Fotos: Jürg Waldmeier
DER NASENTEST. Ein archaisches Bild wie bei den «Wetterschmökern»: da stehen zwei Männer mit Gummistiefeln in Regen und Kälte auf einem Feld, graben ihre Hände tief ins Erdreich, halten den nassen «Härd» an ihre Nasen und holen tief Atem, nicken dabei anerkennend. Nach der Riechprobe klopfen sie die dunkle Erde wieder an die Dämme fest, die wie langgezogene Maulwurfshügel durch das Feld laufen. Aus den kniehohen Dämmen ragen kleine, weisse Knospen hervor, wie Perlen auf einer Samtunterlage beim Juwelier. Die Spitzen von Spargeln. Sie sind der Grund, warum sich die Männer garstigem Wind und Wetter aussetzen. Fabian Kummer, Chefbauer vom Schmitterhof in Diepoldsau SG, und Marco Ortolani, Executive Chef im «La Réserve Eden au Lac Zurich», statten der Königin des Gemüses, ihren Besuch ab. Kummer hat einen Schwalbenschwanz-Spargelstecher dabei und zeigt dem Spitzenkoch (16 Punkte, 1 Michelin-Stern), wie die zarten Spangen aus der Erde geholt werden – mit viel Fingerspitzengefühl. Ortolani, ganz seinem Namen verpflichtet, der zu deutsch Gemüsebauer bedeutet, versucht sich als Spargelstecher. Ein paarmal gelingts, eine der Stangen bricht. «Die Spargel ist eine Diva, jede einzelne will sorgfältig behandelt werden», meint Kummer lachend. «Sie kann Sorgen bereiten – aber auch viel Freude.» Grosses Bild oben: Marco Ortolani und Fabian Kummer.
DIE DIVEN MÖGENS WARM. Die Dämme der Spargelfelder sind mit Folien überspannt, als Wärmeschutz. Die Oberseiten der Folien sind schwarz, die Unterseiten weiss. Damit die wertvollen, mehrjährigen Pflanzen das ideale Klima fürs Wachstum haben, haben die Schmitterhöfler 2005 eine unterirdische Bodenheizung verlegt. Wer jetzt vermutet, dass sei ein ökologischer Unfug, täuscht sich. Das 36 Grad warme Wasser, das durch die 2,5 Zentimeter dünnen Röhrchen 30 Zentimeter unter der Erde fliesst, stammt von der benachbarten Verpackungsfabrik, aus der Abwärme. Dank dieses Kreislaufsystems kommen die Spargeln ökologisch ganz korrekt zu der Wärme, die sie so mögen. Per App kontrolliert Kummer laufend die Temperaturen auf den verschiedenen Feldern. Wie alle schlauen Bauern nutzt er die moderne Technik, im Einklang mit dem traditionellen Handwerk. Die Sortiermaschine etwa, die die Spargeln nach Grösse separiert, ist weitgehend reine Mechanik. Neu daran ist nur die eingebaute Kamera, die jede Spargel erfasst und nach Dicke ins richtige Fach sortiert. Aber auch hier ist Handarbeit gefragt. Helferinnen fischen die Stangen aus den Wasserbehältern und legen sie sorgsam in Kisten, die zu den Grossverteilern gehen. Jede Spargel geht von der Ernte bis zum Vertrieb durch mehrere Hände. Der Hauptfaktor, der den Preis für das edle Wurzelgemüse bestimmt. Ein Teil der Schmitterhof-Spargeln geht an die Migros, die Spitzenqualität sichert sich Marinello, der Premium-Gemüsehändler für die Gastronomie aus Zürich-Altstetten. Bei der royalen Visite sind denn auch Christian Körting, Marinello-CEO und gelernter Koch, und Riccardo Tortora, dabei. Körtings Mission: Er will Köche und Produzenten zusammenführen, organisiert also regelmässig Hofbesuche, um den Chefs vor Ort zu zeigen, woher die Produkte stammen und um die gegenseitige Wertschätzung zu steigern. «Es ist die Leidenschaft fürs gute Produkt, die uns gemeinsam ist», sagt Marco Ortolani zu Fabian Kummer, während sich die beiden Erdreste von der Nase wischen.
SAND ALS MATCHVORTEIL. «Wir sind sehr stolz auf unsere Spargeln, haben hier die idealen Böden dafür», erklärt Kummer. «Auf unseren Feldern lagerte der Altlauf des Rheins einst viel Sand ab, ausserdem grasten hier Kühe, es war ein Sömmerungsgebiet. Fluss und Tiere haben dem Boden über lange Zeit die gute Basis gegeben und Nährstoffe zugeführt. Auf den 200 Meter langen Dämmen gibt es bis zu fünf Bodentypen, mal sandiger, mal lehmiger», erklärt der Schmittenhöfler, der den Hof von 50 Hektaren vor zehn Jahren vom Vater übernommen hat. Damals war der Spargelanbau ein Nebengeschäft, zusammen mit Partner Jonas Sieber, der für den Verkauf zuständig ist, hat Kummer die Produktion von Spargeln auf insgesamt 16 Hektaren hochgefahren. 30 bis 70 Tonnen vorwiegend weisse Spargeln werden von der letzten Märzwoche bis zum letzten Stichtag, am 24. Juni, dem Johannistag, geerntet. Zwanzig bis dreissig Helferinnen von ennet dem Rhein kommen in der Saison täglich auf den Schmitterhof und starten früh um sechs Uhr mit dem Stechen. Eine routinierte Stecherin schafft pro Tag rund 120 Kilo. «Eigentlich ist es keine Frauenarbeit: Es ist körperlich sehr streng. Bücken, Folien heben, stechen, Kisten heben, Erde festklopfen – und das bei Regen und Kälte wie heute oder bei Hitze», weiss Fabian Kummer. Trotzdem darf er seit vielen Jahren auf die gleichen Frauen als Erntehelferinnen zählen – nicht zuletzt, weil sie einen Drittel bis einen Viertel mehr verdienen hier als ennet der Grenze.
TACO, MORCHELN, MALTAGLIATA. Was Marco Ortolani zu Spargel alles einfällt, zeigt er in der Küche des Swiss Deluxe Hotel «La Réserve Eden au Lac Zurich». Als gebürtiger Italiener aus Varese ist ihm das edle Gemüse schon aus seiner Heimat vertraut, von der Qualität der Schmitterhof-Spargeln ist er fest überzeugt. Als Willkommen-Snack serviert er eine grasgrüne Tartelette aus Wasabi und frischen Erbsen mit Spargelspitzen, dazu einen Taco mit Gambero Rosso und sizilianischen Mandeln sowie einen Habanero (die Schote ist aus einer Gelée-Sphäre nachgebaut!) mit Thunfisch-Mousse. Als Amuse-bouche gibt’s Bärlauch mit Spargelschaum mit Forelleneiern, beduftet mit Estragon. Wie knackig frisch und frühlingsfein roher Spargel schmeckt, beweist das Salätchen aus fein gehobelten Scheiben, der Clou dazu: ein Carpaccio aus dem Fegato del Bosco-Pilz, der soeben aus den Pyrenäen in der offenen «La Réserve»-Küche gelandet ist. Der Pilz erinnert sowohl optisch wie geschmacklich stark an Leber und harmoniert prächtig mit Spargel! Eine sehr gelungene Aroma-Kombination stellen die mit Kalbsbries gefüllten Riesenmorcheln mit Kokosnuss- und Grünpfeffersauce zu Spargeln dar. Es folgt ein Klassiker aus Ortolanis Heimat: Maltagliata mit Spargeln, Gorgonzola-Sauce und wilden Fenchelpollen. Der köstliche Pastagang beweist, dass die Diva vom Feld der Wucht von Blauschimmelkäse und Wildkräutern geschmacklich gewachsen ist.
«ZUCKER IM KOCHWASSER? UNNÖTIG!» Das Dessert war ganz dem Apfel gewidmet, optisch wie geschmacklich – ein Bild von einem Teller. Als Dessert taugt die elfenbeinfarbene Queen weniger, meint der Starchef. «Spargel süss geht nicht», meint er. Er verwendet beim Spargelkochen auch keinen Zucker. «Ich weiss, in Deutschland und der Schweiz wird dem Kochwasser oft Zucker beigegeben, ich finde das total unnötig!» Bei Spargelkauf rät Ortolani, nicht die dicksten zu wählen, die können innen spänig und spröde sein. Zu beachten sei, dass die Köpfchen geschlossen sind und weiss, nicht rosa. Spargeln reifen nach dem Ernten nach. Wenn sie nicht stets gekühlt werden, werden sie leicht rosa und öffnen die Köpfchen. Beim Schälen gilt es, weder zu grosszügig noch zu wenig wegzuschneiden.