Fotos: Véronique Hoegger

Die ganze Welt auf einer Mini-Insel. Wer je die Schweizer Volksschule durchlaufen hat, kennt die Isole di Brissago. Kaum ein Schulkind, das nicht auf einer Schulreise durch den botanischen Park gelotst wurde. Und nichts hat Primarschulkinder wohl weniger interessiert als das viele Grünzeug hier. Für die Exklusivität auf dem Mini-Eiland – die 2000 subtropischen Pflanzenarten aus allen warmen Weltgegenden auf nur 2, 5 Hektaren – fehlt einem als Kind schlicht der Sinn. Für botanisch Interessierte im Erwachsenen-Alter ist die Isola Grande seit langem Paradies und Pilgerort, ebenso für Insta-Spot-Jäger und -jägerinnen. Seit kurzem ist die grössere der beiden Brissago-Inseln im Lago Maggiore, gut zu erreichen per Fähre von Porto Ronco oder Ascona aus, auch ein Magnet für Foodies und alle, die Grünzeug lieben, wenns fein zubereitet auf dem Teller liegt. Genau das macht der junge Chef Joao Antunes. Er bringt das kleine grüne üppige Universum auf den Tisch im Restaurant der herrschaftlichen Villa Emden.  Der 33-Jährige, aufgewachsen im Tessin, verarbeitet mit viel Fantasie, Fleiss und Fachwissen die Kräuter, Blumen und Gewürze aus dem eigenen Garten, ausserdem Fisch frisch vom See und Fleisch aus der nahen Umgebung, zu einer begeisternden Naturküche. 130 Arten Kräuter, Blumen und Pflanzen wachsen im Küchengarten. Früh am Morgen und Abend streifen der Chef und/oder das Küchenteam mit den grünen Daumen durch den Terrassengarten, auf der Suche nach Aromatischem und Inspiration für die Menüs. Antunes hat sich in seiner Zeit auf der Insel ein umfangreiches Wissen über die Gewächse angeeignet. Wie gut er sie kennt, wie gekonnt er sie kombiniert, davon zeugt jeder einzelne Teller, der aus seiner Küche auf die Säle und Terrassen mit den WOW-Aussichten kommt. Grosses Bild oben: Joao Antunes.

Villa Emden, Isole Di Brissago, TI

Das Villa-Emden-Team aus Küche, Service und Rezeption im Tropengarten. 

Villa Emden, Isole Di Brissago, TI

Blick auf Joao Antunes Reich: Der Kräuter- und Blumengarten.

Bei den Grossen gelernt. Bis zu seinem ersten Chef-Posten auf der Paradies-Insel hat Joao Antunes bei einigen grossen Köchen lernen dürfen. Bei Martin Dalsass. Bei Dario Ranza. im «Beau Rivage Palace» in Lausanne. Im Golf Hotel Gstaad. Im Mandarin Oriental Genf. Antunes sammelte weitere Erfahrungen in Stages im «Kontrast» in Oslo, im «Bibendium House» in London, im «Akellare» in San Sebastian und im «Statera» in Lima. «Überall da lernte ich neue Techniken, neue Arten zu kochen und andere Mentalitäten kennen. Erfahrungen, die ich nicht missen möchte, wenns oft pickelhart war, als Rangniedrigster in Sterneküchen.» Im Jahr 2020 – er war gerade «Marmite Youngster» geworden – stiess er auf das Inserat, mit dem ein Chef für das Restaurant in der «Villa Emden» gesucht wurde. Er fühlte sich bereit, bewarb sich – und bekam den Job. In dieser Zeit entstanden auch viele der Tattoos auf seinen Armen, ein Querbeet von Gemüsen, Formeln, einem Gehirn, einem Oktopus, da Vincis vitruvianischem Menschen, Fibonacci-Kurven und Hommagen an seine kleine Tochter Laura und seine Liebste Katja. Den Chefposten trat er im Frühling 2021 an, mitten in der Pandemie. «Da machten wir vor allem Take-Away», erinnert sich Antunes. «Im Sommer war dann High time auf der Insel – die Schweizer entdeckten ihre Heimat als Reiseland, das Hotel war bis Saisonende voll. Wir arbeiteten nicht selten 18 Stunden täglich! Es war einfach grossartig.» 

Neun Zimmer. Mit Seesicht. Natürlich ist das Juwel von einer Tropeninsel im Tessin mit seiner Blumenpracht ein Hochzeits-Hotspot. Villa, Park und Seeufer bieten eine märchenhafte Kulisse für den schönsten Tag. Zwei bis drei Hochzeiten im Sommer finden auf Brissago statt. Bis zu 120 Gäste kann das Team der Villa Emden bewirten, auch wenn der Grossteil der Geladenen abends auf die Fähre muss. Das Hotel bietet nur neun Zimmer. Alle mit Seesicht, natürlich. 

Gericht: Wels-Carpachio, Hibiskusblüten-Gel, Buttermilch, fermentierte Zitronen, Calendula-Blüten, wilder Fenchel.

Bildschön & gut: Wels-Carpaccio mit Hibiskus-Gel, Buttermilch und Calendula-Blüten.

Chef Joao Antunes

Filigrane Arbeit: Joao Antunes richtet Blüten zum Finish an.

Dessert: Creme Brûlée, japanischer Pfeffer, Aprikosen-Sorbet, Puffreis

Süsse und Schärfe: Crème Brûlée mit Aprikosen und japanischem Pfeffer.

Essen zu Ehren der Baronin. Über mangelnde Arbeit können sich also Chef Joao, sein Sous-Chef Mario Garruto, Gian Franco Alu, Chef Tournante, und Sofia Fantini, die Jüngste und einzige Frau im Team, nicht beklagen. Am Mittag bereiten sie für die Tagesgäste Burger, Fritto Misto, Tatar und andere Bistrogerichte zu für die 80-plätzige Terrasse. Abends dann, wenn die Pflanzenfreunde und Schulklassen die Insel verlassen haben, fährt Antunes für die Hotelgäste das grosse Gourmetmenü auf. Er nennt die Gänge «Momente», ein jeder der sieben ist einem Aroma gewidmet – und Baronin Antoinette Saint Léger gewidmet. Die gebürtige Russin hatte zusammen mit ihrem anglo-irischen Mann Richard Fleming die Inseln 1885 gekauft, darauf ein schlichtes Haus und mit grossem Aufwand den botanischen Garten errichtet. 1927 verkaufte sie, völlig mittellos, die Inseln dem Hamburger Geschäftsmann Max Emden. Der Bonvivant und Playboy liess das Haus niederreissen und durch die jetzige Prachtvilla im klassizistischen Stil ersetzen, mit Tonnen von Carrara-Marmor, Florentiner Intarsien-Böden, exotischen Möbeln, einem römischen Bad. Werke von Picasso, van Gogh, Renoir, Monet, Tiepolo und Canaletto zierten die herrschaftlichen Räume, die Villa wurde zum Treffpunkt des Jetsets. Fotos dokumentieren die wilden, glanzvollen Zeiten Emdens, dessen Motto lautete «Auch das Leben ist eine Kunst». 

Die Aroma-Mix-Kunst. Und weil in seinem Leben nichts wichtiger ist als die Gastronomie und der Genuss, macht der Jung-Chef auch das Kochen zur Kunst-Form. Sein Wels-Carpaccio mit Hibiskus-Gel, Buttermilch-Tupfen, fermentierten Zitronen und Calendula-Blütenblättern ist bildschön. Es nicht zu essen wäre aber eine Sünde, so gekonnt wie die Aromen kombiniert sind. Eine Augenweide und Gaumenfreude ist auch der Risotto in sattem Purpur – Antunes verwendet statt Bouillon das Wasser von gekochtem Rotkohl, was für Farbe und Aroma sorgt. Meerfenchel und Mandelblätter schaffen eine weitere Aroma-Ebene auf dem vermeintlich schlichten Gericht. Eine Symphonie in Grün-Weiss-Orange ist der gedämpfte Zander mit grünen Erbsen, Kapuzinerkresse und -blüten. Eine weitere Kreation, so schön wie gut, ist ein weisses Panna Cotta aus Tomaten-Crème, mit frischen und getrockneten Tomatenstücken, angereichert mit lila Nelkenblüten, roten und grünen Basilikumblättern und Basilikumsud sowie Perlen von Aceto Balsamico. Beim Crème-Brûlée zum Dessert gibt eine weitere grüne Preziose aus dem Garten den Ton an: Blätter von japanischem Pfeffer, dessen Schärfe dann das Aprikosen-Sorbet ausgleicht.

Villa Emden, Isole Di Brissago, TI

Marke Eigenbau: der Botanical Trolley für die Tee-Infusion.

Villa Emden, Isole Di Brissago, TI

Blick von der Loggia auf Park, See und Berge.

Villa Emden, Isole Di Brissago, TI

Reiche Ernte: Botanik-Fan Joao Antunes in seinem Element.

Der Botanical Trolley. Den letzten «Moment» zelebriert Chef de Service Giacomo mit dem Botanical Trolley, einem Wagen voller Grünzeug, auf dem er labormässig eine Tee-Infusion zubereitet. Natürlich mit Blüten und Kräutern aus eigener Ernte. Statt Autos und Touristenlärm hört man dann zur Nachtruhe den Liebesgesängen der Frösche im Teich zu. Am nächsten Morgen erwartet die Gäste ein A-la-Carte-Frühstück, bei dem man den Chef schon wieder Nase voraus durch den Küchengarten streunen sieht. 

 

www.villaemden.com