnis bekommt.