Fotos: Marcus Gyger
«Das grenzt an Wahnsinn!» Diese Challenge ist längst Kult unter den Schweizer Starchefs. Jedes Jahr tritt einer an in der kleinen, feinen Berghütte der «Bernerhof»-Hoteliers Brigitte und Thomas Frei und bereitet sein Menü unter erschwerten Bedingungen zu: Strom gibt’s keinen auf der «Züneweid». Aber Feuer! Der Feuerteufel hiess diesmal Benoît Carcenat (grosses Bild oben), GaultMillaus «Koch des Jahres 2023» vom «Valrose» in Rougemont VD. Der fröhliche, nervenstarke Patron, ein Star der «Grandes Tables Suisse», machte das teuflisch gut. «Eine Performance, die an Wahnsinn grenzt. Schlicht grossartig», sagte Altmeister Franz Wiget. Und auch Silvio Germann, der amtierende «Koch des Jahres» war schwer beeindruckt: «Fuck, war das gut! Zum Glück war ich schon dran mit Kochen auf der Züneweid. Nach Benoît anzutreten, ist hart.» Der nächste Chef für die Feuerprobe ist bestimmt: Kevin Fernandez, der Nachfolger von Martin Dalsass im «Talvo» St. Moritz. Grosses Bild oben: Benoît Carcenat arrosiert seine Wachteln alle paar Minuten mit Chartreuse.
Erdwärme! Benoît vergräbt sein Lamm. Höhepunkt der grossen Carcenat-Show: «Agneau entre deux feux». Für diesen Hauptgang musste der Bagger her! Der Chef legte morgens um 05.30 Uhr ein 14,5 Kilo Lamm aus dem Dents du Midi (Wallis) ins Loch, eingewickelt in feuchte Tücher; er setzte mangels Stroms auf Erdwärme. Sein System: Glut, Erde, Lamm, Erde, Glut! Nach sechs Stunden der Moment der Wahrheit: Das Lamm wurde ausgehoben, aufgeschnitten, serviert, butterzart, wunderbar saftig. Das Ergebnis einer langen Testreihe? Benoît Carcenat ganz cool: «Das habe ich zum ersten Mal gemacht. Aber ich kann mich auf meine Nase und auf mein Gefühl verlassen.»
Die Koteletten für den Chef. Der Lunch auf der Alp ist keine Barbecue-Party. Also wollte Carcenat das Lamm veredeln: Er rollte Gigot und Schulter ins Filet ein, legte das Saftpaket auf eine geschmorte, saftige Tomate, servierte grünes Curry, Bergkräuter und einen geräucherten Lammjus dazu. Fantastisch. Und die Lammkoteletten? «Die haben wir in der Küche selbst gegessen.» «Wir», das waren ziemlich viele: Zwölf Köche und sechs Servicemitarbeiter begleiteten ihren Chef auf den Alpaufzug. «Die Hälfte hätte gereicht», sagt Carcenat, «aber alle wollten mitkommen und bei diesem Abenteuer dabei sein.» Steve Beetschen, «Rookie des Jahres 2023» war der Winzer für diese Party. Vor allem sein «Vin Mousseux de Pays Romand» begeisterte; Silvio Germann bestellte noch in der Hütte 48 Flaschen von seinem Schaumwein für den «Mammertsberg».
Unglaublich: Wachteln à la ficelle! Genauso gut (oder noch besser?) als das Lamm aus der Erde die Wachteln vom Feuer. Carcenat hat die Produzenten von «La Belle Luce» in Gruyère gebeten, nicht nur die berühmten Poularden «La Patte noire» zu züchten, sondern es auch mal mit Wachteln zu versuchen. Also gab’s in der Hütte «Cailles à la ficelle». Die kleinen Vögelchen hingen stundenlang an einem Haken über dem Feuer, wurden mit dem Pinsel immer wieder lackiert und auch noch aus einer Plastikflasche besprüht: Chartreuse war drin, ein Heilkräuter-Likör. Das verblüffte selbst seine Köche; sie schossen fasziniert Dutzende von Handybildern.
«Bärenklauen» von der Alpwiese. Für die Köche begann der lange Tag auf der Alpwiese. Sie schwärmten aus, sammelten Bergkräuter, «Bärenklauen» etwa, nicht-giftige Exemplare natürlich. Spitzenkoch Franz Wiget: «Kräuter sind bei Benoît nicht einfach Dekoration. Sie sorgen für Würze. Fantastisch!» Die Gäste waren schnell hin und weg: Erst raffiniere Amuse-bouches. Dann zweierlei «Chögeli», (frische, knackige Erbsen und Oscietra-Kaviar), dann Seeteufel aus Roscoff (Bretagne) und Rock Lobster mit Wildblumen-Emulsion. Selbst die Kirschen für die grandiose Variation von Pâtissier Jocelin Jaquet hingen für ein paar Sekunden über den Flammen! Die Qualität der Kirschen übrigens war unglaublich. Carcenat: «Wir kriegen sie von einem kleinen Produzenten in Morges.»
Stars am weiss gedeckten Tisch. Carcenat zauberte für Experten: Starchefs wie Martin Dalsass, Dario Ranza, Ueli Kellenberger, André Jaeger, Nicolas Darnauguilhem und die Winzer Martha & Dani Gantenbein sassen am Tisch. Am weissgedeckten Tisch, denn Benoît Carcenat überliess dem Zufall gar nichts: Die Kellner trugen elegante Jackets wie unten im Restaurant «Valrose», sein sündhaft teures Geschirr wurde auf den Berg gekarrt. Und kurz vor dem Service bügelte Jade Pagagnon-Simon flink und präzis die weissen Tischdecken. 18-Punkte-Luxus hat in der kleinsten Berghütte Platz.