Fotos: David Birri
DER DUFT DER KINDHEIT. Eigentlich ist Fleisch sein Ding. Als Chef des BG’s Grill im Alpine Design Resort Bergwelt in Grindelwald hat Urs Gschwend ein Händchen für Fleisch, das auf dem mächtigen Grill im eleganten Restaurant oder auf dem very Big Green Egg auf der Terrasse mit Eigersicht landet. Sein neuestes «Spielzeug»: der Dry-Ager im Keller, wo die edlen Teile von Rind und Kalb nachreifen, die Bianchi, Luma, Michel Comestibles oder die Metzgerei Blaue Kuh anliefern. Aber vor den edlen Fleischteilen will der Chef was Süsses zubereiten: Goldmelissen-Sirup. Die blutroten Blütenblätter hat er am Morgen auf dem heimischen Balkon gezupft, jetzt liegen sie im Zuckerwasser – ein dekorativer Anblick in der geräumigen, hellen Küche der «Bergwelt». «Goldmelissen-Sirup – der Duft meiner Kindheit», erzählt der 57-Jährige. Seine Mutter habe stets im Garten eine Gelte mit Blüten und Zuckerwasser an der Sonne ziehen lassen. Chef Urs Gschwend (l.) mit einem Dragon Egg, Meersalz in einer Kokosnussschale, ein Geschenk eines philippinischen Chefs, und sein Sous-Chef Márton Zuber.
Und am Sonntag ins Restaurant. Eine weitere prägende Kindheitserinnerung sei die an den sonntäglichen Kirchgang, besser gesagt an die Restaurantbesuche danach. «Auswärts essen gehen, das fand ich als Bub das Grösste!», erzählt Gschwend. Da lag eine Lehre als Koch nah. Die absolvierte der gebürtige Thurgauer im «Rössli» in Flawil SG. Hier hat er eine solide Ausbildung bekommen, und zugleich eine Ersatzfamilie gefunden. «Ich durfte mit zum Skifahren und zu Familienanlässen. Die Chefin war Griechin. Ich lernte in drei Jahren passabel griechisch – und dass Rösti mit Olivenöl genauso knusprig, aber aromatischer wird als mit Butter.» Mit seinem damaligen Lehrmeister Hansueli Gauer hat er heute noch Kontakt. Gschwend habe den 90-jährige Grand Chef neulich in der «Bergwelt» begrüssen und bekochen dürfen.
Zur Belohnung nach Bern. Die Lehrlinge im «Rössli», die sich reinknieten («rächt tue hönd» in Gschwends Dialekt, den er sich auf seinem langen Weg quer durch die Schweiz bewahrt hat), durften zur Belohnung ins Hotel Schweizerhof nach Bern, der wie das «Rössli» der Hoteldynastie Gauer gehörte. «35 Köche, klassisch französische Küche, eine strenge Schule, eine tolle Zeit», so fasst Gschwend seine «Schweizerhof»-Zeit zusammen. «Und: grosses Staunen über meine Olivenöl-Rösti!» In der legendären Schultheissen-Stube durfte Gschwend später für Grössen wie Bocuse, Girardet, Stucki & Co. kochen. Als Krönung holte er 17 Punkte und wurde GaultMillaus «Aufsteiger des Jahres 2000».
LAUPEN, LENK, ASCONA, GSTAAD. Die Lust auf ein eigenes Restaurant erfüllte sich Gschwend mit der «Linde» in Laupen, der Heimat seiner damaligen Frau. «Eine schöne Landbeiz war das», erinnert sich der Chef, aber 9/11 und ein paar Managementfehler hatten nach gut zwei Jahren die Selbstständigkeit abrupt beendet. Glück im Unglück. Philippe Frutiger, damals der Jung-Star unter den Hoteliers, holte Gschwend 2003 für das neu eröffnete Lenkerhof Alpine Resort. Innert zwei Jahren wurde das aufwändig renovierte Luxushotel im hintersten Winkel des Simmentals zum «Hotel des Jahres». Nach gut vier Jahren kam das nächste verlockende Angebot für Gschwend, wiederum von Frutiger, der mittlerweile mit seiner Frau Daniela das «Giardino» in Ascona leitete und nach der Ära Leu zu neuem Glanz führte. «Alle Welt kam ins ‹Giardino›, es ging hoch her, wir waren ein super Team da», erzählt Gschwend. «Ich habe mit Rolf Fliegauf ein Tränchen verdrückt, als er seinen ersten Stern im ‹Ecco› erhielt.» Der Grund, warum er das «Giardino» verliess, sei ein trivialer gewesen, sagt Gschwend: «Die Wärme! Ich war ein Klimaflüchtling. Es war mir einfach zu heiss im Tessin.» Er landete wieder in den geliebten Bergen, im «Bellevue» Gstaad, als Unternehmer Thomas Straumann das Haus an Rudolf Maag und dessen Schwiegersohn Daniel Koetser weitergegeben hatte. In seine neun Jahren im «Bellevue» habe er alle die VIPs, die in Gstaad Skiferien machten, bekochen dürfen. Von Sophia Loren über Roger Moore und John Cleese bis Gunter Sachs. In dessen Chalet sei er oft als Gast-Koch tätig gewesen – über die Eskapaden und Extrawünsche der Jetset-Gäste schweigt sich Gschwend diskret aus.
Grindelwald calling! Am Gourmetfestival «Saveur» in Gstaad habe er auch alle Starchefs und «Köche des Jahres» kennengelernt, von Frédy Girardet über Tanja Grandits bis Peter Knogl. Dieser holte Gschwend dann nach Basel. «Was Peter Knogl im ‹Cheval Blanc› leistete, hat mich sehr beeindruckt», erinnert sich Gschwend, der als Executive Chef im Luxushaus am Rhein quasi Seite an Seite mit Knogl arbeitete. Das vorher unbekannte Basel sei ihm bald ans Herz gewachsen, er habe die Internationalität der Stadt geschätzt. Und als Caterer der Art Basel, des CSI, der Swiss Indoors oder der Uhrenmesse sei der Glamour-Faktor der Gäste so hoch wie in Gstaad oder Ascona gewesen. Die Arbeitsbelastung ebenso. Nach seinem Engagement in Basel habe er eigentlich mal ein paar Monate pausieren wollte, sagt Gschwend. Da kam ihm schon wieder ein Angebot dazwischen: Patrik Scherrer, Eigentümer von Swiss Design Hotels, wollte ihn als Chef für die «Bergwelt» in Grindelwald, nachdem der internationale Spitzenkoch Markus G. Lindner das kulinarische Konzept des neu eröffneten Luxushotels erarbeitet und etabliert hatte. «Ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte», meint Gschwend schmunzelnd. «Die Aussicht, zurück in die Berge zu gehen, behagte mir sehr. Und ebenso, dass die Pinte, diese legendäre Beiz mitten im Dorf, zum Betrieb dazugehört. Ich habe ein Faible für solche Beizen, wo es sehr bodenständig und auch mal laut zugeht.»
«Wir sind ein Power-Duo.» Seit eineinhalb Jahren ist Gschwend nun wieder ein glücklicher Chef in der Bergwelt am Fuss von Eiger, Mönch und Jungfrau. Zu all den jungen Chefs im Dorf, die Grindelwald in kurzer Zeit auf die kulinarische Landkarte gehoben haben, pflegt er enge Kontakte. «Wir sind nicht Konkurrenten, sondern Kollegen. Und ich bin altersmässig sowieso der Papi in der Runde», meint Gschwend bescheiden. Sein militärisch strenger Bürstenschnitt eines Drill-Sergeant täuscht. Mit seinem Team in der Küche, für das er nur lobende Worte findet, pflegt er einen freundlichen, lockeren Umgangston. Ebenso mit der neuen Direktorin Tanja Münker, die kurz vor Gschwend in die «Bergwelt» kam. «Wir sind ein Power-Duo, ziehen am gleichen Strick. Unser gemeinsames Ziel: glückliche Gäste, die ungern gehen, aber gern wiederkommen!»
FISCH, VOGEL & SÄULI. Zum Glück der Gäste landen auf dem Big Green Egg mächtige Stücke vom Schweinebauch, die Gschwend mit Rosmarin, Thymian, Zitrone und Knoblauch würzt. Sein Signature Dish auf der Karte: Forällä Blau, die er raffiniert als Ceviche zubereitet. Für Liebhaber von Innereien gibt’s auch Milke oder von der Appenzeller Ente Brust und Herz, serviert mit Waldbeeren. Auch schöne Second cuts kommen zum Zug, zum Beispiel als Variante von Sloppy Joe, eine Art Hamburger. Oder ein Poulet, auf ungarische Art zubereitet, vom Sous-Chef und Patissier Márton Zuber. Selbst Vegetarier werden im BG’s Grill happy, etwa mit der Artischocke mit Eierschwämmli, Sauerteig-Beurre blanc, Belper Knolle und Kressemix. Oder mit den Kohlrabi-Pickels mit Frischkäse und einer exquisiten Brennnessel-Sauce. Im Oktober erwarten «Bergwelt»-Gäste das Shabu Shabu, eine Art Hot Pot zu Ehren des japanischen Eigerbezwingers Yoku Maki. Auf den weltberühmten Hausberg von Grindelwald hat man von den Balkonen der eleganten Zimmer und Suiten der «Bergwelt» den besten Blick. Eine Sicht, die aufs Feinste vom alpinen Chick und den hübschen Details im ganzen Haus ablenkt.