Alessandro Boleso, Sie sind der Chef einer 16köpfigen Brigade. Bei welchem Gericht schaut der Boss ganz genau hin?
Beim Risotto. Das ist unser «Cavallo di battaglia», unser Schlachtross. Wer Ferien im Tessin und so nahe an Italien macht, will das. Das Verrückte daran: Jeder Koch weiss genau, wie man einen guten Risotto macht, aber das Ergebnis ist jedes Mal anders. Die Butter verändert sich mit der Jahreszeit, der Parmigiano ohnehin. Also braucht es nicht nur ein gutes Rezept, sondern auch viel Gefühl. Den Risotto probiere ich immer, ehe er raus geht zum Gast.
Apropos rausgehen: Gehen Sie auch raus zum Gast. Drehen Sie Runden in Ihrem Restaurant Le Relais?
Ich gehe raus, weil es mir auch gefällt, wenn ich als Restaurantgast den Koch kennenlerne. Aber lange bleibe ich nicht im Saal. Wäre mir das wichtig, wäre ich Kellner geworden.
Sie stehen gerne in der Küche. Auch weil die Stimmung im Team so gut ist?
Mit den meisten Köchen arbeite ich seit Jahren zusammen. Viele haben mit mir von der Villa d’Este am Comersee in die Villa Castagnola nach Lugano gewechselt. Am Morgen treffen wir uns alle zu einem Kaffee in der Küche. Wir reden dabei über alles, nur nicht übers Geschäft. Das Briefing folgt anschliessend. Dann besprechen wir alles: Das Menü, allfällige Allergien, Sonderwünsche. Und dann geht’s los in der Küche.
Ein Executive Chef kocht in der Regel nicht. Er organisiert und überwacht.
Ich kann mich auf mein Team und auf meine langjährigen Souschefs blind verlassen, drehe meine Runden, wenn ich mit meinen administrativen Arbeiten durch bin. Abends ist das «Le Relais» offen. Das Restaurant liegt mir sehr am Herzen. Ich bin am Pass und sehe eigentlich jeden Teller, der raus geht.
Wie schaffen Sie es eigentlich, dass Ihnen die Köche über Jahre hinweg treu bleiben?
Ich vertraue ihnen. Ich lasse ihnen viele Freiheiten und bin bereit, deswegen auch mal ein kleines Risiko einzugehen. Aber vor allem: Ich sorge für anständige Arbeitsbedingungen. Jeder Koch kriegt jede Woche zwei Tage Freitage, auch in der Höchstsaison. Die freien Tage sind zwei Wochen im Voraus bekannt. So können die Ragazzi planen und mit ihrer «fidanzata» (Verlobte, Freundin) auch mal ans Meer fahren.
Es gibt noch immer Chefs, die brüllen. Sie auch?
Nie. Brüllen macht keinen Sinn. Bei uns genügt ein kurzer Augenkontakt, dann weiss jeder, was zu tun ist. Ich möchte auch nicht, dass junge Chefs vor mir Angst haben.
Das «Le Relais» ist im GaultMillau mit 15 Punkten bewertet. Wie es sich für ein Grandhotel gehört, gibt es ein «Menu degustazione» und ein riesiges à-la-carte-Angebot.
Eine grosse Karte muss sein. Viele Gäste bleiben mehrere Tage in der Villa, da ist auch die Karte mit vielen Klassikern drauf sehr gefragt. Aber auch unser Menü wird immer häufiger bestellt. Wir verwenden erstklassige Produkte und haben trotzdem einen sehr fairen Preis.
Gambero rosso di Mazara auf dem «Caprese», Médaillons von blauem Hummer auf dem Venere-Reis, marinierte Scampi und Foie gras-Würfel auf der Scialatelli-Pasta – Sie haben offensichtlich ein grosses Einkaufsbudget.
Ich habe gar keines. Klar, die Küchenrendite muss stimmen. Aber im Vordergrund steht die Qualität, nicht ein Budget. In der Villa Castagnola wollen wir Top-Produkte anbieten. Das ist unser USP.
Apropos Scialatelli. Was ist denn das ganz genau?
Eine Pasta aus der Campagna! Jede Familie hat dort ein etwas anderes Scialatelli-Rezept und ist mächtig stolz drauf. Man verwendet Milch statt Wasser und muss diese Pasta vorkochen, ruhen lassen und nochmals kochen, sonst bleibt sie zu hart. Ich versuche auch immer, den einen oder anderen unbekannten Fisch auf die Karte zu setzen. Immer nur Branzino ist langweilig.
Sie haben einen heissen Draht zu Ihrem Fischhändler, zum «Mercato del pesce».
Wir sind täglich in Kontakt. Ich kriege per WhatsApp Fotos vom aktuellen Fang und schlage dann zu.
Ein Executive Chef kocht nicht nur um Punkte. Da gibt’s noch den Room Service und den kleinen, privaten Lido direkt am Wasser.
Vor allem arabische Gäste essen gerne im Zimmer. Wir haben eine attraktive Room Service-Karte, und eigentlich kann der Gast haben was er will. Auch einen Branzino im Salz, auch unsere Scialatelli. Der neue Lido liegt mir sehr am Herzen. Wir servieren unseren Gästen kleine Snacks, am Tisch oder an der Sonnenliege. Habe ich mal eine freie Stunde, bin ich auch gerne im Lido: Ein erfrischender Cocktail, eine Zigarre, ein magischer Sonnenuntergang – was will man mehr?
Wo schicken Sie Gäste hin, wenn Sie mal ausserhalb des Resorts essen möchten?
Ins «Cuntitt» in Castel San Pietro im Mendrisiotto. Ich mag Federico Palladinos Küche, seine Fidanzata, seinen Pâtissier. In Lugano empfehle ich Luca Bellanca im «Meta».
Fotos: Thomas Buchwalder, Ydo Sol, HO