Doppelschicht für Dalsass. Der letzte grosse Applaus war tosend und herzlich. Martin Dalsass verabschiedete sich aus der Spitzenküche. Nach 39 sehr erfolgreichen Jahren übergibt er am Ende der Sommersaison das «Talvo» in St. Moritz seinem langjährigen Souschef Kevin Fernandez. Typisch Dalsass: Er bildet seinen Nachfolger gleich selbst aus, räumt das Feld, ist künftig nur noch als Caterer im Einsatz. Auch typisch Dalsass: In Bad Ragaz schob der Koch aus Leidenschaft Doppelschicht. Er kochte erst für die Party-Gäste, abends an der Crew-Party dann für seine Kollegen. Zum Abschied gab’s das Gericht, das ihn berühmt gemacht hat: Cavatelli mit Seafood. Risotto. Salami & Mortadella, «selbst gewurstet und mit Leber in der Mortadella.» Schreckmoment an der After Party: 160 statt 100 Gäste auf der grossen Terrasse. Da mussten noch ein paar Portionen Pasta nachgeliefert werden. Grosses Bild oben: Martin Dalsass (l.), GaultMillau-Chef Urs Heller.

Mood / Stimmung: Auszeit mit Nadine Wächter, Martin

Pause muss sein: Nadine Wächter & Nico Lindenhorst (Grand Resort Bad Ragaz) mit Martin Dalsass.

Cavatelli mit Muscheln, Calamaretti, Gambas und Datteltomaten von Martin Dalsass, Talvo, GaultMillau Garden Party 2024

Der Klassiker von Martin Dalsass: Cavatelli mit Seafood & Datteltomaten.

Martin Dalsass, Restaurant Talvo by Dalsass, St. Moritz - Champfèr, GR

Kochte für die Party-Gäste, dann für seine Kollegen: Martin Dalsass vom «Talvo», St. Moritz.

«Koch des Jahres 2001». Ich habe Martin Dalsass während seiner langen Karriere begleitet, als Tester und auch als Fan. Er kochte ab 1985 im «Santabbondio» ob Lugano, ab 2011 im «Talvo» in St. Moritz. 2001 hatten wir besonders viel zu feiern: Der GaultMillau ehrte den Südtiroler als «Koch des Jahres». Was mich immer wieder faszinierte: Martins grenzenlose Begeisterung fürs Kochen. Am Herd fühlte er sich am wohlsten. Auch an freien Tagen. Auch in den Ferien. Auch bei den «Grandes Tables Suisses». Auch an Festen mit Freunden, bei der «Pasta di Mezzanotte», weit nach Mitternacht. Und er hatte eine ganz besondere Leidenschaft: Es gibt wohl keinen Vogel am Himmel, der nicht früher oder später in seiner Pfanne landete. Die Jäger wussten das, brachten ihre Beute gern zu ihm. Ob jeder Birkhahn tatsächlich genau nach den Buchstaben des Gesetzes geschossen wurde, lassen wir mal offen.

Risotto im Himalaya. Dalsass – das steht für die Cavatelli. Aber auch für Risotto. Martin hat ihn überall zubereitet. In seinem Restaurant. Zu Hause bei Freunden. Und selbst auf langen Expeditionen im Himalaya: «Risotto kochen auf 4500 Metern ist gar nicht so einfach», sagte Martin. Martin Dalsass ist ein wandelndes Lexikon. Er hat auf jede kulinarische Frage eine Antwort; ich habe von seinem Wissen und seiner Erfahrung immer wieder profitiert. Und: Martin gab sein Wissen weiter: «Ich gebe meine Rezepte gerne weiter. An meine jungen Köche und Praktikanten, auch an meine Gäste.» Eine erste Abschiedsparty hat bereits stattgefunden. Keine VIP-Party wie in St. Moritz üblich, sondern «pranzo» im Talvo mit allen Souschefs, die ihn auf seiner Karriere begleitet haben. Die Souschefs sind heute selbst Chefs, erfolgreich unterwegs in ihren eigenen Restaurants. Was sie bei Martin gelernt haben, ist die Basis ihres Erfolgs. Auch deshalb kämpften beim Farewell-Lunch viele mit den Tränen.

Der begehrte Caterer. Martin Dalsass im Ruhestand? Das kann ich mir nicht so recht vorstellen. Klar: Im «Talvo» hat ab nächsten Winter der sehr begabte Kevin Fernandez das Sagen. Martin Dalsass mutiert zum begehrtesten Caterer im Engadin. Und wetten: Bietet irgendjemand dem Koch aus Leidenschaft eine Hütte in den Bergen an, sagt der 18-Punktechef mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu und steht am Herd. Einer wie Dalsass kann’s nicht lassen.

 

Fotos: Adrian Bretscher, David Biedert, Pascal Grob